Ein Schild des Sozialverbands Deutschland e. V. (SoVD) hängt an einer Hauswand. © picture alliance/SULUPRESS.DE/Torsten Sukrow Foto: Torsten Sukrow

"Schwarzbuch sozial": SoVD prangert soziale Ungerechtigkeit an

Stand: 22.11.2023 12:00 Uhr

Pflegebedürftige, kranke und alte Menschen sind laut SoVD Niedersachsen häufig von falschen Entscheidungen bei Behörden und Kassen betroffen. Das "Schwarzbuch sozial" zeigt diese Fälle auf.

von Svenja Nanninga

Sieben Jahre lang kämpft ein Rentner aus Niedersachsen um sein Recht. Nach zwei schwerwiegenden Operationen sucht er den Weg zurück ins Leben. Nach einer Diabetes-Erkrankung werden zuerst sein linker Unterschenkel und dann sein rechter Vorfuß amputiert. Der Mann ist auf einen Rollstuhl angewiesen, braucht im Alltag Hilfe. Deshalb beantragt er die Einstufung in einen höheren Pflegegrad bei der Pflegekasse. Dieser Antrag wird abgelehnt. Damit möchte sich der Rentner nicht zufriedengeben, ein weiteres medizinisches Gutachten folgt. Als das ähnlich ausfällt, klagt der Mann gemeinsam mit dem Sozialverband Deutschland (SoVD). Die Argumentation, der Mann sei in der Lage, Treppen zu steigen und sich weitgehend selbst zu versorgen, kann Frank Rethmeier vom Verband nicht verstehen: "Angesichts seiner körperlichen Verfassung ist diese Begründung nicht nachzuvollziehen". Zwar bekommt der Rentner am Ende recht und die Pflegestufe drei zugesprochen, über den langwierigen Streit über viele Jahre hinweg ärgert er sich aber dennoch.

Betroffene sind krank, behindert, hilfsbedürftig

Das "Schwarzbuch sozial" wird jedes Jahr herausgegeben und beschreibt Fälle, mit denen sich Betroffene an den Sozialverband gewandt haben. Es gehe um Ungerechtigkeiten, Behördenwillkür und um fehlende oder nicht hilfreiche Gesetze. "In unserer Beratung treten die Probleme der derzeitigen Politik deutlich zutage. Viele SoVD-Mitglieder fühlen sich im Stich gelassen und von Krankenkassen, Rentenversicherung und Co. zusätzlich unter Druck gesetzt", kritisiert der SoVD-Landesvorsitzende Bernhard Sackarendt. Darauf wolle man mit dem Schwarzbuch aufmerksam machen, indem man die Geschichten der Menschen erzähle.

Kampf um die Kostenübernahme der Sprach-Reha

Wie in den vergangenen Jahren sind auch im aktuellen Bericht wieder einige Fälle aufgeführt, in denen es um Ärger mit den Kranken- und Pflegekassen geht. So auch im Fall eines Sechsjährigen mit Trisomie 21. Seit seiner Geburt ist er in Behandlung - unter anderem auch wegen Sprachstörungen. Diese Behandlung zeigte Erfolg: Ein vierwöchiger Aufenthalt in einer Spezialklinik, die intensive logopädische und ergotherapeutische Therapie anbietet, habe einen positiven Effekt gezeigt, so die Mutter des Jungen. An diesen Erfolg möchte sie anknüpfen, stellt einen erneuten Antrag auf einen Therapieaufenthalt kurz vor der Einschulung im Sommer. Diesmal lehnt die Krankenkasse ab, die ambulante Therapie sei ausreichend. Der SoVD will das so nicht akzeptieren, die Begründung des Medizinischen Dienstes sei unvollständig. Aus dem Bericht gehe nicht hervor, wie der Junge eine Teilhabe in seinem privaten Umfeld gestalten soll, wenn er sich weiterhin nicht ausdrücken kann. Immerhin half dieser Widerspruch: Die Maßnahme wird schließlich genehmigt.

Probleme bei der Inklusion im Job

Mit 41 Jahren in die Frühpension: So hat ein Lehrer aus Bremen sich seine Zukunft nicht vorgestellt. 2015 bekommt er die Diagnose "Small-Fiber-Neuropathie", eine Erkrankung der Nervenfasern. Schmerzen in Armen und Beinen gehören ebenso zum Krankheitsbild wie eine höhere Empfindlichkeit gegenüber Lärm, Temperatur und Helligkeit. Genau diese Symptome führen dazu, dass der Lehrer nicht mehr wie gewohnt in einer voll besetzten Klasse ein Fach Politik unterrichten kann. Digitaler Unterricht vom Homeoffice aus, so, wie in der Corona-Pandemie, lehnt die Landesschulbehörde ab. "Dieses Beispiel macht deutlich, wo es bei der Inklusion im Job hakt: Da wird auf althergebrachte Strukturen gepocht", so Katharina Lorenz vom niedersächsischen Landesverband des Sozialverbands Deutschland. Dabei sei überall von Fachkräftemangel die Rede, auch bei Lehrkräften. Der Lehrer zieht vor Gericht, bislang aber ohne Erfolg.

Ohne Smartphone: Rentner vom Deutschlandticket ausgeschlossen

Der SoVD setzt sich auch für die Rechte alter Menschen ein, unter anderem im Fall eines 71-Jährigen aus Hannover, der regelmäßig mit Bus und Bahn unterwegs ist. Als das Deutschlandticket eingeführt wird, freut sich der Senior zunächst. Allerdings nur, bis er das Ticket kaufen möchte, denn die Üstra, Betreiber des Nahverkehrs in Hannover, bietet das Angebot nur digital an. Eine analoge Lösung, etwa als Papierticket oder Chipkarte, für Menschen ohne Smartphone gibt es in Hannover nicht. Für den Rentner bedeutet das, dass er das Deutschlandticket nicht nutzen kann. Den SoVD erreichen nach eigenen Angaben immer wieder ähnliche Anfragen. "Für uns als Sozialverband ist es völlig unverständlich, warum es kein analoges Ticket gibt. So werden gerade ältere Menschen, für die eine Nutzung besonders wichtig ist, kategorisch ausgeschlossen", kritisiert der Vorstandsvorsitzende Dirk Swinke. Einige Städte wie Hamburg oder Braunschweig bieten dagegen analoge Alternativen an. Aus Sicht des SoVD sollte es bundesweit eine flächendeckend einheitliche Lösung geben.

2022: 46 Millionen Euro erstritten

Neben Beratung bietet der SoVD auch rechtlichen Beistand an. Der größte Sozialverband Niedersachsens hat nach eigenen Angaben allein im Jahr 2022 rund 46 Millionen Euro an Einmalzahlungen für seine Mitglieder erstritten. 750 Orts- und 42 Kreisverbände gibt es in Niedersachsen, 285.000 Mitglieder sind hier organisiert. 8.000 Ehrenamtliche unterstützen die 300 Festangestellten des SoVD.

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