Die schwedische Schriftstellerin Selma Lagerlöf sitzt an einem Tisch und schreibt etwas auf ein Blatt Papier. © picture alliance / Historisk Bildbyrå / Mustang me | Unknown

Selma Lagerlöf - die Seele Schwedens

Stand: 31.12.2022 00:01 Uhr

Selma Lagerlöf wurde mit "Nils Holgersson" nicht nur zur Bestseller-Autorin. Sie erhielt 1909 auch als erste Frau den Literaturnobelpreis.

von Johannes Freytag

Geboren am 20. November 1858, wuchs Lagerlöf mit fünf Geschwistern auf dem Gut Mårbacka in der Provinz Värmland auf. Sie hatte ein angeborenes Hüftleiden, weshalb sie - statt mit den anderen Kindern herumzutoben - lieber Bücher las. Ihr Interesse galt vor allem den Sagen und Geschichten ihrer Heimat. Früh entwickelte sich so der Wunsch, Schriftstellerin zu werden.

Ausbildung zur Lehrerin

Allerdings ließ sich Lagerlöf zunächst zur Lehrerin ausbilden und begann 1885 in einem  Mädchen-Pensionat in Landskrona zu arbeiten. Nebenbei schrieb sie Gedichte und Texte und gewann 1890 den ersten Preis in einem Kurzgeschichtenwettbewerb - mit Manuskriptteilen ihres später erschienenen Erstlingswerk "Gösta Berling".

Dank der großzügigen Unterstützung einer Baronin startete so ihre zweite Karriere. Denn sie wurde für ein Jahr vom Lehrerinnendienst freigestellt und konnte sich ganz dem Schreiben widmen.

Nils Holgersson - liebevolles Porträt Schwedens

Selma Lagerlöf in ihrem Arbeitszimmer auf Mårbacka. © NDR/ARTE/FLORIANFILM GmbH/Mårbackastiftelsen
Selma Lagerlöf in ihrem Arbeitszimmer auf Mårbacka.

"Die Legende von Gösta Berling" zählt mittlerweile zu den Klassikern der schwedischen Literatur. Nach ihrem zweiten Buch "Unsichtbare Bande" (1894) gab Lagerlöf den Lehrerinnenberuf auf und wurde die erste Schriftstellerin Schwedens, die vom Schreiben leben konnte. Sie reiste viel durch Europa, ehe sie 1906 ihr wohl berühmtestes Werk verfasste: Die Geschichte des kleinen Nils Holgersson, der in ein Wichtelmännchen verwandelt wird, von zu Hause flieht und sich Wildgänsen anschließt, wird zu einem der beliebtesten Kinderbücher aller Zeiten.

"Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich sagen: "Lieber Gott, mach, dass ich einmal ein Buch wie Selma Lagerlöf schreiben kann." Felicitas Hoppe über ihr Lieblingsbuch "Gösta Berling"

Das zweibändige Buch, das in mehr als 30 Sprachen übersetzt wurde, ist nicht nur eine märchenhafte Saga, sondern auch ein liebevolles Porträt Schwedens. Tatsächlich war Nils Holgersson eine Art "Auftragsarbeit" für die Schulen: Den Kindern sollte die Natur und die Kultur des Landes beigebracht werden. Lagerlöf nutzte dazu den dramaturgisch brillanten Blick "von oben", vom Rücken der Wildgänse. Außerdem wurde erstmals die neue schwedische Rechtschreibung angewandt.

Literaturnobelpreis und Mitglied des Nobelpreiskomitees

Mit ihrem Schreibstil, ihrem Hang zum Mystischen und Magischen entsprach die Autorin überhaupt nicht der allgemeinen literarischen Strömung ihrer Zeit, in der eher der Realismus vorherrschte. Dennoch (oder gerade deshalb?) erhielt sie 1909 den Literaturnobelpreis - als erste Frau überhaupt. "Im Rhythmus ihrer Dichtkunst finden wir auf Schritt und Tritt das Echo dessen, was von altersher die Seele Schwedens bewegt hat, und das macht uns Selma Lagerlöf besonders teuer", heißt es in der Begründung der Nobelpreiskomitees, dessen erstes weibliches Mitglied sie fünf Jahre später wurde.

Lagerlöf hat zahlreiche Werke veröffentlicht, darunter Romane wie "Jerusalem", Novellen wie "Das Mädchen vom Moorhof" oder Erzählungen wie "Geschichten von Trollen und Menschen". Grundthema ist oft die schicksalsträchtige Verbindung von Mensch und Natur, das Ausgeliefertsein an die Landschaft, die das Geschick der Menschen bestimmt. Nahezu alles war ein Erfolg, so darf Lagerlöf mit Fug und Recht als die erste Bestseller-Autorin der Welt bezeichnet werden.

Liebe zu zwei Frauen

Nach der Veröffentlichung ihres ersten Romans hatte sie die Schriftstellerin Sophie Elkan kennengelernt, einige Jahre später die Lehrerin Valborg Olander. Viele Jahre ihres Lebens lebte Lagerlöf mit beiden Frauen zugleich zusammen. Die außergewöhnliche Liebeskonstellation wird eindrücklich in Holger Wolandts Briefband "Liebe Sophie - liebe Valborg. Eine Dreiecksgeschichte in Briefen" beschrieben. 

Lagerlöf war eine überaus moderne und weltoffene Frau. Sie war aufgeklärt, besaß Unternehmergeist, ein Automobil und hörte Radio. Bereits 1908 hatte sie das Gutshaus Mårbacka, das ihre Familie aus wirtschaftlichen Gründen hatte aufgeben müssen, zurückgekauft - mit dem Nobelpreisgeld erwarb sie auch das Land drumherum. Sie betrieb dort Landwirtschaft, ließ Hafermehl produzieren, baute das Gutshaus um und lebte ab 1923 dauerhaft dort.

Engagierte Politikerin, Pazifistin und Frauenrechtlerin

Sie galt als Ikone und Aushängeschild der schwedischen Nationalkultur im Ausland, kümmerte sich um Bedürftige und Unterdrückte und trat vor allem für die Rechte der Frauen ein. So kämpfte sie aktiv für deren Wahlrecht und engagierte sich auch in der Kommunalpolitik.

1933 beteiligte sich die überzeugte Pazifistin an einem Komitee zur Rettung jüdischer Flüchtlinge aus Deutschland. Der jüdischen Dichterin Nelly Sachs rettete sie das Leben, indem sie ihr zur Flucht nach Schweden verhalf. Am 16. März 1940 starb Selma Lagerlöf im Alter von 81 Jahren auf ihrem geliebten Gut Mårbacka.

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Dieses Thema im Programm:

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