Der Schauspieler Jim Parsons bei der Vorstellung der letzten Staffel der Serie "The Big Bang Theory" mit Nerdbrille in Los Angeles © IMAGO / Starface Ad Media STAR

Eine Popkulturgeschichte über das Phänomen Nerds

Stand: 05.03.2022 11:14 Uhr

Früher dachte man bei Nerds an Hacker, heute sind sie integraler Bestandteil der Popkultur. "Nerd - Eine Popkulturgeschichte" heißt das Sachbuch Annekathrin Kohout, dass diese Geschichte untersucht.

von Danny Marques Marcalo

Vielleicht sprechen Sie Klingonisch, oder tragen nur T-Shirts mit den Gesichtern bekannter Superhelden oder haben alle Bücher der "Game of Thrones"-Reihe gelesen? Vielleicht sind Sie genau deswegen schon mal als "Nerd" bezeichnet worden. Als jemand, der ein sehr spezielles Wissen in einem Gebiet hat, aus dem sich eher eine kleine Gruppe Menschen was macht. Früher dachte man bei Nerds vielleicht an Hacker, heute sind sie integraler Bestandteil der Popkultur.

Alle unter einem Dach - Steve Urkel trägt Nerdbrille

Annekathrin Kohout: "Nerds - Eine Popkulturgeschichte"  (Cover) © C.H. Beck
Das Sachbuch "Nerds - Eine Popkulturgeschichte" von ist bei C.H. Beck erschienen und kostet 16,95 Euro.

Steve Urkel aus der Sitcom "Alle unter einem Dach" ist eine Fernsehlegende. Und ein Nerd. Viel zu große Brille, spießige Klamotten. Ungeschickt und sozial völlig überfordert. Auch bemerkenswert: Er ist schwarz - obwohl der Nerd klassischerweise eher ein junger weißer Mann ist, der sich besonders für Computer interessiert. "Er trägt die sogenannte Nerdbrille, oder Hornbrille. Er ist der Außenseiter. Ich denke, dass das immer noch ein Bild ist, dass den heutigen Gebrauch des Begriffs Nerd immer noch prägt", sagt Kulturwissenschaftlerin Annekathrin Kohout.

Nerds habe es schon immer gegeben, schreibt sie in ihrer lesenswerten Popkulturgeschichte. Schillernde Figuren wie der Philosoph Ludwig Wittgenstein, der mit zehn Jahren eine Nähmaschine baut und deren über den Mitschüler sagten, er sei "wie aus einer anderen Welt herbeigeschneit."

Nerds werden zunächst von anderen so genannt, tragen diesen Titel später aber mit Stolz. "Gerade im Zusammenhang mit den frühen Computerpionieren, als die Figur attraktiver wurde, weil er mit Erfolg auch verbunden war", meint Kohout. Zum Beispiel Steve Jobs, Bill Gates. "Da sieht man auch, dass es zu einer Selbstbeschreibung geworden ist. Dass Fremd- und Selbstzuschreibung in so einem Wechselspiel steht", schreibt die Autorin.

Serie "How To Sell Drugs Online Fast" mit Nerd in Hauptrolle

"Nerd today, Boss tomorrow": Moritz, der Held aus der Netflix-Serie "How To Sell Drugs Online Fast" ist eines der vielen popkulturellen Beispiele im Buch. Die Popkultur ist untrennbar mit dem Etikett Nerd verbunden. Erst war er der Fan, mittlerweile ist er oft die Hauptfigur. "Ich finde, dass sie eine ähnliche Figur ist, wie der Gelehrte für den hochkulturellen Bereich oder das klassische Bürgertum. Und der Nerd ist diese Rolle für das digitale Bürgertum, für den Bereich der Popkultur."

Kohouts Buch ist einleuchtend schlüssig argumentiert. Es ist insgesamt ein wenig Amerika-lastig geworden. Das liegt wohl aber vor allem daran, dass die USA Erfinder, Testlabor und größter Vermarkter der Popkultur und damit des Spielfelds der sogenannten Nerds sind.

Deutsche Perspektiven findet Kohout dennoch. So ist 2007 für sie das Jahr, in dem sich der Begriff Nerd auch hierzulande durchsetzt. "2007 entsteht die Piratenpartei, die ganz oft mit diesem Begriff klassifiziert wurde. Und im selben Jahr kommt auch 'The Big Bang Theory' heraus, die diesen Typen erst populär gemacht hat. Eine der erfolgreichsten Serien überhaupt."

Der größte Running Gag der Serie ist, dass Hauptfigur Sheldon zwanghaft immer dreimal, statt einmal bei der Nachbarin Penny klopfen muss. Gerade am Beispiel der angeklopften Penny argumentiert das Buch gut, dass Nerds ziemlich problematisch sein können.

Frauen und Transgender werden unter Nerds selten anerkannt oder ernst genommen. Überhaupt scheint der Nerd irgendwie altbacken zu sein. "Ich würde sagen, dass das eine Figur ist, die sehr individualistisch, auch unempathisch, ist. Und das vielleicht in einer Zeit, in der man sich vor allem für das Kollektive, das Solidarische interessiert", so Annekathrin Kohout.

Zudem würden die Alleinstellungsmerkmale zunehmend verwässert. Hollywoodstars tragen öffentlich Nerdbrillen, Fernsehmoderatoren Superhelden T-Shirts. Es scheint, als würde der Nerd so langsam beliebig werden. Quasi ein Fall für die "Popkultur"-Geschichtsbücher wie dieses. 

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NDR Kultur | Journal | 28.02.2022 | 18:00 Uhr

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