Die Theologin Sarah Vecera © privat

Sarah Vecera träumt von einer Kirche ohne Rassismus

Stand: 08.05.2022 16:50 Uhr

"Wie ist Jesus weiß geworden? Mein Traum von einer Kirche ohne Rassismus", heißt das Buch von Sarah Vecera. Kirche sei der Ort, an dem sie viel Gutes erfahren habe: "Ohne Kirche wäre ich nicht die Person, die ich heute bin", sagt Vecera.

"Und gleichzeitig tritt Rassismus eben sehr verschleiert in unserer Kirche auf - eben in diesem gut gemeinten, in guter Absicht, hier sind alle Willkommen, wir sind doch alle gleich." Aus ihrer Sicht führe die fehlende Aufarbeitung der Geschichte, die sehr weiße, eurozentrische Perspektive zu diesem Missverhältnis, und das führe eben auch dazu, dass People of Color eher Empfangende seien, die in unserer Kirche keinen sicheren Raum hätten, erläutert die Theologin weiter.

Also was bedeutet das, sie haben keinen Raum, konkret?

Sarah Vecera: Das bedeutet, dass People of Color in eine Kirche gehen und sich selbst eher als diejenigen sehen, die EmpfängerInnen sind, die kommen natürlich in unseren Kirchen vor - und zwar auf Spendenplakaten, auf Fairtrade-Produkten, in Fürbitten-Gebeten, als die Menschen, die eben hilfsbedürftig sind, aber sie sehen keine Person of Color in unseren Leitungsgremien, in den Kreisen, die Kirche auch gestalten aus ihrer Perspektive heraus.

Warum haben Sie sich die Kirche vorgenommen? Würden Sie sagen, dass die Kirche besonders rassistisch ist im gesellschaftlichen Vergleich?

Vecera: Ich habe mir die Kirche vorgenommen, weil Kirche mir wichtig ist. Ich bin gerne in der Kirche und schätze sehr, sehr viel in der Kirche, und gleichzeitig tritt Rassismus eben sehr verschleiert in unserer Kirche auf, eben in diesem gut gemeinten, in guter Absicht. Hier sind alle willkommen. Wir sind doch alle gleich. Die afroamerikanische Professorin und Autorin Bell Hooks spricht von einem "Myth of sameness" - der Mythos der Gleichheit, und unter diesem Deckmantel verhandeln wir eigentlich Rassismus, dass wir sagen, wir sind doch alle gleich.

Mögen Sie mal ein Beispiel geben, was gut gemeint ist, aber sich im Kern dann doch aus Ihrer Sicht als rassistisch zeigt.

Vecera: Ach, wissen Sie, ich bin mit dem Wort "rassistisch" jetzt sehr vorsichtig, weil es eben zu ganz viel Abwehr und Schuldzuweisungen kommt. Ich würde nie zu einer Person sagen: weil du das gefragt hast oder das gesagt hast, bist du jetzt rassistisch. Das hat gleich so einen Beigeschmack von Schuldzuweisungen, ist sehr mit Scham und Schuld belastet, und so kommen wir, glaube ich, nicht voran. Ich würde eher sagen, dass die Frage nach der Herkunft ungünstig und verletzend sein kann - was manchen Menschen gar nicht so bewusst ist... Es gibt zahlreiche Diskussionen, ob man die Frage stellen darf. Letztendlich darf man alles, es ist ja nicht verboten, Menschen zu fragen, wo wir herkommen. Aber für People of Color hat es eben häufig den Beigeschmack, dass sie das wesentlich öfter gefragt werden als weiße Menschen, obwohl sie eben gar nicht woanders herkommen. Also, ich komme aus Oberhausen, werde aber öfter gefragt, wo ich herkomme...

Also geht es Ihnen darum, dass man stärker sensibilisiert wird dafür, dass da ein Schmerz im Hintergrund steht durch die jahrelangen Verletzungen, die es einfach gegeben hat?

Vecera: Ja genau, und auch intersektional gesehen bin ich generell sensibler geworden im Fragenstellen. Es gibt mehrere Fragen, die auch Wunden aufreißen können bei Menschen, die mir gar nicht bewusst sind. Wenn ich auf einer Party bin und jemanden frage, was er beruflich macht und die Person ist aber gerade arbeitslos - kann ich damit ja genauso in ein Fettnäpfchen treten und Menschen verletzen. Ich glaube, ich bin durch die Auseinandersetzung mit Rassismus doch generell vorsichtiger und achtsamer geworden in jeglicher Art von Fragen, weil bei der Frage, was machst du beruflich, kann ich natürlich in die Klassismus-Falle tappen und da auch Menschen verletzen, was mir vielleicht vorher gar nicht so bewusst war.

Hast du Kinder?

Vecera: Genau, diese Frage auch, ja.

Auf der anderen Seite, also ich habe das gemerkt bei der Vorbereitung auf das Interview mit Ihnen, war ich sehr verunsichert und habe gedacht, ich möchte mich nicht als Rassistin offenbaren - aus Versehen etwas sagen, was verkehrt ist. Und das merke ich bei ganz vielen, dass wir verunsichert sind. Was können wir machen, um weitere Verletzungen zu verhindern?

Vecera: Also, das will ich ja überhaupt nicht, dass Menschen verunsichert werden und Angst haben, dass ich sie als rassistisch betitele. Das ist auch mein großes Anliegen mit dem Buch und auch mit meiner antirassistischen Arbeit, dass wir sprachfähig werden. Und zwar in einer Art und Weise, dass wir einander auch gnädig in den Blick nehmen und nicht mit Schuldzuweisungen oder mit erhobenem Zeigefinger arbeiten, sondern gemeinsam gucken, wo kommen denn manche Vorurteile in mir her.

Der Titel Ihres Buches heißt "Wie ist Jesus weiß geworden?" Wie ist er weiß geworden, woran merken wir oder woran merken Sie, dass er weiß ist in unserer Vorstellung?

Vecera: Das merke ich nicht nur in meiner Vorstellung, das sehe ich im bekanntesten Jesus-Film, in diversen Kinderbibeln, in unseren Illustrationen und Abbildungen in der Kirche, dass Jesus europäische Gesichtszüge hat.

Man könnte jetzt einfach sagen, okay, Inuit stellen sich den Jesus so vor, wie sie selbst aussehen, und jeder darf sich den so vorstellen, wie er ist. Aber schlimm ist sozusagen die Geschichte und die Abwertung von Menschen dadurch?

Vecera: Wenn wir das alles im luftleeren neutralen Raum beobachten würden, dann wäre es sicherlich nicht schlimm, sich Jesus anzueignen. Es gibt ja auch in anderen Teilen der Welt Krippendarstellungen, wo Jesus auch angeeignet wurde. Aber in Europa haben wir eben diese Kolonialgeschichte und auch die Nazigeschichte in Deutschland im Gepäck.

Haben Sie bei sich selbst auch schon mal rassistische Züge entdeckt?

Vecera: Ja, auf jeden Fall. Ich bin in der weißen Mehrheitsgesellschaft groß geworden. Ich habe genau dieselben Kinderbücher und Kinderlieder gehört und gesungen, bin genauso geprägt wie Sie. Also, auch bei mir war das eine Entwicklung, ich bin ja nicht so sprachfähig wie ich heute bin auf die Welt gekommen und auch nicht so reflektiert. Ich habe aber in gewisser Weise einen Vorsprung, weil ich von Geburt an schon gemerkt habe, hier ist irgendwas nicht stimmig. Ich werde als anders, als fremd, als schön, aber eben besonders als etwas anderes wahrgenommen. Dadurch hatte ich ein Gefühl dafür, was Rassismus ist.

Welche Rolle spielt Ihr Glauben bei Ihrem Vorgehen gegen Rassismus?

Vecera: Die Bibel ist für mich von vorne bis hinten antirassistisch und auch diskriminierungssensibel. Gott als jemand, der oder die Geschichte schreibt mit Menschen, die unterdrückt werden, durch den Exodus rettet, mit Menschen Geschichte schreibt, die am Rande stehen. Jesus, der auf Menschen zugegangen ist, auch auf Frauen und andere marginalisierte Gruppen, die eben am Rande standen und nicht gesehen worden sind, die ausgegrenzt worden sind. Die ersten Gemeinden, die entstanden, wo Paulus vor Spaltung warnt - das sind für mich alles Zeichen und ein roter Faden in der Bibel, der mir zeigt: Menschen, die am Rand stehen, die marginalisiert werden, die diskriminiert werden, mit denen müssen wir oder sollten wir weiter auch Kirche gestalten. Die Personen müssen wir hörbar machen und sichtbar machen.

"Mein Traum von einer Kirche ohne Rassismus", heißt ja der Untertitel Ihres Buches. Geht das in die Richtung von "Ich habe einen Traum"?

Vecera: Ich bin sehr hoffnungsfroh und hoffnungsvoll. Seit dem Mord an George Floyd und den aufkommenden "Black Lives Matter"-Bewegungen ist nicht nur gesamtgesellschaftlich ein großes Interesse da, sondern auch in der Kirche gibt es ein großes Interesse an dem Thema Rassismus, an den eigenen Verstrickungen, und daran, Kirche diverser und pluraler zu gestalten. Von daher bin ich sehr, sehr hoffnungsvoll und freue mich auf alles, was kommen wird.

Das Interview führte Susanne Richter. Redaktion: NDR

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Gott und die Welt - der Podcast | 14.05.2022 | 07:40 Uhr

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