Alte Schwarz-Weiß-Abbildung eines ernst blickenden Mannes mit Vollbart. © Imago / World History Archive

Fjodor Dostojewski und die Abgründe der Menschen

Stand: 11.11.2021 13:41 Uhr

Vor 200 Jahren wurde der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski geboren - bis heute sind seine Romane aktuell, denn Dostojewski schrieb über Elend und Sinnsuche. Zur Weltliteratur zählt auch sein kleiner Roman "Der Spieler".

von Hanjo Kesting

Als man das Werk Dostojewskis nach seinem Tod 1881 in ganz Europa zu lesen begann, löste es jenes Erdbeben des Geistes aus, das noch ein halbes Jahrhundert nachwirkte. "Von den großen Grenzüberschreitern der Literatur", schrieb etwa Stefan Zweig, "ist Dostojewski in unseren Tagen der größte gewesen…" Das galt vor allem für seine fünf großen späten Romane, in denen seine Erzählkunst in jene Kellerräume der Seele und Labyrinthe des Menschlichen vordringt, die er wie kein anderer Romanautor vorher und nachher erschlossen hat.

Den Roman "Der Spieler", das kleine Meisterwerk, das gleich nach "Verbrechen und Strafe" geschrieben wurde, schrieb Dostojewski 1867 gleichsam auf Messers Schneide, in größter materieller Not und persönlicher Bedrängnis. Denn nachdem Dostojewski alle Rechte an seinen Büchern, den früheren wie den künftigen, verpfändet hatte, blieben ihm nur knapp vier Wochen für die Niederschrift des Buches. Und er behandelte ein Thema, das sein Leben zehn Jahre lang wie eine Obsession beherrscht hat, nämlich die Spielsucht.

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Handlung von Dostojewskis "Der Spieler"

Der Roman spielt in einem fiktiven deutschen Ort mit Namen Roulettenburg, der Ich-Erzähler - er heißt Alexej Iwanowitsch - ist Hauslehrer einer russischen Generalsfamilie, die sich in einem vornehmen Hotel einquartiert hat. Obwohl man kein Geld hat, lebt man auf großem Fuß, in täglicher Erwartung einer üppigen Erbschaft. Unentwegt werden Telegramme nach Moskau gesandt mit der Frage nach dem Gesundheitszustand einer reichen Erbtante - dahinter spürt man nackte Verzweiflung. Alexej Iwanowitsch, der Hauslehrer, liebt Polina, die Tochter des Generals, ohne zu wissen, ob sie seine Gefühle erwidert. Und er soll ihr am Spieltisch das dringend benötigte Geld verschaffen.

Bevor Alexej Iwanowitsch den ersten Einsatz wagt, wird die Atmosphäre des Spielsaals und das Milieu der Spieler aufs Genaueste beschrieben. Über mehrere Seiten hinweg entwickelt Dostojewski eine Typologie der Glücksspieler, an ihrer Spitze die Spieler aus Leidenschaft, die dem Glücksspiel verfallen sind. Alexej Iwanowitsch versucht sich zum ersten Mal im Glücksspiel, und dass er es nach dem ersten Gewinn vorzeitig beenden kann, zeigt, dass er noch nicht ganz von der Faszination des Spiels erfasst ist. Wie so viele männlichen Helden Dostojewskis erniedrigt er sich vor der geliebten Frau und verwandelt die Demütigung zuletzt in Aggression. Sein Verhältnis zu Polina enthält viel Zündstoff aus den verborgenen Zonen der menschlichen Seele, der jederzeit zur Entladung kommen kann.

Dostojewski wirft Licht in die Abgründe der Menschen

Dann erscheint unerwartet die reiche Erbtante auf der Bildfläche, keineswegs dem Tode nah, sondern quicklebendig, und verspielt fast ihr ganzes beträchtliches Vermögen. So nimmt die Katastrophe ihren Lauf, besonders für jene, die auf die Erbschaft ihre Hoffnung gesetzt hatten. Alexej Iwanowitsch sucht noch einmal den Spielsalon auf, um sich und Polina zu retten, und noch einmal erlebt man ihn als Spieler in seinem Rausch und Selbstbetrug. Der Gewinn verleiht ihm ein so unwiderstehliches Machtgefühl, dass er sich als Herr seines Schicksals sieht. Polina, derentwegen er den Spielsaal aufgesucht hat, ist in diesem Augenblick längst vergessen. Als er ihr den Gewinn überbringt, weigert sie sich, das Geld anzunehmen und schleudert es ihm ins Gesicht. Und so hat Alexej um des Glücksspiels willen auch sein Liebesglück verspielt. Danach zieht er von Kasino zu Kasino, rettungslos der Spielsucht verfallen.

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Psychologischer Realismus und intellektuelle Intensität

Man hat in Dostojewskis Büchern zuweilen künstlerische Mängel gefunden, aber das gilt nicht für den Roman "Der Spieler", der trotz seiner raschen, fast improvisierten Entstehung sorgfältig komponiert ist und mit der Episode der Erbtante einen tragikomischen Höhepunkt erreicht. Oft ist bemerkt worden, dass Dostojewski ein verkappter Dramatiker ist, der die Charaktere im Gespräch entfaltet, und zwar mit einer unerhörten intellektuellen Intensität und einem psychologischen Realismus, mit dem er tief in die Abgründe der Menschen hineinleuchtet. Mit Recht hat man von Ideenromanen gesprochen. Der kleine Roman "Der Spieler" ist in diesem Reigen der großen Ideenromane ein beinahe heiteres Intermezzo.

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