Was Krebs für Körper und Seele bedeutet
Vor drei Jahren ist im spanischen Original der Debütroman "Las mutaciones" des Mexikaners Jorge Comensal, erschienen. Ein Buch, in dem es ganz allgemein um Veränderungen geht, im Besonderen aber um die Veränderung, die die Krankheit Krebs körperlich und vor allem psychisch bedeutet. Der Roman ist mittlerweile in einige Sprachen übersetzt worden, eine chinesische Übertragung ist in Arbeit. Nun liegt das Buch auch auf Deutsch vor.
Ramón stand vor dem Spiegel und riss den Mund auf wie ein wütender Pavian, wütend auf sich selbst. Leseprobe
Ramón verliert durch Zungenkrebs die Fähigkeit zu sprechen. Seinen Beruf als Anwalt muss er aufgeben. Kommunizieren kann er nur noch schriftlich. Sein Sohn interessiert sich mehr für das Internet als für den kranken Vater. Sein Bruder leiht ihm Geld für die Krebsbehandlung, erweist sich aber als skrupellos. In "Verwandlungen", Jorge Comensals beachtlichem Debütroman, fühlt sich Ramón nur noch in Gegenwart eines fluchenden Papageis wohl:
"Scheißkerl!" Ramón brach zum ersten Mal, seit der Tumor die Bühne betreten hatte, in Gelächter aus. Das mutierte Geräusch, das er ausstieß, ähnelte eher dem revierverteidigenden Knurren eines Seelöwen als einem menschlichen Ausdruck der Freude. Der Papagei antwortete: "Verarsch mich nicht!" Leseprobe
Wunderbar tragikomischen Szenen
Der Papagei spricht Ramón aus dem Herzen. Und Ramón klagt ihm in Gedanken sein Leid. Jorge Comensal gibt im Buch bewusst der Komik Raum, weil - so sagt er - Mexikaner dem Unglück eben oft mit Humor begegnen. Das führt zu wunderbar tragikomischen Szenen im Roman. So versucht ein Onkologe, seine sexuelle Lust auf eine Krebspatientin durch Musik von Bach zu unterdrücken. Friederike von Criegern hat das alles souverän ins Deutsche übertragen. Die grundlegenden Fragen des Romans: Wie verändert der Krebs, diese gnadenlose Genmutation, einen Menschen und sein Umfeld? Was bedeutet plötzliche Sprachlosigkeit?
Masterarbeit über den Verlust des Sprachvermögens
Der Autor hat seine Masterarbeit über den Verlust des Sprachvermögens geschrieben. Der Wandel überhaupt zieht sich leitmotivisch durch diesen originellen Roman. Offensichtlich ein Beleg für Comensals Faszination für die Veränderung. "Es ist wohl eher meine Angst vor der Veränderung", sagt er. "Das Schreiben dieses Romans hat mich selbst verändert, weil ich mich so dieser Angst stellen musste. Bis dahin hatte ich die Illusion, dass ich, indem ich gesund und vorsichtig lebe, Katastrophen verhindern kann. Aber gegenüber einer erblich bedingten Genmutation sind wir machtlos. Ich musste erst einmal lernen, dass das zum Mensch-Sein dazugehört, aber auch, dass eine noch so schlimme Veränderung auch Glücksmomente anstoßen kann. Und eine Freundschaft wie die zwischen dem Papagei Benito und der Figur Ramón."
Geistreich und einfühlsam zugleich
Mit Ende zwanzig hat Jorge Comensal diesen Roman veröffentlicht. Das Buch ist nicht perfekt, zeugt aber vom unerhörten Talent des Autors, geistreich und einfühlsam zugleich zu schreiben. Augenzwinkernd, aber ohne sie zu verraten, zeichnet Comensal Figuren, die sich nach Freiheit sehnen, aber in ihrer eigenen Welt gefangen sind: Ramóns Haushälterin in ihrer naiven Frömmigkeit, die Therapeutin Teresa, die sich auf Krebspatienten spezialisiert hat im Vokabular der Psychoanalyse, der junge Eduardo in seiner Keim-Phobie. Seit er als Kind Leukämie hatte, ekelt er sich vor Körperflüssigkeiten und lebt deshalb keusch. Nun studiert er, wie schon der Autor, spanische Literatur. Bleibt die Frage, ob wie Eduardo auch Jorge Comensal unter Kuss-Ekel gelitten hat. "Noch nie!", sagt er lachend. "Ich hatte zwar schon einen Sauberkeitsfimmel, aber das hat mir nie die Lust genommen, jemanden zu küssen."
Verwandlungen
- Seitenzahl:
- 192 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Rowohlt Verlag
- Bestellnummer:
- 978-3-498-02541-0
- Preis:
- 20,00 €
