Kinder halten gemeinsam einen Fußball in den Händen. © IMAGO / ANP

"Der Krieg hat den deutsch-russischen Austausch im Sport zerstört"

Stand: 21.06.2022 11:46 Uhr

Wladimir Bondarenko aus Hamburg organisiert seit 15 Jahren Fußball-Camps für Kinder aus Deutschland und Russland und fördert damit die Völkerverständigung. "Was wir aufgebaut haben, hat der Krieg zerstört", sagt er.

von Hendrik Lückhoff

Mit seiner ehrenamtlichen Jugendarbeit überwindet Wladimir Bondarenko seit vielen Jahren Grenzen. Der Hamburger möchte mit den Austauschfahrten das Verständnis füreinander fördern. Doch seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist daran nicht mehr zu denken. "Was wir in den vergangenen 15 Jahren aufgebaut haben, wurde durch den Krieg zerstört. Alle Austauschprogramme sind gestoppt", sagt er und klingt traurig. Wie auch nicht - es geht um eine Herzensangelegenheit des 57-Jährigen.

Mit Integrationspreis des DFB ausgezeichnet

Jeden zweiten Sommer war Bondarenko mit einer etwa 20-köpfigen Gruppe nach St. Petersburg, Kaliningrad oder sogar ans Schwarze Meer nach Krasnodar gereist. Ein kleines Abenteuer für alle, vor allem für die Jugendlichen: ohne Sprachkenntnisse, aber mit viel Neugier. "Da kommen deutsche Jugendliche mit uns teilweise das erste Mal ins Ausland. Das hätte ich nicht gedacht, dass es sowas in Deutschland gibt."

"Was wir in den vergangenen 15 Jahren aufgebaut haben, wurde durch den Krieg zerstört. Alle Austauschprogramme sind gestoppt." Wladimir Bondarenko

Aber die Reisen, die er lange Zeit bei Altona 93 und inzwischen bei der Groß Flottbeker Spielvereinigung organisiert, richten sich auch an Kinder aus weniger wohlhabenden Familien. "Wir haben sehr vielfältige Strukturen in den Vereinen und wir wollen mit diesen Projekten alle zusammenbringen", so Bondarenko. Für seine Arbeit wurden er und Altona 93 bereits mit dem Integrationspreis des Deutschen Fußball-Bundes ausgezeichnet.

Aber dem Hamburger geht es nicht um Preise oder Anerkennung. Er hat selbst erfahren, welchen Stellenwert der Sport bei der interkulturellen Verständigung spielen kann. 1995 kam er als Spätaussiedler aus Kasachstan nach Deutschland. "Der Fußball öffnete mir die Türen in die Gesellschaft und in die sprachliche Entwicklung. Das hat mir die soziale Integration sehr erleichtert", berichtet er.

Den Horizont erweitern

Nun engagiert er sich, um anderen mit dem Sport Türen zu öffnen. Auf den Austauschfahrten steht der Fußball im Fokus. Daneben gibt es aber immer auch kulturelle Programmpunkte: je nach Alter der Teilnehmer ein Zoobesuch oder auch Diskussionsrunden mit Politikern oder Wissenschaftlern. Bondarenko blutet das Herz, wenn er darüber spricht, dass nichts von alldem mehr möglich ist. "Solche Programme, gerade im Sport, sind einmalig. Sie helfen den Jugendlichen, ihren Horizont zu erweitern, neue Kulturkreise kennenzulernen. Man knüpft Freundschaften und bekommt ein Gespür für das Land und die Leute."

Gerade mit Blick auf die persönliche Entwicklung sei der Austausch enorm bereichernd: "Da kommen die Kinder nach Russland, in ein Land, das irgendwie geheimnisvoll ist, mit Vorurteilen behaftet. Und nach fünf oder zehn Tagen, je nachdem wie lange unsere Reise dauerte, waren sie ganz anders eingestellt." Immer wieder hätten die deutschen Kinder berichtet, wie gut sie von ihren russischen Gastfamilien aufgenommen worden seien. Beim Abschied flossen Tränen.

Weiter Kontakt zu den Organisatoren in Russland

Nun sieht Bondarenko seine Arbeit in Scherben liegen. Ob und wann es noch einmal Fußball-Camps mit deutschen und russischen Kindern geben wird? Er weiß es nicht. Doch auch seine Partner in den russischen Vereinen würden sich darüber freuen. Immerhin: Der Kontakt zu den Organisatoren in Russland besteht weiterhin. "Wir haben uns immer ausgetauscht. Sie haben gefragt, wie es bei uns ist und wir haben gefragt, was in Russland passiert", so der 57-Jährige. "Wie wir schon von unseren Austauschfahrten wissen: Normale Menschen wollen keinen Krieg. Das bekommen wir von der russischen Seite bestätigt. Für alle war das unerwartet, alle sind schockiert."

Hilfe für ukrainische Kinder

Bondarenko hofft, dass der Krieg bald vorbei ist und seine Fußball-Camps eine Zukunft haben. Untätig ist er auch jetzt nicht: Zusammen mit der Groß Flottbeker Spielvereinigung kümmert er sich um ukrainische Kinder, die nach Deutschland gekommen sind. "Für diese Kinder haben wir im Prinzip alles organisiert. Wir haben das Finanzielle geregelt, Kinderfahrräder, Helme und Fußball-Schuhe organisiert. Sie sind im Verein integriert, mehrere Jungs aus der Ukraine spielen schon bei uns." Zudem vermitteln er und seine Helfer den Eltern Sprachkurse.

Und so überwindet Bondarenko mit der Jugendarbeit im Sport weiter Grenzen, trotz des Krieges: "Wir haben weiter alle Hände voll zu tun, nur in einer anderen Richtung. Ein sozusagen aus der Not entstandener Austausch", sagt er.

Dieses Thema im Programm:

Sport aktuell | 21.06.2022 | 11:17 Uhr

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