Der Hildesheimer Dom. © picture alliance Foto: Ole Spata

Missbrauchsfälle: Verhärtete Positionen im Bistum Hildesheim

Stand: 12.03.2022 14:44 Uhr

Mangelndes Verantwortungsbewusstsein, Fehler im Umgang mit Missbrauchsfällen - das wirft die Betroffeneninitiative Weihbischof Bongartz vor. Und fordert seinen Rücktritt. Wie kann es weitergehen?

von Florian Breitmeier

Eine Woche ist es her, dass die Initiative die Vorwürfe gegen den katholischen Geistlichen in einem Offenen Brief erhoben hat. Generalvikar Martin Wilk machte daraufhin ein Gesprächsangebot, hält einen Rücktritt des Weihbischofs aber für nicht angemessen. Dem NDR liegt der Brief des Generalvikars in voller Länge vor.

Bistum: Es gibt einen regelmäßigen Austausch

Zunächst bringt Wilk in dem Schreiben seine Überraschung über Form, Inhalt und Stil des Schreibens der Betroffeneninitiative zum Ausdruck. "Der Offene Brief vermittelt den Anschein, als ob das Bistum mit Ihnen nicht in Kontakt stehen würde." Darüber sei er irritiert, schreibt Wilk und verweist auf die regelmäßigen Treffen zwischen den Expertinnen und Experten zum Themenbereich Sexualisierte Gewalt im Bistum und der Betroffeneninitiative. Bei diesen Gesprächen werde zeitnah und transparent über Entwicklungen im Bistum informiert. Dass es diesen regelmäßigen Austausch gibt, das bestätigt der Sprecher der Hildesheimer Betroffeneninitiative, Jens Windel, dem NDR. "Allerdings dürfte den Generalvikar die in dem Offenen Brief zum Ausdruck gebrachte Rücktrittsforderung nicht wirklich überraschen", meint er.

"Verstörend, dass Bongartz nicht selbst antwortet"

Denn bereits bei vergangenen Treffen hätten Mitglieder der Initiative wiederholt gefordert, dass Weihbischof Bongartz auf die ihm in einem unabhängigen Missbrauchsgutachten von 2021 ("Wissen teilen") zur Last gelegten Fehler öffentlich eingehen und den direkten Kontakt zur Betroffeneninitiative suchen sollte. "Dies ist bis heute nicht geschehen", kritisiert Windel. Auch sei dort schon einmal die Rücktrittsaufforderung von den Betroffenen zur Sprache gekommen. Dass auf den Offenen Brief nun der Generalvikar antworte und nicht der kritisierte Weihbischof, sei verstörend, sagt Windel.

Situation im Bistum Hildesheim ist festgefahren

Allein diese Schilderungen zeigen, wie festgefahren das Verhältnis zwischen Teilen des Bistum Hildesheim und der Betroffeneninitiative offensichtlich ist. Wilk weist in seinem Schreiben an die Betroffenen darauf hin, dass Bongartz nach der Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens von 2017 Fehler öffentlich eingestanden und um Entschuldigung gebeten habe. Der Generalvikar schreibt: "Für das Bistum war es gleichzeitig die bittere Erkenntnis, Weihbischof Bongartz in seinem Bestreben, den zahlreichen Meldungen von betroffenen Personen gerecht zu werden, unzureichend unterstützt zu haben."

Wilk: Weihbischof hat Meldungen nicht vertuscht

Wilk räumt in seinem Schreiben ein, dass auch das Missbrauchsgutachten von 2021 "in wenigen Fällen ähnliche Muster aufgedeckt" habe, "in denen nicht konform der Leitlinien vorgegangen wurde." Zu keinem Zeitpunkt, legt sich der Generalvikar dann fest, habe Weihbischof Bongartz Meldungen vertuscht. Auch lobt der amtierende Generalvikar die Verdienste seines Vorgängers, dass dieser nämlich auch "gegen erhebliche Widerstände" den Paradigmenwechsel im Bistum Hildesheim eingeleitet habe. "Als eine der ersten Führungskräfte im Bistum habe er die historische Verantwortung des Bistums akzeptiert und sich dem Leid unzähliger Betroffener unmittelbar angenommen." Die Betroffeneninitiative sieht das völlig anders. Wie wäre sonst ihre Rücktrittsforderung zu verstehen?

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Warum schaltet sich Bischof Wilmer nicht ein?

Auch wenn es stets unterschiedliche Perspektiven auf einen Sachverhalt geben mag, so stimmt es sehr nachdenklich, dass die Wahrnehmung und die Beurteilung in dieser Frage so sehr auseinandergehen. Es scheint etwas zerbrochen zu sein im Bistum Hildesheim und man fragt sich, wo der Bischof bleibt, um seiner Führungsaufgabe gerecht zu werden? Zufrieden kann Heiner Wilmer mit einer derart zerfahrenen Situation jedenfalls nicht sein. In seinem Brief an die Betroffeneninitiative geht Generalvikar Wilk auch konkret auf die Rücktrittsaufforderung ein und zeigt sich dieser gegenüber skeptisch. Er begründet dies damit, dass ein angenommenes Rücktrittsgesuch durch den Papst "formal eine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand" wäre. Nicht nur Kirchenrechtler mag diese Aussage des Generalvikars überraschen, der es eigentlich besser wissen müsste. Denn so kann ein Weihbischof, auch wenn er nicht mehr aktiv dieses Amt in einer Diözese ausübt, weiterhin kirchlichen Gremien vorstehen, Institutionen, Pastoralbezirke oder Pfarrverbünde leiten. Pastoraltheologisch ausgedrückt: seinen Dienst für die Kirche und die Gemeinschaft der Gläubigen tun. Ein eigener Rechtsakt des Papstes kann einem Bischof, der von seinen bisherigen Tätigkeiten entbunden wird, eine neue Tätigkeit zuweisen. So ist zum Beispiel der emeritierte Bischof von Limburg, Franz-Peter Tebartz-van Elst, heute als Delegat im Vatikan tätig.

Generalvikar: Bongartz bliebe auch bei Rücktritt formal Weihbischof

Im vorzeitigen Ruhestand muss sich niemand befinden, der das nicht ausdrücklich will. Wer wüsste das nicht besser als katholische Geistliche, die häufig noch mit 75 in zahlreichen Gemeinden am Altar stehen? Denn völlig zurecht weist Generalvikar Wilk dann in seinem Brief ja daraufhin, dass Weihbischof Bongartz auch nach einem angenommenen Rücktrittsgesuch formal Weihbischof bliebe. Auch eine andere Argumentation des Generalvikars überrascht mit Blick auf die Rücktrittsaufforderung. So ist es Wilk wichtig zu betonen, "dass Weihbischof Bongartz jene Tätigkeit und Aufgaben, in denen er das von ihm kritisierte Verhalten begangen hat, schon seit geraumer Zeit nicht mehr ausübt." Das klingt so, als müsse grundsätzlich kein Bischof seinen Rücktritt anbieten für Fehler, die er einmal in einer anderen Funktion begangen hat.

Warum aber hat dann zum Beispiel der Hamburger Erzbischof Stefan Heße aufgrund von nachgewiesen Pflichtverletzungen während seiner Zeit im Erzbistum Köln dem Papst seinen Rücktritt im März 2021 angeboten?  

Gesprächsangebot an Betroffeneninitiative

Generalvikar Wilk macht der Betroffeneninitiative dann am Ende seines Briefes noch ein Angebot für ein Gespräch. In sechs Wochen könnte es stattfinden, am 25. April. Da treffe man sich ja ohnehin wieder und könne das Thema "aufrufen und weiterführend erörtern." Der Betroffeneninitiative reicht das nicht. Für sie klingt "aufrufen und erörtern" wie eine Art Unterpunkt auf einer x-beliebigen Tagungsordnung. Die Rücktrittsforderung ist den Betroffenen nach eigener Aussage zu wichtig und beschäftigt sie seit Jahren. Ihre Geduld ist am Ende. Sie wollen zeitnah mit Weihbischof Bongartz sprechen, das hätten sie schon vor Monaten gefordert, ohne vom Bistum Hildesheim erst genommen worden zu sein. Ob Bongartz an einem solchen Treffen überhaupt teilnehmen würde? Ein Bistumssprecher wollte auf NDR Nachfrage zum jetzigen Zeitpunkt dazu keine Angaben machen. Das sei offen, heißt es aus Hildesheim.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Aktuell | 11.03.2022 | 14:00 Uhr

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