Holocaust-Erinnerung: Gedenkstätten-Leiterin mahnt im Landtag
Der Niedersächsische Landtag hat anlässlich des 76. Jahrestags der Befreiung von Auschwitz an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert.
Als Rednerin hatte der Landtag Elke Gryglewski, die Leiterin der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, eingeladen. Gryglewski beschrieb, wie Zeitzeuginnen und Zeitzeugen - lange gegen Widerstände aus der Gesellschaft - die Erinnerungsarbeit übernommen und diese "als ihr Vermächtnis an uns", die Gedenkstätten, übertragen haben. Erinnerungsarbeit sei anspruchsvoll. "Die Relevanz des Holocaust und seiner Folgen ist nicht an soziale, ethnische oder kulturelle Herkunft gebunden. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Beschäftigung mit dem Holocaust ein Prozess ist und dass das Wissen dazu sukzessive erworben wird", sagte Gryglewski. "Dennoch sollten wir unserem Publikum immer auf Augenhöhe begegnen, es an komplexen Fragestellungen ebenso teilhaben lassen wie an der Frage, wie wir das Gedenken immer wieder aufs Neue gemeinsam gestalten wollen."
Geschichte in ihren Kontinuitäten darstellen
So sei es wichtig, die Geschichte des Holocaust nicht mit der Befreiung enden zu lassen, sondern die sozialen und gesellschaftlichen Nachwirkungen zu thematisieren wie die, "dass psychische Folgen sich bis in die vierte Generation fortsetzen und fortsetzen werden". Sie schloss mit einem Appell an an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Gedenkstätten. "Wenn die Geschichte in ihren Kontinuitäten dargestellt und behandelt wird, ist es für die nachfolgenden, nachwachsenden Generationen einfach zu begreifen, dass der gegenwärtige Antisemitismus und Rassismus seine Wurzeln in der Vergangenheit hat und es wichtig ist, sich mit dieser Vergangenheit auseinanderzusetzen."
Andretta sieht Radikalisierung in der Sprache
Landtagspräsidentin Gabriele Andretta (SPD) hatte zur Einleitung mahnende Worte an das Plenum gerichtet. Der Antisemitismus sei bis heute nicht aus der Gesellschaft verschwunden. In der Corona-Krise machten sich unter den Gegnern der staatlichen Maßnahmen antisemitische Äußerungen breit, die den Holocaust auf unerträgliche Weise relativierten und die Opfer verhöhnten. Es sei "eine Radikalisierung von Sprache und Positionen" zu beobachten, alte Formen des Antisemitismus würden sich mit neuen verbinden", so Andretta.
Feierlicher Akt mit Musik von im KZ getöteten Künstlern
Als Ehrengäste verfolgten neben Gryglewski auch Michael Fürst, Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Niedersachsen, Katarina Seidler, Vorsitzende des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden von Niedersachsen, sowie Eliah Sakakushev-von Bismarck, Geschäftsführender Direktor der Villa Seligmann, die Gedenkveranstaltung in den Logen. Auf der Besuchertribüne wurden die Musikstücke "Abendphantasie" von Viktor Ullmann und "Ruhe der Fläche" von Erwin Schulhoff aufgeführt. Ullmann war im Oktober 1944 in Auschwitz ermordet worden, Schulhoff starb 1942 nach der Deportation in einem Lager im bayerischen Weißenburg.
Gegenwärtiger Antisemitismus: Weil mahnt Wachsamkeit an
Im Vorfeld der Veranstaltung hatte sich Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) zum 76. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau und dem Gedenken an die Opfer des Holocaust geäußert. "Der Holocaust verfolgte die Auslöschung jüdisches Leben in Deutschland und Europa. Viele Angehörige anderer Gruppen sind ebenfalls gedemütigt, gefoltert und systematisch ermordet worden. Auf immer werden die Verbrechen in Auschwitz, Bergen-Belsen und vielen anderen Schreckensorten mit unserer Geschichte und unserem Leben verbunden sein", sagte Weil. Auch im Hier und Jetzt gehe eine große Gefahr vom Antisemitismus aus - vor allen Dingen im Angesicht der Corona-Pandemie würden Verschwörungstheoretiker antisemitische Positionen vertreten. "Wir müssen wachsam sein. Im Alltag werden auch in Niedersachsen Menschen jüdischen Glaubens immer wieder beleidigt, bedroht und angegriffen. Jede und jeder ist gefordert sich jeglicher Form von Antisemitismus entgegenzustellen", so der Ministerpräsident.
Holocaust-Gedenktag seit 1996
Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrationslager in Auschwitz befreit. Seit 1996 wird zu diesem Datum der Holocaust-Gedenktag begangen. Auch im Bundestag wurde am Mittwoch eine Gedenkstunde durchgeführt. Dort sprachen die ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, und die Publizistin Marina Weisband.
