Stand: 21.06.2019 16:00 Uhr

Wanderung über den Pacific Crest Trail

Der Sommer hat begonnen - und mit ihm beginnen viele Menschen, sich auf Wandertouren über lange Wege zu begeben. Einige davon sind berühmt, wie der Jakobsweg nach Santiago de Compostela oder der West Highland Way in Schottland. Einer der bekanntesten ist allerdings der Pacific Crest Trail von der Grenze Mexikos bis nach Kanada. Tim Voors ist ihn gegangen. "Allein" - so heißt das Buch, das der Niederländer über diese Tour geschrieben hat.

Wandern ist eine Einstellung. Am Ende stehen sechs Millionen Schritte und neun Kilo Gewichtsverlust. Der 44-jährige Tim Voors ist ein leidenschaftlicher Abenteurer, der mit allem was dazugehört inmitten der Natur wandert. Bei einer Tour über den Shikoku-Pilgerweg in Japan entwickelt er den Wunsch, den Pacific Crest Trail zu laufen. 4.265 Kilometer allein. Sechs Monate durch die Wildnis fernab jeder Komfortzone. Denn ist die Stadt seine Einatmung - wie er es nennt, dann ist die Natur für ihn die Ausatmung.

Von der Wüste bis zu den Wäldern

"Ich war schon viel in Europa wandern, aber alle vier Stunden ist spätestens ein Skilift entfernt oder ein Tal mit einem schönen alten Dorf, wo man sich einen Cappuccino kaufen kann", sagt er. "Es ist sehr kultiviert. Aber draußen auf dem PCT erfährt man zum ersten Mal die raue, leere, wunderschöne Landschaft - von den Wüsten über die verschneiten Berge bis zu den verregneten Wäldern unten in Washington."

Und die Landschaft präsentiert uns dieses Buch. Neben Tim Voors' Erzählungen und Beschreibungen, zeigen beeindruckende Fotos, was Worte nur schwer ausdrücken können: Weite - über Bergkuppen hinweg und Täler entlang, wie der Blick über das grobkörnig grünschimmernde Geröll des Mount Jacinto in Richtung Cabazon. Zudem zeigt der Bildband beim Gang entlang der bizarr geformten Felsen an den Vasquez Rocks, die wie übergroße Baumkuchen wirken, eindrucksvoll die Kraft der Farben der Natur. Aber nicht immer ist es eine Sightseeing Tour.

So beginnt das Buch auch fern jeder Postkartenromantik. Mit "Angst" ist das erste Kapitel überschrieben. Eine Erfahrung, die der dreifache Familienvater auf dem höchsten Berg der Vereinigten Staaten gemacht hat: "Ich habe noch nie zuvor die Angst erfahren. Gefangen auf dem höchsten Berg Amerikas (Anm. d. Redaktion: außerhalb Alaskas) zu sein, dem Mount Whitney, und diesen Sturm zu erwarten. Ich dachte wirklich, das wär' mein letzter Tag und ich müsste sterben", erinnert sich der Autor. "Es war so viel Kraft in der Natur. Ich fühlte mich sehr klein und es wurde mir bewusst, wie gefährlich die Wanderung war und wie unerbittlich die Natur ist."

Reich bebildertes Reise-Tagebuch

Voors schildert eindrucksvoll. Er ergänzt seine Schilderungen mit Illustrationen, Landkarten in Aquarell und bleistifthaften Skizzen mit Details seiner Erlebnisse. Das Auge wandert gewissermaßen mit - durch die Seiten: "Was ich am meisten daran liebe ist, dass es verschiedene Facetten der Reise einbezieht. Es umfasst die Ideen, die ich hatte. Es umfasst die Wörter, den Text, die Illustrationen, die Fotos und Zeichnungen. Und alles zusammen hilft dem Leser zu spüren, wie ich mich auf dem Trail gefühlt habe."

"Allein" heißt diese mitreißende Ausgabe nicht ohne Grund. Denn immer wieder wird Voors auf dieser Reise intensiv zu sich selbst zurückgeworfen. Muss sich seinen Ängsten stellen. Grenzen akzeptieren, die ihm die Natur aufzeigt.

"Die intensivste Erfahrung war, dass man realisiert, wie unglaublich nahe man zwischen Leben und Tod hängt. Einen tobenden Fluss überqueren muss. Da ist keine Brücke, keine andere Möglichkeit. Aber man muss ihn überqueren, weil der Trail auf der anderen Seite weitergeht. Dann überquert man ihn und er ist sehr oberschenkeltief. Man fühlt, jeden Fehltritt, den man macht, wird man von der Strömung weggerissen und jedes Jahr sterben Menschen auf diese Art."

Viele nützliche Tipps für Wanderer

Dem Band gelingt der Spagat zwischen erzählerischem Abenteuer-Bildband und informativem Wander-Tagebuch. Wir erfahren, was neben einem Bärenkanister noch für eine solche Mammut-Tour notwendig ist und welche Regeln in der Natur zu befolgen sind. Zudem teilt Voors auch mit, was mit einem passiert, wenn man sich von seiner Familie bewusst für sechs Monate trennt.

"Ich habe mich nicht in einer großen Art und Weise verändert, sondern auf vielen verschiedenen Ebenen ein wenig. Wenn man das zusammenzählt, ist es viel", meint Voors. "Zuerst habe ich beschlossen, dass Natur und Abenteuer einen strukturierten Teil meines Lebens einnehmen sollen. So versuche ich jetzt, ein Jahr zu arbeiten und gehe danach für ein halbes Jahr in die Natur. Ich versuche, diesen Rhythmus zu halten. Und ich versuche auch, meine Frau und meine Kinder zu ermutigen."

So macht "Allein" auch Mut. Mut sich zu trauen, sich auf den Weg zu machen - der einen am Ende nie wegführt, sondern immer zu seinen Wünschen und Bedürfnissen zurück.

Allein

von Tim Voors, übersetzt von Johannes Schmid
Seitenzahl:
240 Seiten
Genre:
Bildband
Zusatzinfo:
17 × 24 cm, Features: Vollfarbig, Flexicover, fadengebunden
Verlag:
Gestalten
Bestellnummer:
978-3-89955-298-0
Preis:
24,90 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 23.06.2019 | 17:40 Uhr

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Dieser Artikel wurde ausgedruckt unter der Adresse: https://www.ndr.de/kultur/buch/Tim-Voors-Allein,timvoors100.html
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