Jan Skudlarek provoziert gerne, um seinen Punkt deutlich zu machen. Sein neues Buch "Wenn jeder an sich denkt, ist NICHT an alle gedacht" nennt er denn auch eine "Streitschrift für ein neues Wir".
Es geht ihm um den Freiheitsbegriff - und um seiner Meinung nach falsch verstandenen Liberalismus. Er fragt:
"Wieso wird aus theoretischer, legitimer Freiheitsliebe so schnell praktischer, illegitimer Egoismus? Wie kann es sein, dass ein edler Liberalismus zur tumben Ich-Mentalität verkommt? "Freiheit ist das, was mein Ego maximiert" - so klingt der Freiheitsbegriff, nachdem man ihn durch den narzisstisch-liberalen Fleischwolf gedreht hat. Das ist die hässliche Seite des Liberalismus, die sich in Krisenzeiten immer wieder zeigt."
Skudlarek blickt auf die Corona Pandemie - auf Maskenverweigerer, Impfgegner und die Hamstermentalität, aber auch auf die Duschdiskussion zu Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine, als klar wurde, dass das Gas knapp werden könnte.
Das Spannungsverhältnis zwischen den Bedürfnissen des Individuums und denen der Gesellschaft wird regelmäßig zur Zerreißprobe. Ist aber auch kein neues Phänomen, stellt Philosoph Skudlarek beim Blick in die Vergangenheit fest - zum Beispiel als im April 1974 die Berliner Verkehrsbetriebe das Rauchen in Bussen verboten und der RBB folgende Meinungen einholte. Eine Frau sagte demnach: "Das finde ich empörend. Das ist ein Eingriff in meine Freiheit. Ich bezahle mein Fahrgeld wie jeder andere. Dass man oben rauchen muss, ist ok. Aber dass man gar nicht rauchen darf, finde ich unverschämt." Und ein älterer Herr: "Solange der Staat Steuern kassiert, nehme ich an, dass überall geraucht werden darf."
Heute erscheinen diese Antworten, so Skudlarek, wie aus der Zeit gefallen. Und folgert daraus: "Was erwartet wird, was sich gehört, was man macht, was man lässt; all dies ist keineswegs statisch. Soziale Erwartungen sind Gegenstand langsamer, aber permanenter Evolution."
Wie also kann in unserer Zeit, einer Zeit voller Krisen, eine tragfähige und solidarische Wir-Perspektive aussehen, die die Freiheit miteinschließt? Skudlarek macht deutlich, dass die Freiheit des Einzelnen immer nur zu haben ist, wenn auch die Gesellschaft erhalten bleibt.
Insofern geht es demnach immer auch um den Schutz der Gemeinschaft. Und darum, das was der Gemeinschaft schadet, einzuschränken. Sei es das Rauchen, die Gefahr einer Infektion oder die Verschwendung von Ressourcen.
Das Buch ist kurzweilig und gut zu lesen, macht aber an vielen Stellen auch nachdenklich. Skudlarek bietet in seiner Streitschrift keine Lösungen an, wie die Krisen dieser Zeit bewältigt werden sollten oder könnten. Er fordert aber ein deutliches Umdenken - weg vom Egoismus und der Ich-Bezogenheit hin zu einer gemeinschaftlichen Perspektive.