Cover  "Beklaute Frauen" von Leonie Schöler © Penguin Verlag
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"Beklaute Frauen": Wie Frauen um ihr geistiges Eigentum gebracht wurden

Stand: 08.03.2024 06:00 Uhr

Bertolt Brecht, Albert Einstein, Pablo Picasso: Sie alle haben Frauen auf dem Weg zum Ruhm ausgenutzt. In ihrem Buch "Beklaute Frauen" beschreibt Leonie Schöler, wie Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen um ihr geistiges Eigentum gebracht wurden.

von Nicole Ahles

Elisabeth Hauptmann und Rosalind Franklin - noch nie gehört? Das verwundert die Autorin von "Beklaute Frauen", die Anfang 30-jährige Historikerin und Journalistin Leonie Schöler, nicht. Hauptmann und Franklin stehen nur stellvertretend für die vielen Frauen, deren Ideen, geistiges Eigentum und Verdienste an der Gesellschaft oder für den Fortschritt geklaut wurden. Schöler schreibt: 

Ich hoffe deshalb sehr, dass ich ihnen mit diesem Buch zumindest einen Teil ihrer Stimme zurückgeben kann und dazu beitrage, dass sie rückwirkend die Aufmerksamkeit und Anerkennung erhalten, die sie zu Lebzeiten verdient hätten.  Leseprobe

Elisabeth Hauptmann: Maßgeblich für Entwicklung der "Dreigroschenoper"

Elisabeth Hauptmann war eine junge Schriftstellerin, die ab 1925 beim Verleger Gustav Kiepenheuer als Assistentin des bekannten Schriftstellers Bertolt Brecht angestellt war. Sie machte Brecht auf ein britisches Schauspiel aufmerksam. Das nahm Brecht als Vorbild für sein Theaterstück "Die Dreigroschenoper". Hauptmann übersetzte das Stück ins Deutsche und war auch im Folgenden an der Entwicklung beteiligt, schreibt Schöler: 

Sie schickten sich monatelang Ideen, Anmerkungen, Skizzen und Textentwürfe hin und her oder saßen gemeinsam an den Manuskripten; so lange, bis aus den zahlreichen Vorarbeiten eine finale Fassung hervorging.   Leseprobe

Der amerikanische Germanist John Fuegi schrieb 1994 in seinem Buch "Brecht und Co.", die "Dreigroschenoper" sei zu 80 Prozent das Werk von Hauptmann gewesen. Und auch der Brecht-Forscher Werner Mittenzwei kam laut Schölers Recherchen schon 1987 zu dem Schluß: "Wenn das Werk auch durch verschiedene Faktoren zu einem Erfolg wurde, der eigentliche Erfolgsmanager war sie."

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Schöler stellt fest: "Doch wer heute eine Ausgabe der "Dreigroschenoper" kauft, der wird auf und im Buch nur den Namen Bertolt Brecht finden. Hinweise auf Elisabeth Hauptmann fehlen komplett." Und die "Dreigroschenoper" ist nur ein Beispiel. Hauptmann hat an zahlreichen Werken von Brecht mitgewirkt, ebenso wie Margarete Steffin oder Ruth Berlau und viele weitere Frauen. 

Von Männern gebremst, ausgenutzt und ihrer Chancen beraubt

Schöler bewegt sich im Buch "Beklaute Frauen" einmal quer durch die Gesellschaft, beleuchtet die Situation von Frauen als Ehefrauen, Wissenschaftlerinnen und Künstlerinnen, zeigt auf, an welchen Stellen sie systematisch durch eine männlich dominierte Welt gebremst, ausgenutzt und ihrer Chancen beraubt wurden. 

Ein Beispiel aus der Wissenschaft ist die Biochemikerin Rosalind Franklin. Ihre Forschung zur Entschlüsselung der DNA wurde von den späteren Nobelpreisträgern Watson, Wilkins und Crick gestohlen.

Familie und Freund*innen von Rosalind Franklin gehen davon aus, dass sie von dem Betrug an ihren Forschungen wenig bis nichts mitbekommen hat. Bis auf den Zwischenfall, bei dem sie Watson in ihrem Labor auf frischer Tat erwischt hatte, fand der weitere Datendiebstahl hinter ihrem Rücken und damit von ihr unbemerkt statt. Leseprobe

Der Betrug ist auch nur deshalb bekannt geworden, weil Watson in einer Autobiografie ganz offen damit prahlte. Zu diesem Zeitpunkt war Franklin bereits zehn Jahre tot. Konsequenzen aus dem Betrug gab es nicht. 

Ein Who's Who der großen Ideenklauer

Schöler ist Historikerin und das merkt man ihrem Buch auch an. Zum einen widmet sie von den 411 Seiten, die das Buch stark ist, mehr als 80 Seiten den Anmerkungen und Literaturnachweisen. Zum anderen spürt man in jedem Satz die tiefe und eingehende Recherche. "Beklaute Frauen" liest sich wie ein Who's Who der ganz Großen: Karl Marx, Walter Gropius, Albert Einstein, Pablo Picasso - sie alle haben Frauen auf dem Weg zum Ruhm ausgenutzt. 

Schölers Fazit: "Jede beklaute Frau ist kein Einzelfall, sondern Teil eines Systems, das uns alle betrifft und bis heute wirkt." Entstanden ist ein ausgesprochen interessantes Buch, bei dessen Lektüre man sich durchaus fragen kann, warum die eine oder andere Fehlentscheidung der Vergangenheit nicht längst gerade gerückt wurde.

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von Leonie Schöler
Seitenzahl:
416 Seiten
Genre:
Sachbuch
Verlag:
Penguin
Bestellnummer:
ISBN 978-3328603238

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Kultur | 07.03.2024 | 07:55 Uhr

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