Günter Lamprecht © picture alliance / SvenSimon | FrankHoermann/SVEN SIMON

Günter Lamprecht ist tot: Ein höllisch ehrlicher Schauspieler

Stand: 07.10.2022 15:52 Uhr

Der mit Fassbinder-Filmen wie "Die Ehe der Maria Braun" und als Berliner Tatort-Kommissar Franz Markowitz berühmt gewordene Schauspieler Günter Lamprecht ist tot. Er starb bereits am 4. Oktober im Alter von 92 Jahren, wie seine Agentin am Freitag mitteilte.

von Oliver Kranz

Erste Rollen spielte Lamprecht in den 50er-Jahren während seiner Ausbildung an der Max-Reinhardt-Schule für Schauspiel in Berlin. Einem breiten Publikum bekannt wurde er Ende der 70er-Jahre. Dort besetzte ihn Rainer Werner Fassbinder in "Die Ehe der Maria Braun" und anschließend als Franz Biberkopf in der Verfilmung von Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz". Lamprecht galt als Charakterdarsteller und spielte auch viele kleinere Film- und Fernsehrollen, darunter in "Die große Flatter" (1979), "Das Boot" (1981) und "Comedian Harmonists" (1997).

Internationaler Durchbruch für Lamprecht mit Fassbinders "Berlin Alexanderplatz"

Für die Rolle des Franz Biberkopf in Rainer Werner Fassbinders 14-teiliger Romanverfilmung "Berlin Alexanderplatz" erhielt Lamprecht viel Kritikerlob und internationale Auszeichnungen. Es war die Rolle seines Lebens. Günter Lamprecht kannte das Milieu. Er wurde 1930 geboren und ist an der Jannowitzbrücke aufgewachsen: "Die ersten 15 Jahre meines Lebens habe ich da verbracht", sagt er. "Ich habe in der Ecke eine Geschichte und habe an jeder Spreebrücke geangelt und gebadet. Das traut man sich heute gar nicht mehr."

Lamprecht war der Sohn eines Taxifahrers und einer Landarbeiterin. Nach dem Krieg arbeitete er als Dachdecker und Orthopädiehandwerker. Seine große Leidenschaft war das Boxen. "Ich lebe ja von meinem Fundus, von meinem Erlebten. Das ist gespeichert und das ist eben toll, wenn man darüber verfügen und es abrufen kann", sagt er.

Hochdeutsche Rollen auf Berliner Dialekt

Günter Lamprecht blieb auch als Schauspieler das Raubein mit der zarten Seele, ein Experte für die Darstellung einfacher Menschen. Er spielte den Kowalsky in Tennessee Williams' "Endstation Sehnsucht", den Dorfrichter Adam in Kleists "Der zerbrochene Krug" und den Maurerpolier John in den "Ratten" von Gerhart Hauptmann.

Bin ick denn hier von Gespenstern umjeben? Ick weeß nicht. De Sonne scheint, et is helllichter Tach. Sehen kann ick et nicht. Filmzitat aus "Die Ratten"

Wenn er Berlinern konnte, war er ganz bei sich. Auch Rollen, die auf Hochdeutsch gesprochen werden mussten, lernte Lamprecht zuerst im Berliner Dialekt. Das hatte er bei seiner Schauspiellehrerin Lucie Höflich gelernt: "Die hat einen Klassiker immer erst im Heimatdialekt bearbeitet und hat den dann zu einem bestimmten Zeitpunkt - also wenn eine Premiere anstand, so zehn Tage vorher - abgebaut. Was geblieben ist, war eine unheimliche Direktheit in der Sprache", meint Lamprecht.

Vom Ansager im Jazzclub zum Schauspieler

Direkt, geradlinig, kraftvoll - so wurde Günter Lamprecht oft beschrieben. Er kam nur durch einen Zufall zum Theater. Als junger Mann besuchte er einen Jazzclub: "Ich habe mich dort abreagiert und lernte einen Schauspieler kennen, der dort rumstand und sagte: 'Sage mal, willst du nicht Schauspieler werden? Du machst hier die Ansagen so dufte.' Ich habe die Ansagen gemacht und zwischen den Nummern auch mal gesungen und Boogie getanzt in der Zeit. Der steckte mir eine Adresse in die Tasche von einer Schauspielerin", erzählt Lamprecht.

Und diese Schauspielerin erkannte Lamprechts Talent sofort. Sie schickte ihn zur Staatlichen Schauspielschule. In den 60er- und 70er-Jahren arbeitete er an verschiedenen Bühnen im Ruhrgebiet und spielte seine ersten Fernsehrollen. 1973 stand er zum ersten Mal bei Rainer Werner Fassbinder vor der Kamera. Er gehörte zwar nicht zum Tross des berühmten Regisseurs, durfte aber trotzdem sieben Jahre später die Hauptrolle in der 14-teiligen Romanverfilmung "Berlin-Alexanderplatz" spielen. Einzige Bedingung: Lamprecht sollte vor Beginn der Dreharbeiten stark zunehmen. "Er hatte einen Satz, der Franz: 'Ein Kerl ist nur, wer eine Wampe hat.' Und da wir auch viel mit dem freien Oberkörper gearbeitet haben, konnten wir das nicht ausstopfen", erzählt Lamprecht.

Tatort-Kommissar Markowitz' Parallelen zu Günter Lamprecht

Eine noch größere Popularität erlangte der gebürtige Berliner in den 90er-Jahren als Tatort-Kommissar Franz Markowitz. Als er 1991 den Tatort-Kommissar erfand, den er auch selbst spielte, hatte die Figur eine Biografie, die in vielen Details seiner eigenen ähnelte. Markowitz war 1930 geboren, mochte Jazzmusik und spielte sogar Trompete. Von seiner Dienstwaffe machte er nur ungern Gebrauch. Lamprecht hasste Krimis, in denen sinnlos herumgeballert wurde.

Man kann es nur als bittere Ironie des Schicksals begreifen, dass er 1999 in Bad Reichenhall selbst Opfer eines Amokschützen wurde. Wie durch ein Wunder überlebte er. Als er acht Jahre später seine Autobiografie veröffentlichte, zog er Bilanz: "Es war schon ein höllisches Ding, mein Leben." Dieser Satz, den Lamprecht von Franz Biberkopf geborgt hat, ist auch der Titel der Autobiografie. Er war ein höllisch ehrlicher Schauspieler, und ein höllisch guter.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | 07.10.2022 | 09:00 Uhr

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