Nils Fröling von Hansa Rostock © imago images/Fotostand

Hansa Rostocks Heimschwäche im Datencheck: Weniger wäre mehr

Stand: 11.03.2022 08:07 Uhr

Auswärts hui, zu Hause pfui: Hansa Rostock hat in dieser Zweitliga-Saison auf fremden Plätzen mehr als doppelt so viele Punkte wie im Ostseestadion geholt. Warum tut sich Hansa zu Hause so schwer? Die Datenanalyse vor dem Heimspiel gegen Holstein Kiel.

von Florian Neuhauss

Svante Ingelsson, John Verhoek, Pascal Breier und Sekunden vor dem Abpfiff Nils Fröling mit dem entscheidenden Tor - vom 4:3-Erfolg auf Schalke am vergangenen Spieltag werden die Hansa-Fans noch lange schwärmen. David hat es Goliath einmal mehr gezeigt - und dank der drei Punkte zudem den Abstiegs-Relegationsrang verlassen.

2020 hatte Hansa die Rückkehr in die Zweite Liga noch wegen seiner schlechten Ergebnisse auf fremden Plätzen verpasst. 2021 stieg die Mannschaft von Trainer Jens Härtel dann als auswärtsstärkstes Team der Dritten Liga auf. Und auch in dieser Saison läuft's - mit den drei Punkten aus Gelsenkirchen schob sich Rostock auf Rang vier der Auswärtstabelle. Doch die eklatante Heimschwäche bereitet Sorgen.

Zu Hause fehlen "nur" die Tore

"Die Leute erwarten, dass wir mutig sind und nach vorne spielen", sagt Hansa-Trainer Jens Härtel, dessen Team allerdings im Ostseestadion viel weniger Tore pro Spiel schießt als noch in der Aufstiegssaison (0,83 zu 1,53). Das liegt jedoch nicht etwa daran, dass die Rostocker eine Etage höher schlecht spielen würden oder nicht mehr zu Chancen kämen: Sie haben pro Spiel mehr Torschüsse als der Gegner (14:9) und mehr Ecken (6:2,9), verzeichnen mehr Pässe (481:414) und Flanken (17:9), gewinnen mehr Zweikämpfe (51,31 %), haben mehr Ballbesitz (52 %) und sogar mehr Konter (17:16).

Dabei "vergisst" Hansa aber das Entscheidende: Die Chancenverwertung liegt nur bei 14,31 Prozent, während der Gegner fast jede dritte Möglichkeit nutzt. Härtels Profis benötigen aktuell 2,16 "Expected goals" (xG) für einen Treffer, in der Dritten Liga war das Verhältnis mit 1,09 noch exzellent. Besonders bitter: Gleichzeitig braucht der Kontrahent in der laufenden Saison nur 0,85 xG für ein Tor.

Das schlägt sich auch in der Statistik "Expected points" nieder. Hansa holt 0,82 Punkte weniger pro Heimspiel, als laut der statistischen Daten zu erwarten wäre. In der Dritten Liga hatte es noch eine leichte Überperformance von +0,13 Punkten gegeben.

Was macht Hansa auswärts anders?

Gerade einmal zwei Siege haben die Mecklenburger in dieser Saison im Ostseestadion gefeiert. In der Heimtabelle ist Rostock Vorletzter. Vergleicht man die statistischen Werte der Heim- und Auswärtsspiele, ist der FCH bei Torschüssen, Pässen und Ballbesitz sowie geführten und gewonnenen Zweikämpfen zu Hause deutlich besser als in der Fremde. Sogar der "Performance-Score" liegt daheim mit 49,78 leicht über dem für die Auswärtsspiele (49,33).

Trotzdem war der Sieg auf Schalke schon der fünfte Dreier auf fremden Plätzen. Das Rostocker Spiel ist auswärts ganz anders ausgelegt. So laufen die Profis mit 115,65 fast 1,8 km mehr pro Partie als vor heimischem Publikum. Und sie glänzen auswärts mit Klasse statt Masse, haben zwar weniger Chancen, nutzen diese mit 34,47 Prozent jedoch mehr als doppelt so gut wie zu Hause.

Von den Torschüssen kommen fast 50 Prozent auch wirklich aufs Tor - im Ostseestadion sind es lediglich 34. In Rostock fliegen von den durchschnittlich 14 Schüssen der Gastgeber 4,9 vorbei oder drüber, 3,7 werden geblockt und 0,5 landen an Pfosten oder Latte.

Rostock will es allen beweisen

Eine Fußball-Weisheit besagt, dass Aufsteiger eine Liga höher noch eine Schippe drauflegen müssen. Und im Vergleich zur Aufstiegssaison hat Hansa den Einsatz bei den Heimspielen wirklich noch einmal erhöht: mehr Schüsse (14:13), mehr Pässe (481:466), mehr Flanken (17:14), mehr Kopfballduelle (72:65), mehr Dribblings (23:18) - mit 853 Aktionen noch 13 mehr als in der Vorsaison.

"Es gilt, den Mix zu finden: Nicht zu übersteuern, aber trotzdem zuzuschlagen." Hansa-Trainer Jens Härtel

Das Problem: Die gegnerischen Mannschaften sind besser geworden, Fehler werden schneller bestraft. Mehr Aufwand heißt noch lange nicht mehr Ertrag. Nicht zuletzt die Spieler selbst machen sich gerade zu Hause Druck. Die Hochspannung tut ihnen aber anscheinend nicht gut: In den entscheidenden Momenten fehlt es an Konzentration und Präzision. Die vielen nicht aufs Tor gebrachten Schüsse dürften zudem davon zeugen, dass zu oft nicht der richtige Zeitpunkt für den Abschluss gewählt wurde.

Zu Hause besser, auswärts erfolgreicher

Es ist paradox: Hansa macht daheim vieles besser als auswärts, aber vielleicht spielen die Mecklenburger als Aufsteiger im eigenen Stadion schon zu dominant. Die Gegner können abwarten und selbst zuschlagen, wenn sich die Möglichkeit bietet.

So wie Hansa es selbst auf Schalke perfekt gemacht hat. Da verbuchten die Gastgeber 26 Schüsse, Simon Terodde machte drei Tore. Hansa hatte nur zehn Abschlüsse, die vier Treffer zeigten aber deutlich, welche Qualitäten im Abschluss das Team eigentlich hat. "Es ist wichtig, dass die Jungs merken: Wir sind in der Lage, Tore zu machen. Das gibt Selbstvertrauen", ist Härtel überzeugt. 13 verschiedene Torschützen in seinem Team können sich sehen lassen, das sind genauso viele wie beim Spitzenduo Werder Bremen/Darmstadt 98 und sogar einer mehr als beim Aufstiegsaspiranten Hamburger SV.

Rostock ist gerade in der Tabelle an Dresden vorbeigezogen und damit Bester unter den Neulingen - allerdings als 15.! Das zeigt, dass sich die Aufsteiger insgesamt schwer tun, sich in der Zweiten Liga zu akklimatisieren. Und besonders Hansa hat sich in zu vielen Spielen abkochen lassen. Zehn Treffer in zwölf Heimspielen - das ist die Bilanz eines Absteigers.

Holstein Kiel kommt am Freitag ins Ostseestadion

Heute (18.30 Uhr, im NDR Livecenter) kommt Holstein Kiel zum Ostsee-Derby nach Rostock. Die Schleswig-Holsteiner waren zwischenzeitlich sogar in die Regionalliga abgestiegen, spielen aber mittlerweile in der fünften Saison wieder in Liga zwei - und taugen damit als Vorbild für Hansa. Härtel sagte: "Kiel ist eine gute Mannschaft. Wir müssen uns aber auf uns konzentrieren. Das steht im Vordergrund."

Die Kieler agieren auswärts fast genauso gut wie zu Hause ("Performance-Score" 52,00 zu 52,22). 14 Punkte haben sie in der Fremde geholt, 17 im Holstein-Stadion - allerdings hatten sie bisher auch ein Heimspiel mehr.

Die Hansa-Profis müssen kühlen Kopf bewahren

Um die Statistik auszugleichen, sollten sie effizient mit ihren Chancen umgehen. 4,8 echte Möglichkeiten haben die Gäste im Ostseestadion in der Regel nur - bei durchschnittlich neun Schüssen. Hansa führt zu Hause 191 Zweikämpfe pro Spiel, 21 mehr als auswärts, leistet sich aber auch 76 Ballverluste und lässt sich pro Partie 18-mal pressen. Besonders wenn Holstein hier wach ist, könnte die KSV der achte Gast werden, der in dieser Saison das Ostseestadion als Sieger verlässt.

Die Hansa-Profis wollen besonders vor dem eigenen Publikum zeigen, dass sie nach neun Jahren in der Drittklassigkeit zu Recht aufgestiegen sind. So manches Mal fehlt dabei der kühle Kopf, der gerade vor dem gegnerischen Tor so wichtig ist. Ein bisschen mehr Auswärtsteam würde Rostock im Ostseestadion, in dem nun wieder 21.000 Zuschauer zugelassen sind, auf jeden Fall gut tun.

Weitere Informationen
Rostocks Spieler um Torschütze Nils Fröling (2.v.l.) bejubeln einen Treffer. © IMAGO / Revierfoto

Hansa-Wahnsinn auf Schalke: Fröling trifft zum Last-Minute-Sieg

Drei Tore von Simon Terodde waren nicht genug für Schalke. In der fünften Minute der Nachspielzeit traf Nils Fröling zum Sieg für Rostock. mehr

Symbolbild Fußball-Daten © Imago / STPP

Das steckt hinter dem NDR Fußball-Datenprojekt

Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Zusammenarbeit zwischen NDR und GSN. mehr

Dieses Thema im Programm:

Nordmagazin | 10.03.2022 | 19:30 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Hansa Rostock

2. Bundesliga

Mehr Fußball-Meldungen

Frust bei den Spielern von Werder Bremen (v.l.) Mitchell Weiser, Michael Zetterer, Marco Friedl und Anthony Jung © IMAGO

Datenanalyse - Werders Wackel-Abwehr gefährdet den Klassenerhalt

Den Bremern droht ein Weihnachtsfest im Bundesliga-Abstiegskampf - weil sie zu viele Gegentore kassieren. Das liegt aber nicht nur an den Abwehrspielern. mehr