Gustave Flaubert: "Lehrjahre der Männlichkeit"
Der Roman wurde bisher mit unterschiedlichen Titeln ins Deutsche übertragen, unter anderem: "Die Schule der Empfindsamkeit" oder "Die Erziehung der Gefühle".
Elisabeth Edl nähert sich mit ihrer gerade erschienenen Neuübersetzung der Aufgabe noch einmal ganz anders. Unter "Lehrjahre der Männlichkeit - Geschichte einer Jugend" erweckt sie das Paris rund um die Februar-Revolution von 1848 zum Leben - und mit ihr Frédéric Moreau, die Hauptfigur des Romans.
Der Roman polarisiert die Kritiker
Als Gustave Flauberts letzter Roman "Lehrjahre der Männlichkeit" 1869 erschien, urteilte das Feuilleton hart: Der Roman sei langweilig, keine Handlung, zu viele Wiederholungen, zu viel Durcheinander. Einzig George Sand und später Marcel Proust sprachen sich für das Buch aus. Sie lobten die konzeptuelle Kühnheit und die moderne Sprachkunst, mit der Flaubert seinen Protagonisten, den wohlhabenden Studenten Frédéric, in das politisch gedeckelte Gesellschaftsleben seiner Zeit eintauchen ließ.
Seine Verliebtheit treibt Frédéric in die Pariser Künstlerkreise
Aus der Provinz kommend sucht Frédéric in Paris nach Anerkennung in den künstlerischen Kreisen, in die er sich hineingeschmeichelt hat. Angetrieben wird er dabei nicht von Leidenschaft für Politik oder Malerei, sondern von einer Experimentierlust mit den eigenen Gefühlen. Er ist verliebt in die verheiratete Madame Arnoux.
Das Universum war mit einem Schlag weiter. Sie war der leuchtende Punkt, dem alle Dinge zustrebten; - und gewiegt vom Schaukeln des Wagens, mit halb geschlossenen Lidern, verschwommenem Blick, überließ er sich träumerischer, grenzenloser Wonne. Leseprobe
Lange bleibt es bei einer geträumten Liebe. Madame Arnoux entzieht sich. Flaubert zeigt sie durch die Augen Frédérics als fragmentiertes Objekt der Begierde, mal hört er ihre Stimme im Nebenzimmer, mal sieht er ein Stück ihres Nackens oder ihres Schuhs. Auf Umwegen zur Geliebten, beginnt Frédéric Beziehungen mit anderen Frauen. Eine Daily-Soap-Folge reiht sich an die nächste.
Eine Zeit zwischen Aufbruch und Entschleunigung
Man braucht Geduld, um sich wach durch all die Dialoge, Gesellschaftsszenen und gescheiterten Annäherungsversuche zu manövrieren. Aber diese Lähmung spiegelt eben nicht nur Frédérics Innenleben wider, sondern auch die frustrierende Realität der Monarchie. Im Volk brodelt es. Zulange wurden die Gefühle zurückgehalten, Repressionen ertragen - und endlich explodiert die Stimmung in der Stadt.
Die Männer, die man hervortauchen sah, hatten glühende Augen, fahle Haut, vom Hunger ausgezehrte Gesichter. Doch es türmten sich Wolken; und weil der Gewitterhimmel die elektrische Spannung der Menge noch steigerte, wirbelte sie um sich selbst, unentschlossen, mit mächtigem Gewoge; und man spürte in ihren Tiefen eine ungeheure Kraft und etwas wie die Energie eines Elements. Leseprobe
In Sätzen wie diesen bündeln sich die aufregenden Erkenntnisangebote, die "Lehrjahre der Männlichkeit" bereithält. Zoomt man heraus aus der Lektüre offenbart sich ein mutiges und absolut stimmiges Tableau der intimen Entwicklungsgeschichte einer Seele in ihrer Zeit. Frédéric reibt sich auf am Widerspruch des leidenschaftlichen Aufbruchs und der Entschleunigung durch die Schranken der Realität.
Da überlief ihn ein Frösteln, eisige Traurigkeit, als habe er ganze Welten von Elend und Verzweiflung erblickt, ein Kohlebecken neben einem Gurtbett, und die Leichen im Schauhaus mit Lederschurz, dazu der Hahn, aus dem auf ihr Haar kaltes Wasser rinnt. Leseprobe
Hilfreiche Erläuterungen im Nachwort der Übersetzerin
In dem wunderbar zugänglichen Nachwort der Neuausgabe von Übersetzerin Elisabeth Edl erläutert sie nicht nur die Entstehung der "Lehrjahre" und Goethes Einfluss auf den Roman, sie stellt auch die eine Szene heraus, die wie eine Lichtquelle aus den 600 Seiten hervorbricht.
Während in Paris der Arbeiteraufstand wütet, ist Frédéric mit einer seiner Geliebten aufs Land gereist. Die beiden durchschreiten die schöne, menschenleere Landschaft von Fontainebleau, in der alles so still ist - und so hoffnungsvoll.
Seite an Seite auf der Anhöhe stehend, den Wind einatmend, spürten sie etwas wie den Stolz eines freieren Lebens in ihre Seelen dringen, und zugleich einen Überschuss an Kraft, eine grundlose Freude. Leseprobe
Lehrjahre der Männlichkeit
- Seitenzahl:
- 800 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Hanser
- Bestellnummer:
- 978-3-446-26769-5
- Preis:
- 42,00 €
