Kulturpass für 18-Jährige: "Ich bin nicht so euphorisch"

Stand: 14.06.2023 15:13 Uhr

Kann es mit dem Kulturpass gelingen, jungen Menschen einen besseren Zugang zu Kultur zu ermöglichen? Fragen an die Direktorin der Bundesakademie Wolfenbüttel, Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss.

Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss © Petra Coddington Foto: Petra Coddington
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Frau Reinwand-Weiss, Kulturstaatsministerin Claudia Roth ist regelrecht euphorisch, was den Kulturpass angeht. Teilen Sie diese Begeisterung?

Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss: Nein, ich bin nicht so euphorisch, was den Kulturpass angeht. Ich finde, es ist ein gutes kulturpolitisches Instrument, was den Blick eher auf die Nachfrageseite, anstatt immer nur auf die Angebotsseite wendet. Aber dass man Menschen, die bislang keine Kulturangebote genutzt haben, durch den Kulturpass an die Kulturangebote heranführt, geht wahrscheinlich in dieser Form, wie es gedacht ist, nicht auf.

Bei dem Angebot habe ich auch ein paar Fragezeichen: Musikinstrumente und Noten gehen - Kunstkurse nicht. Actionfilme sind okay - Computerspiele aber nicht. Das gilt dann auch zum Beispiel für ein Computerspielmuseum. Können Sie die Auswahl nachvollziehen?

Reinwand-Weiss: Ich kann nachvollziehen, wie es zu dieser Auswahl kam, aber von der kulturellen Teilhabe aus gesehen macht es überhaupt keinen Sinn. Gerade kulturelle Bildungsangebote oder Angebote im sogenannten non-formalen Bereich, also außerhalb der klassischen Kulturinstitutionen wie der Schule, wären so wichtig, gefördert zu werden. Weil das ein Instrument ist, wie ein Kontakt zu Kulturanbietern erstmal hergestellt werden kann. Das ist wirklich ein großer Kritikpunkt, dass diese Angebote nicht mit aufgeführt sind. Das müsste dringend nachgebessert werden.

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Jemand, der kaum Deutsch kann und als Geflüchtete hierher gekommen ist, kommt vielleicht auch gar nicht dran, oder?

Reinwand-Weiss: Genau. Es ist insgesamt eine Frage der Zugänglichkeit zum Kulturpass an sich. Die Wege, an den Kulturpass zu kommen, werden versucht, mit der App zu erleichtern, aber auch das ist erstmal eine bürokratische Hürde, die ich nehmen muss. Außerdem muss ich mir einen Überblick über das Angebot verschaffen. Dann ist es wahrscheinlich so, dass ich nur solche Angebote nutze, die ich in irgendeiner Form einschätzen kann und vielleicht schon mal kennengelernt habe. Dass ich mir zum Beispiel ein Theaterstück anschaue, wenn ich noch nie im Theater gewesen bin, halte ich für relativ unwahrscheinlich. Das ist aber ein Argument, mit dem der Kulturpass immer wieder angeführt wird, dass junge Menschen auch an klassische Kultureinrichtungen herangeführt werden. Ich glaube, das ist etwas, was so nicht aufgeht.

Beim Schönberger Musiksommer gibt es ein Schülerprojekt, bei dem sich Jugendliche der zehnten Klasse um die Organisation kümmern. Der Leiter sagte gestern im Interview, dass die Schüler*innen es über die Pandemie überhaupt nicht in ihr Repertoire aufgenommen hatten, dass man auch Konzerte besucht - deswegen dieses Projekt. Wäre so etwas nötig, ein aktives Dahin-Bringen?

Reinwand-Weiss: Was nötig wäre, ist eine stärkere Förderung und Aufwertung von kultureller Bildung und Vermittlung und eine Um- und Neustrukturierung von klassischen und vor allem staatlich geförderten Kultureinrichtungen. Denn hier haben wir es immer noch mit einer Elite zu tun, die diese Kultureinrichtungen nutzt. Corona hat diese Entwicklung verstärkt, aber es ist nicht allein eine Entwicklung, die nur Corona geschuldet ist. Sondern es geht darum, dass wir die Zugänglichkeit und die Berührungspunkte, die gerade junge Menschen haben - auch schon in einem frühen Alter und nicht erst mit 18 Jahren -, verstärken müssen.

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Sie haben von Umstrukturierungen bei den Kulturanbietern gesprochen. Was heißt das am Beispiel Festspiele Mecklenburg-Vorpommern oder Schleswig-Holstein Musikfestival. Was müssen die tun, beziehungsweise was tun die schon?

Reinwand-Weiss: Ich muss mich fragen, wen ich eigentlich mit diesem Angebot erreichen will. Und wenn das ein Angebot ist, das überwiegend aus privaten Mitteln gefördert wird, dann bin ich vollkommen frei, meine Zielgruppe, und sei sie auch noch so klein, zu bestimmen. Wenn das aber ein staatlich gefördertes und unterstütztes Angebot ist, wo alle Steuerzahler*innen drauf einzahlen, dann muss ich auch den Anspruch haben, eine möglichst breite Masse zu erreichen und vor allem Leute, die sich das nicht auch schon selber leisten können, ohne diese staatliche Bezuschussung. Es ist also ein Umdenken nötig, was das Publikum angeht, aber auch ein Umdenken, was das Programm angeht. Was biete ich an, was vielleicht auch breitere Bevölkerungsschichten interessieren könnte? Es ist ein Umdenken in der Vermittlung nötig: Wie schlage ich Zugänge dahin? Es geht auch um ein Umdenken im Personal und bei der Partnerwahl: Mit welchen Partnern arbeite ich zusammen, über die ich vielleicht auch Menschen erreiche, die ich bislang noch nicht erreicht habe? Wir reden immer von einer Öffnunf - und diese Öffnungsbemühungen finden in den Kultureinrichtungen zu wenig statt.

Das ist ein Anspruch, der nicht plötzlich heute im Raum steht, sondern schon länger formuliert wird. Gibt es positive Beispiele, die Sie nennen können?

Reinwand-Weiss: Ja, es gibt einige positive Beispiele, zum Beispiel das Staatstheater in Braunschweig: Die haben so einen kleinen Kiosk direkt im Eingangsbereich des Theaters eingerichtet, den man tagsüber besuchen kann. Allein, wenn man einfach mal einen Kaffee trinkt oder so, ist man schon ganz nah am Theater dran und kommt vielleicht auch mit Mitarbeitenden ins Gespräch. Es gibt natürlich positive Beispiele, aber die zentrale Frage ist: Wie wirke ich in die Stadtgesellschaft hinein? Wie werde ich als Theater, als Museum oder als Konzerthaus sichtbar als ein Ort, wo jeder sich das niedrigschwellig anschauen kann? Das ist eine Frage, die sich alle Kulturinstitutionen stellen müssen. Wo sind die relevanten Fragenthemen vor Ort? Wie sieht mein Publikum vor Ort aus? Welche Kanäle gibt es, mit diesem Publikum in Kontakt zu kommen?

Es gibt auch Stimmen, die sagen: Mit 18 ist der Zug schon abgefahren. In Frankreich gilt das für 14 bis 17-Jährige. Wäre das auch in Ihrem Sinne?

Reinwand-Weiss: Ich würde sogar noch vorher anfangen, im frühkindlichen Bereich, Kulturangebote bereits für Kinder zu schaffen, die im Kindergarten oder in der Grundschule sind. Je früher ich schon mal kennenlerne, dass es so etwas gibt wie ein Theater, ein Museum oder ein Ausstellungshaus, desto natürlicher bewege ich mich darin. Und es hat einen weiteren Vorteil: Ich kriege gleichzeitig auch die Eltern. Denn gerade, wenn ich die Menschen zwischen 20 und 50 erreichen will, die oftmals sehr belastet sind mit Job und Familie, muss ich ein Angebot schaffen, was für diese Familien gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt. Wenn ich weiß, dass ich selber mal wieder ins Theater gehen kann und gleichzeitig etwas mit meinen Kindern mache, dann habe ich quasi schon die ganze Familie erreicht. Ich schaffe es vielleicht auch noch, dass Diskussionen über das Kulturangebot in der Familie fortgeführt werden und dass Kinder ganz natürlich mit diesem Angebot aufwachsen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie das später zumindest hin und wieder auch mal nutzen, ist dadurch wesentlich höher, als wenn dies überhaupt nicht passiert.

Das Interview führte Mischa Kreiskott.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal Gespräch | 14.06.2023 | 16:30 Uhr

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Kulturpolitik

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