"Wie Gott uns schuf": Katholische Gläubige wagen Coming-out
In der ARD-Doku "Wie Gott uns schuf" wagen 100 nicht-heterosexuelle Menschen im Dienst der katholischen Kirche in Deutschland ihr Coming-out. Die Sendung ist in der ARD-Mediathek zu sehen.
Es ist das wohl größte Coming-out, das es in der katholischen Kirche jemals gegeben hat: 100 Gläubige wagen in der exklusiven ARD-Dokumentation den gemeinsamen Schritt an die Öffentlichkeit. Menschen, die sich als nicht-heterosexuell identifizieren, erzählen vom Kampf um ihre Kirche. Einige gehen dafür sogar das Risiko ein, dadurch ihre Arbeit zu verlieren.
Zeitgleich geht ein Zusammenschluss von mehr als 100 Gläubigen unter dem Namen "Out in Church" online an die Öffentlichkeit, um gegen die arbeitsrechtlichen Bestimmungen und ein intransparentes System zu protestieren, das Willkür und Drohungen gegen die Mitarbeitenden ermöglicht.
"Wie Gott uns schuf": Zehn Jahre recherchiert
Für "Wie Gott uns schuf" hat der Journalist Hajo Seppelt fast zehn Jahre lang recherchiert. Die Dokumentation lässt Priester, Ordensbrüder, Gemeindereferentinnen, Bistums-Mitarbeitende, Religionslehrende, Kindergärtnerinnen, Sozialarbeiter und andere zu Wort kommen. Die Katholikinnen und Katholiken berichten von Einschüchterungen, Denunziationen, tiefen Verletzungen, jahrzehntelangem Versteckspiel und Doppelleben.
Gleichzeitig offenbart der Film ein System, in dem Druck, Angst und Willkür die Mitarbeitenden in Ungewissheit lassen, was genau passiert, wenn sie zu ihrer sexuellen Orientierung oder Identität stehen. Was das eine Bistum duldet, kann in einem anderen zu harten Konsequenzen bis zur Auflösung des Arbeitsvertrags führen.
"Sie sollten lieber das tun, was wir von Ihnen erwarten"
Einer der für die Dokumentation Interviewten ist Jens Ehebrecht-Zumsande (50) aus Hamburg. Der Religionspädagoge ist schwul und arbeitet beim Erzbistum Hamburg als Gemeindereferent.
Als er einmal in eine andere Gemeinde versetzt werden sollte und er diese Stelle nicht antreten wollte, diskutierte er lange mit dem Verantwortlichen. "Als ich am Ende immer noch sagte, dass ich auf diese Stelle nicht gehen würde, sagte der: Sie an Ihrer Stelle in Ihrer besonderen Lebensform sollten lieber das tun, was wir jetzt von Ihnen erwarten", erzählt Ehebrecht-Zumsande. "Es wurde überhaupt nicht benannt, dass es darum geht, dass ich schwul bin. Aber die Drohung war sehr deutlich so gemeint."
Die Angst, die eigene Sexualität auszuleben
Auch Ann-Cathrin Röttger kommt in "Wie Gott uns schuf" zu Wort. Sie leitet die Arbeitsstelle Freiwilligendienste im Bistum Osnabrück und lebt seit vielen Jahren mit einer Frau zusammen.
Seit Beginn ihres Religionspädagogik-Studiums wusste Röttger, dass sie lesbisch ist. "Ich habe das dann irgendwie verdrängt und gedacht: Irgendwie wird sich das Problem schon lösen", erinnert sich Röttger. "Und dann habe ich bei der Kirche gearbeitet und habe gemerkt: Nee, irgendwie löst sich das Problem nicht. Ich bin immer noch lesbisch und würde das auch gerne ausleben."
"All diese Leute tragen die Kirche mit"
Doch offen mit ihrer sexuellen Orientierung umzugehen, traute sich Röttger lange nicht. "Ich habe mir am Anfang erst einmal Leute gesucht, die weit weg wohnten von Osnabrück, damit es keine direkte Konfrontation gibt", erzählt die Religionspädagogin. "Und ich hatte ein Riesenproblem mit mir selbst, weil ich immer gedacht habe: Wie doof bist du denn? Du hast dir ja diesen Beruf gesucht, obwohl du es wusstest. Ich habe ganz lange die Schuld bei mir selbst gesucht."
Röttger geht davon aus, dass in der katholischen Kirche sehr viele Menschen arbeiten, die homosexuell sind. Sie sagt: "All diese Leute tragen die Kirche mit. Für mich ist das Realität - und es ist mir wichtig, dass diese Realität anerkannt und einfach zur Normalität wird."
Positive Reaktionen bei katholischen Verbänden
Zahlreiche katholische Verbände, darunter die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands, reagierten positiv auf das Outing. Es dürfe nicht länger hingenommen werden, dass Menschen in kirchlichen Kontexten - seien es Hauptberufliche im kirchlichen Dienst oder Ehrenamtliche in Verbänden - aus Angst gegenüber Kirchenvertreter*innen ein Schattendasein führen müssen, wenn sie nicht dem von der Kirche normierten Geschlechterbild entsprechen", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. Darum sei ein Outing ein mutiger und für viele sicherlich kein einfacher Schritt.
