96-Trainer Stefan Leitl spricht mit seiner Mannschaft. © IMAGO / Treese

Teamcheck Hannover 96: Graue Maus plötzlich farbenfroh

Stand: 12.07.2022 09:45 Uhr

In den vergangenen zwei Jahren wurde die Leidensfähigkeit der 96-Fans arg strapaziert. "Mittelmaß" ist wohl der passende Hashtag für die abgelaufenen Spielzeiten mit den Plätzen 13 und 11. Nun winkt die Kehrtwende. Durch frühe, womöglich clevere Transfers keimt beim Traditionsverein von 1896 Hoffnung. Der Teamcheck.

von Fabian Wittke

Vorsaison: Belanglosigkeit und hausgemachter Streit

"Nach einer Analyse der sportlich unbefriedigenden Situation wurde der Cheftrainer freigestellt": Mit dem branchenüblichen Jargon gab der Club via Twitter das Ende des "Projekts Jan Zimmermann" bekannt - nach knapp fünf Monaten und ehe es eigentlich wirklich begann. Jan Zimmermann, der gebürtige Hannoveraner, hatte sich für 96 empfohlen, weil er den TSV Havelse in die Dritte Liga geführt hatte. Nach acht sieglosen Spielen wurde ein Kapitel geschlossen, das - für Hannover 96 nicht unüblich - vor dem Arbeitsgericht landete und mit einer kolportierten Abfindung für Zimmermann in Höhe von 80.000 Euro endete.

Auf Zimmermann folgte rund um den Jahreswechsel Hannovers U23-Coach Christoph Dabrowski, der zum Start sechs Punkte aus drei Begegnungen holte, die Mannschaft stabilisierte und von der Interims- zur mittelfristigen Lösung wurde. Gut ja. Doch nicht gut genug. Zwar schaffte Dabrowski mit den "Roten" zwei Spieltage vor Saisonende den vorzeitigen Klassenerhalt, doch den ganz großen Schritt in die richtige Richtung trauten Manager Marcus Mann und Club-Boss Martin Kind Dabrowski nicht zu. Der am Ende der Saison auslaufende Vertrag wurde nicht verlängert, Dabrowski zeigte sich enttäuscht und ging schlussendlich zu Drittliga-Aufsteiger Rot-Weiss Essen.

Einziger Lichtblick in einer tristen Saison war das Erreichen des DFB-Pokalviertelfinals durch einen 3:0-Sieg gegen Bundesligist Borussia Mönchengladbach. Die Erfolgsgeschichte endete mit dem folgenden 0:4 gegen den späteren Pokalgewinner RB Leipzig.

Wer kommt, wer geht?

Wenn mehr als zehn Spieler kommen und ebenso viele den Verein verlassen, darf das Wort "Umbruch" guten Gewissens genutzt werden. "Sie haben alle noch ein relativ junges Alter", sagt Manager Mann über die Neuzugänge und spielt auf Potenzial und Entwicklungsfähigkeit gleichermaßen an.

Im Sturm sticht Havard Nielsen heraus, der seinem Trainer vom Bundesliga-Absteiger Greuther Fürth gefolgt ist und wegen seiner Braunschweiger Vergangenheit von den Fans sicher besonders beäugt werden wird. Mit Fabian Kunze (Arminia Bielefeld) und Phil Neumann (Holstein Kiel) wurden zwei Abwehr-Kanten (beide über 1,90 Meter groß) verpflichtet. Louis Schaub (1. FC Köln) und Max Besuschkow (Jahn Regensburg) dürften im Mittelfeld für die technisch versierteren Aufgaben zuständig sein.

Mit am größten war die Begeisterung am Maschsee darüber, dass Maximilian Beier ein weiteres Jahr von der TSG Hoffenheim ausgeliehen wird. Der erst 19 Jahre alte Flügelspieler erspielte sich direkt einen Stammplatz und hatte in der abgelaufenen Zweitliga-Saison neun Torbeteiligungen, dazu traf er vier Mal im DFB-Pokal.

Welche Entwicklungen Talente wie Enzo Leopold (Freiburg II), Ekin Celebi (VfB Stuttgart II), Eric Uhlmann (RB Leipzig), Antonio Foti (Eintracht Frankfurt) oder Toni Stahl (Energie Cottbus) nehmen werden und wie sie der Mannschaft helfen können, bleibt abzuwarten. Mit Derrick Köhn haben die Niedersachsen einen Linksverteidiger unter Vertrag genommen, der immerhin beim FC Bayern München ausgebildet wurde, zuletzt allerdings mit Willem II Tilburg aus der Erendevise in die zweite niederländische Liga abgestiegen ist.

Bei den Abgängen wird wohl kaum jemand schmerzlich vermisst werden und doch hat Hannover mit Linton Maina (1. FC Köln), Niklas Hult (Ziel unbekannt), Marcel Franke (Karlsruher SC) oder Dominik Kaiser (unbekannt) Qualität in der Breite verloren. Der Kader wirkt durchdacht, allein auf der Linksverteidiger-Position könnte die Mannschaft noch einen Back-up gebrauchen.

"Der Verein ist nicht in drei Monaten in diese Situation hineingerutscht. Und deshalb kommt man da auch nicht in drei Monaten wieder heraus. Aber wenn wir hinbekommen, dass alle an einem Strang ziehen, dann ist hier auf jeden Fall etwas möglich." Marcus Mann

Der Trainer

Das hat es bei Hannover 96 noch nie gegeben: Mit der durch die Corona-Pandemie salonfähig gewordenen "Begrüßungs-Faust" knuffte Stefan Leitl bei seiner Präsentation durch die einzelnen Reihen gehend alle Anwesenden persönlich. Der erste Eindruck: sympathisch, uneitel und für 96 viel wichtiger - noch ungeschlagen. Deutlichen Siegen gegen unterklassige Teams folgten in der kurzen Vorbereitung auch gute Ergebnisse, wie das 1:1 gegen den VfL Wolfsburg und das 3:0 bei der offiziellen Saisoneröffnung gegen den niederländischen Erstligisten FC Groningen.

Der 44-Jährige lässt keine Gelegenheit aus zu betonen, wie wichtig ein funktionierendes Team sei und dass sich alle in den Dienst seiner Mannschaft stellen müssten. Für Leitl waren die Niedersachsen sogar bereit, die festgeschriebene Ablösesumme von einer halben Million Euro an Greuther Fürth zu zahlen. Sicherlich auch, weil der Übungsleiter weiß, wie man Mannschaften mittelfristig auf den Bundesliga-Aufstieg vorbereiten kann.

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Bei den Franken durfte Leitl auch wegen seiner guten Arbeit trotz des schon früh feststehenden Bundesliga-Abstieges in Ruhe weiterarbeiten. Leitl hätte sicher auch anderswo einen Trainer-Job gefunden, hat sich aber bewusst für einen "entwicklungsfähigen Traditionsverein in einer tollen Stadt" entschieden.

So sind die Aussichten für 96

"Wir werden den Spielern am 32. Spieltag (bei Aufstiegschancen) nicht sagen, dass sie verlieren sollen", antwortete Mann kreativ auf die Aufstiegsfrage. Die Niedersachsen zählen sicher nicht zu den absoluten Aufstiegsfavoriten, müssen sich aber im Verfolgerfeld hinter ambitionierten Clubs wie dem HSV oder Fortuna Düsseldorf nicht verstecken.

Der Erfolg wird im Wesentlichen von drei Faktoren abhängig sein: Wie schnell gelingt es dem neuen Trainer Leitl, aus dem verheißungsvollen Kader mit vielen Neuen eine Mannschaft mit seiner Handschrift zu formen? Wie kommt Hannover, das am Freitag (20.30 Uhr, im Livecenter) das Eröffnungsspiel in Kaiserslautern bestreitet, in den ersten Partien aus den Startlöchern? Und wie geduldig ist der Big Boss? Wie viel Zeit wird Gesellschafter Martin Kind, der zu einem üppigen Etat beitrug, also seinen Machern geben?

Auf den ersten, zweiten und auch dritten Blick sind die Chancen auf eine Saison zwischen Platz zwei und acht am Maschsee so gut wie lange nicht. "Für Hannover 96 muss es immer ein Ziel sein, irgendwann in die Bundesliga zurückzukehren", unterstrich Mann. "Aber ein neuer Trainer, eine neue Idee und auch viele neue Spieler - das muss sich erst finden. Realistisch ist, dass man erst einmal kleine Schritte macht. Wenn sie doch größer werden sollten, wird hier niemand gebremst."

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Sport aktuell | 15.07.2022 | 11:17 Uhr

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