Futsal in der Sporthalle Wandsbek. Moritz Samuelsdorf (l.) und Marko Wieczoreck, Fans der HSV Panthers. © NDR Foto: Christian Görtzen

Wie die WM in Katar ein Futsalspiel in Hamburg zum Erlebnis macht

Stand: 21.11.2022 09:33 Uhr

Boykottiert die WM in Katar, unterstützt besser andere, bislang nicht ganz so beachtete Teams unseres Vereins - so hatten die HSV Supporters an ihre Mitglieder appelliert. Und die setzen das um. Dies war beim Futsal-Derby der HSV-Panthers gegen den FC St. Pauli eindrucksvoll zu erleben.

von Christian Görtzen

Eine gute halbe Stunde vor dem Anpfiff des Stadtderbys in der Sporthalle Wandsbek ist die Zeit gekommen: Das Offizielle muss weichen. Für etwas, das eine große Zahl an Fußball-Fans als das Gebot der Stunde betrachtet. Und so wird ein Banner der Futsal-Bundesliga, auf dem eine Schattenfigur geradezu tänzerisch den Ball mit der Ferse kickt, über die Brüstung der Tribüne gezogen und der freigewordene Platz etwas weiter unten an der Hallenwand zügig wieder ausgefüllt.

Durch ein Spruchband in Schwarz, Weiß und Blau, den Farben des Zweitligisten Hamburger SV, und nur zwei Worten: "Boycott Qatar". Es bedarf nicht einmal eines Ausrufezeichens, so kurz und prägnant ist die Aussage - und so anklagend. Auf dem Banner sind, stilisiert in roter Farbe, zusätzlich sechs Handabdrücke zu sehen. Jeder einzelne zieht dicke Tropfen und lange Schlieren nach sich. Die Botschaft ist eindeutig: "An euren Händen klebt Blut!"

"An Katar entlädt sich vieles. Über Jahre hat sich angestaut, dass sich der Fußball immer mehr von den Leuten entfernt, die den Fußball unterstützen." Simon Philipps. HSV Supporters

Gerichtet ist sie an den WM-Gastgeber Katar, der beim Bau seiner Hightech-Arenen den Tod Tausender ausländischer Niedriglohn-Arbeiter offenbar als Kollateralschäden einpreiste. Aber explizit auch an den Weltfußballverband FIFA, der 2010 mit seinem Votum für den nur 2,9 Millionen Einwohner großen, dafür unerhört reichen Wüstenstaat diese höchstumstrittene Weltmeisterschaft überhaupt erst möglich gemacht hat.

Große Resonanz auf Boykott-Aufruf der Supporters

"An der WM in Katar entladen sich viele Dinge, die im Profifußball generell falsch laufen", sagt Simon Phillips, Mitglied im Führungsgremium beim HSV Supporters Club, während sich unten auf dem Spielfeld die HSV-Panthers und der FC St. Pauli Futsal auf ihre Partie vorbereiten. "Die WM wurde gekauft. Ja, das wurden viele. Sie findet aber in einem Land statt, in dem Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind. Das sind die Punkte, die dagegen sprechen. Und auch die Arbeitsbedingungen der Menschen, die die Stadien dort gebaut haben."

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Dies alles habe dazu geführt, dass die Supporters tätig wurden. Die größte Abteilung des HSV rief seine 65.000 Mitglieder zum aktiven Boykott auf und entwickelte gemeinsam mit dem Förderkreis Nordtribüne ein Alternativ-Programm. Nach dem Motto: Schaltet nicht die WM ein, unterstützt lieber HSV-Mannschaften aus anderen Bereichen. Der Auftakt des fünf Spiele umfassenden Winterprogramms des HSV habe sich schon einmal exzellent sehen lassen können, so Philipps im Gespräch mit dem NDR.

500 Fans beim Rollstuhl-Basketball

Sowohl beim Spiel der Fußball-Frauen am 13 November in der Regionalliga gegen Hannover 96 als auch bei der Partie des Rollstuhlbasketball-Bundesligisten BG Baskets gegen Hannover United am 16. November war der Fan-Support ein ganz anderer - ein auf einmal sehr deutlich spürbarer. Philipps: "Bei unseren Fußballerinnen waren es 500 Leute, da sind sonst so 100. Und auch beim Rollstuhlbasketball waren es 500, immerhin an einem Mittwochabend. Man sieht: Die Leute haben total Lust darauf."

Polizei eskortiert große Gruppe von HSV-Anhängern zum Futsal-Spiel

Das zeigt sich auch am Sonntag in Wandsbek - eindrücklich! Um 14.35 Uhr erreicht eine große Gruppe von 600 bis 700 HSV-Fans die Halle in der Rüterstraße, eskortiert von Kräften der Polizei, die bei - Achtung! - einem Futsalspiel mit einer Hundertschaft im Einsatz ist. Als Schiedsrichter Omar Amarkhel aus dem Innenraum der Halle durch ein Fenster auf die Menge auf den Vorplatz blickt, kann er es kaum glauben.

"Was ist das denn? Wahnsinn!", ruft er lachend aus, während er mit seinem Smartphone einige Fotos schießt. Seine Vorfreude auf die Partie sei ohnehin schon groß gewesen, sagt er, aber jetzt kribbele es so richtig: "Das wird ein besonderes Erlebnis. Ich bin nervöser als sonst."

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Schelte von den Rängen gibt es für ihn aber nicht. Die HSV-Fans arbeiten sich ein bisschen am Gegner ab, adressieren Beleidigungen an den braun-weißen Anhang und sorgen mit ihren Gesängen für eine erstaunliche Stadionatmosphäre bei einem Futsalspiel, das aufgrund des Einsatzes der Spieler und der damit einhergehenden Intensität richtig gut anzusehen ist.

Zudem steigt die Stimmung: Denn anders als in Katar, wo zwei Tage vor dem Eröffnungsspiel das Ausschankverbot von Alkohol in den Stadien verkündet wurde, gibt es in Wandsbek diesbezüglich keine Einschränkungen.

Einige HSV-Fans hin- und hergerissen

Jeweils ein Bier in ihren Händen halten auch die HSV-Fans Moritz Samuelsdorf und Marko Wieczoreck. Beide sind im Besitz eines 18,87-Euro-Tickets, das Eintritt zu den fünf Partien des Winterprogramms bietet. "Ich supporte schon länger Frauenfußball, meine Nichte spielt dort", sagt Samuelsdorf, der beim Katar-Thema zwiegespalten sei. Die Aktion der Supporters begrüßt er ausdrücklich, ebenso wie Versicherungskaufmann Wieczoreck.

Futsal in der Sporthalle Wandsbek. Moritz Samuelsdorf (l.) und Marko Wieczoreck, Fans der HSV Panthers. © NDR Foto: Christian Görtzen
Futsal in der Sporthalle Wandsbek. Moritz Samuelsdorf (l.) und Marko Wieczoreck, Fans der HSV-Panthers.

"Die politische Lage in Katar ist natürlich scheiße - gerade, was die Rechte von Homosexuellen und Frauen anbelangt. Ich werde aber dennoch WM-Spiele schauen. Denn ich glaube nicht, dass ich etwas ändere, indem ich nicht einschalte", ergänzt Samuelsdorf, der dabei auf moralische Dilemmata in anderen Bereichen hinweist. "Reisen mit dem Flugzeug oder mit dem Auto, die Herstellung von Handys oder das Tragen von Markenklamotten, wo dann Kinderarbeit dahinter steckt." Da ließe sich auch vieles anprangern, so der 35 Jahre alte Erzieher.

Für seine Haltung, dass er sich die WM-Spiele anschauen wolle, müsse er sich in seinem Freundes- und Bekanntenkreis schon hin und wieder rechtfertigen, räumt er ein. Samuelsdorf: "Ein Freund von mir ist da sehr entschieden. Er boykottiert die WM."

1.300 Zuschauer in Wandsbek - Rekord der Futsal-Bundesliga

Einige Plätze von den beiden entfernt sitzt Shain Olfat. Der 35 Jahre alte Lehrer hofft darauf, dass eine WM in Katar über einen längeren Zeitraum betrachtet auch etwas Gutes haben könnte, dass davon für das Land ein positiver Impuls ausgeht. "Die Menschenrechtslage ist dort nicht so, wie wir es kennen, klar. Aber ohne die WM dort gibt es vermutlich auch nicht den Ansporn, dort etwas zu tun. Man muss dem Land auch die Möglichkeit geben, sich zu entwickeln", sagt Olfat.

Er ist einer von 1.300 Zuschauern in der Sporthalle Wandsbek. Ein "ausverkauftes Haus" wird freudig und stolz über Lautsprecher verkündet. Mehr noch: Es ist ein Zuschauerrekord der Futsal-Bundesliga. Und das Publikum bekommt von den Teams gute Unterhaltung geboten, großen Einsatz - ehrlichen Sport! Genau das, was sich alle erhofft hatten. Am Ende, nach einem zwischenzeitlichen Ausgleich der Braun-Weißen, siegen die Panthers mit 3:1. Das Team feiert ausgelassen vor der Tribüne mit den Supporters.

"In der Form wie heute habe ich ein Futsalspiel noch nicht erlebt." Michael Meyer, HSV Panthers

"Es war ein wundervoller Sieg", sagt Kapitän Michael Meyer. "Auf so etwas habe ich elf Jahre hingearbeitet. Mit den vielen Fans, und dann mit meiner Frau und meinem Sohn an meiner Seite - schöner geht es nicht. In der Form wie heute habe ich ein Futsalspiel noch nicht erlebt." Auch St. Paulis Kapitän Sebastian Dudek zeigt sich nach dem Schlusspfiff von der Atmosphäre beeindruckt. "Der HSV-Support war mega."

Und in Sachen Katar? Die kritische Haltung gegenüber der WM, die gebe es "natürlich auch bei uns", merkt Dudek an. Und dann schickt er noch hinterher, dass er sich in den nächsten Wochen lieber Futsal anschauen werde oder die eine oder andere Serie.

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Hinter seinem Rücken, auf der gegenüberliegenden Seite der Halle, wird oben auf der Tribüne gerade das "Boycott Qatar"-Banner eingerollt. Das nächste Mal wird sie am 9. Dezember bei der Partie des HSV III gegen den FC Süderelbe wieder zu sehen sein, und fünf Tage nach dem WM-Finale am 18. Dezember zudem noch beim Eishockey-Spiel des HSV gegen den ERC Wunstorf (23. Dezember).

17.47 Uhr zeigt die Uhr in der Sporthalle Wandsbek an. Wer sich sputet, könnte sicherlich zu Hause noch einiges vom WM-Eröffnungspiel zwischen Gastgeber Katar und Ecuador (0:2) zu sehen bekommen. Doch die HSV-Supporters feiern lieber noch ihr Futsal-Team, essen und trinken im Vorraum noch etwas, sprechen über den Sieg ihrer Panthers. Eilig scheint es niemand zu haben.

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Dieses Thema im Programm:

Sportplatz | 20.11.2022 | 18:00 Uhr

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