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Das Raubkunst-Puzzle - Suche nach Gerechtigkeit

Mittwoch, 08. Juni 2022, 21:00 bis 21:45 Uhr
Donnerstag, 09. Juni 2022, 06:35 bis 07:20 Uhr

Ein gigantischer Raubzug der Nationalsozialisten ist bis heute nicht vollständig aufgeklärt: der organisierte Kunstraub an jüdischen Familien, die aus Nazi-Deutschland zur Ausreise genötigt worden waren. Bis heute suchen Erben nach ihrem Eigentum, oft vergeblich.

Provenienzforscherin rekonstruiert Verbleib der Raubkunst

Provenienzforscherin und "Kunst-Detektivin" Dr. Kathrin Kleibl bei Recherchen am Laptop und in alten Unterlagen. © NDR
Provenienzforscherin und "Kunst-Detektivin" Dr. Kathrin Kleibl bei Recherchen am Laptop und in alten Unterlagen.

Dr. Kathrin Kleibl, norddeutsche Provenienzforscherin, widmet sich mit Kolleg*innen der Aufklärung dieses Verbrechens und möchte für Gerechtigkeit sorgen. Sie versucht, den Verbleib der geraubten Kunst zu rekonstruieren, um sie den rechtmäßigen Besitzer*innen zurückgeben zu können. NDR Autorin Sophia Münder-Führing hat Kathrin Kleibl über ein Jahr lang mit der Kamera begleitet und eine spannende, zeitgeschichtliche Dokumentation für das NDR Fernsehen realisiert.

Falsche Versprechen an Juden vor ihrer Vertreibung

Buddha-Kopf aus Marmor, China, 14.-17. Jahrhundert, Künstler unbekannt. © NDR
Auch wertvolle Kunst wurde von den Nazis versteigert, statt sie den jüdischen Emigranten hinterherzuschicken.

Den jüdischen Familien, die Deutschland verlassen sollten, war versprochen worden, ihr Eigentum mitnehmen zu können. Doch ihr Hab und Gut blieb oft im Land. Tausende Kisten, sogenannte Liftvans, lagerten etwa im Hamburger Südwesthafen, beschlagnahmt von der Gestapo. Statt die Gegenstände ihren Besitzer*innen nachzuschicken, wurden sie versteigert. Ganze Hausstände kamen in der "Hamburger Gerichtsvollzieherei" und in zahlreichen Auktionshäusern unter den Hammer, darunter auch wertvolle Kunst.

Versteigerung von "Judenkisten" bringt Nazis Millionen ein

Zeitungsannoncen warben damals unverhohlen für die Versteigerungen der "Judenkisten". 7,2 Millionen Reichsmark brachten die Auktionen in Hamburg den Nationalsozialisten ein. Eine staatlich organisierte Schnäppchenjagd, sagt der Historiker Frank Bajohr. Die Objekte verschwanden bei Privatpersonen, Museen und Händlern, die meisten Gegenstände sind bis heute verschollen.

Weitere Informationen
Menschenansammlung bei einer Versteigerung jüdischer Umzugsgüter in Lörrach Anfang der 40er-Jahre. © Stadtarchiv Lörrach

NS-Raubzug: Wie Nazis jüdische Emigranten ausplünderten

Zigtausendfach kam die Habe jüdischer Emigranten ab 1939 etwa in Hamburg unter den Hammer - und füllte damit die deutsche Kriegskasse. mehr

Wer waren die Eigentümer*innen und wer die Käufer*innen? Das möchte Kathrin Kleibl herausfinden: "Das große Ziel ist es, diese Objekte den Familien zurückzugeben." In einem Forschungsprojekt, gefördert vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste, begibt sich Kleibl auf Spurensuche. Einen Vorteil hat sie: Die Nazis haben das Unrecht akribisch dokumentiert. Tausende Seiten Versteigerungsprotokolle, Lagerbücher und Rechnungen kann Kathrin Kleibl auswerten, ein mühsames Geschäft. Jedoch: "Aus diesen Puzzle-Teilen können wir den Weg eines Liftes vom Heimatort bis zu dem Verkauf schlussendlich in Hamburg nachvollziehen", sagt Kleibl.

Jüdische Erben hoffen auf Forschungsergebnisse

Jüdische Nachfahren hoffen, nun endlich ihr Eigentum wiederzuerlangen. Familie Koch aus Wiesbaden etwa musste nach London emigrieren. Doch ihre beiden Umzugskisten, darin eine kostbare Kunstsammlung mit Werken von Nolde, Jawlensky und Klee, kamen nie an. Wo ist das Umzugsgut der Großeltern geblieben? Diese Frage lässt dem Erben bis heute keine Ruhe. Zu einem Gemälde gibt es eine konkrete Spur, aber etliche Eigentumswechsel und ein immer noch verschlossener Kunstmarkt erschweren die Suche. "Wenn unsere Generation nicht mehr sucht, dann bleibt dieses Kapitel für immer im Dunkeln verschwunden", befürchtet der rechtmäßige Eigentümer.

NS-Raubkunst stellt Museen vor Herausforderungen

Auch die hochkarätige Kunstsammlung von Johanna Ploschitzki aus Berlin ist verschollen. Ihr Umzugsgut, darunter Werke von renommierten Künstlern wie Pissarro, Beckmann und Liebermann, wurde drei Tage lang in Hamburg versteigert. Insgesamt ging es um 1.500 Objekte. Ihre Nachfahren suchen ebenfalls bis heute. Ein Objekt konnte Kathrin Kleibl immerhin wiederfinden. Es schlummerte jahrelang in einem Hamburger Museum, erworben im Dezember 1941 auf einer der berüchtigten Versteigerungen. Wird die Rückgabe des geraubten Gutes gelingen?

Auch Dr. Ute Haug, Provenienzforscherin in der Hamburger Kunsthalle, stellt dieses Kapitel deutscher Geschichte vor eine Herausforderung: Ihr Haus kaufte im Jahr 1941 acht Gemälde auf einer Versteigerung. Das belegen Nummern auf der Rückseite der Gemälde. Aber lassen sich die Bilder den Familien zuordnen, denen sie geraubt wurden? Um das herauszufinden, setzt auch Ute Haug auf die Unterstützung von Kathrin Kleibl.

Autor/in
Sophia Münder-Führing
Kamera
Dirk Saeland
Michael Barthelmess
Alexander Rott
Schnitt
Julia Sieger
Bildtechnik
Christoph Fobbe
Grafik
Thomas Haffke
Komponist/in
Fadi Gaziri
Tonmischung
Cornelius Behrens
Sprecher/in
Christine Hegeler
Redaktion
Christoph Mestmacher
Produktionsleiter/in
Bettina Wieselhuber

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Zeitgeschichte