Ein Mann sitzt in einer Kirchenbank und betet. © Kirche im NDR Foto: Christine Raczka

Gott legt keinen Wert auf formvollendete Rede

Stand: 05.05.2022 09:15 Uhr

Beten ist einfach, so heißt es. Aber manchmal fehlen mir einfach die richtigen Worte. Ich kann doch nicht einfach drauf losplappern. Schließlich will ich mit Gott sprechen.

von Theologin Jacqueline Rath

Ich greife dann gerne zur Bibel, um zu schauen, wie die Menschen dort zu Gott gesprochen haben und lasse mich von ihren Worten inspirieren. Was allerdings passiert, wenn man sich nur an fremden Worten orientiert, das erzählt ein altes chassidisches Märchen. Es berichtet von einem Mann, der den ganzen Tag auf dem Markt gewesen war. Auf dem Heimweg merkte er, dass er sein Gebetbuch nicht bei sich hatte. Und damit nicht genug: Mitten im Wald brach ein Rad seines Karrens entzwei.

Da wurde der Mann sehr betrübt, denn der Tag würde vergehen, ohne dass er seine Gebete verrichtet hatte. Also betete er: Ich habe etwas sehr Dummes getan, Herr. Ich bin heute früh ohne mein Gebetbuch von zuhause fortgegangen. Jetzt stehe ich mitten im Wald und mein Gedächtnis ist so schlecht, dass ich kein einziges Gebet auswendig sprechen kann.

Gebete aus aus einem einfachen und ehrlichen Herzen

Deshalb werde ich dies tun: Ich werde fünfmal ganz langsam das ABC aufsagen. Und du, der du alle Gebete kennst, kannst die Buchstaben zusammensetzen und daraus die Gebete machen, an die ich mich nicht erinnern kann. Und so machte er es. Und der Herr im Himmel sprach zu seinen Engeln: Viele Gebete habe ich heute gehört. Aber dies war ohne Zweifel das Beste, denn es kam aus einem einfachen und ehrlichen Herzen.

Diese kleine Geschichte zeigt: Gott legt keinen Wert auf formvollendete Rede. Und ich glaube daran, dass, wenn ich vielleicht auch stotternd und zweifelnd aber von Herzen zu ihm spreche, er mir am nächsten ist.

Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | 05.05.2022 | 09:40 Uhr

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