Vor Lubmin soll ein schwimmendes LNG-Terminal entstehen © NDR Nordmagazin

Zweifel an privatem LNG-Projekt in Lubmin

Stand: 21.07.2022 12:28 Uhr

Die Politik sucht nach Wegen aus der Energiekrise. Der Standort in Lubmin in Vorpommern soll Lösungen bieten. An dem Ort, der zum Symbol für russisches Gas aus den Nord-Stream-Leitungen steht, sollen gleich zwei Anlandestationen für Flüssiggas entstehen. Die Deutsche Umwelthilfe hat Zweifel und warnt vor "Wildwuchs".

Am Mittwoch vergangener Woche gab es den großen Bahnhof für die deutsche ReGas. In Rostock wurden mit dem Segen der Bundes- und der Landesregierung Verträge zum Bau der großen privaten LNG-Station in Lubmin unterzeichnet. "Alles hilft, angesichts der aktuellen Diskussion", sagte Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD) mit Blick auf die Energiekrise fast euphorisch. Strukturpolitisch gilt LNG in Lubmin als wichtig.

Seit diesem Dienstag ist außerdem klar: Auch der Bund mischt in Lubmin mit - er will 2023 in eigener Regie ein LNG-Terminal aufbauen. Zu diesem Zeitpunkt will der private Investor, die Deutsche ReGas, schon längst arbeiten. Bereits am 1. Dezember - in etwas mehr als vier Monaten - sollen seine LNG-Stationen in Betrieb sein. ReGas setzt auf ein Bündnis mit dem französischen Energieriesen TotalEnergies, von dem alle Schiffe gechartert werden.

Ehrgeiziger Zeitplan

Der Zeitplan gilt als ehrgeizig. Ein riesiger Flüssiggas-Tanker soll zwischen Rügen und Usedom festmachen, kleinere Schiffe sollen ihn mit Flüssiggas versorgen. Von dort aus transportieren sogenannte Shuttle-Schiffe das Gas durch den flachen Greifswalder Bodden nach Lubmin. Dort soll aus dem kalten Flüssiggas normales Erdgas werden und dann in die Leitungen eingespeist werden.

Die rot-rote Landesregierung setzt auf das Doppel-Projekt und sieht keine Probleme in einer Konkurrenz zwischen staatlichem und privatem Projekt. Dabei bleibt es, teilte Staatskanzlei-Chef Patrick Dahlemann (SPD) mit. Auch das Bundeswirtschaftsministerium erklärte, zwei Stationen in Lubmin seien möglich. Dass die Genehmigungen "nicht einfach sind, ist klar. Wir müssen ein Tempo vorlegen, dass es so in Deutschland noch nicht gab." Jetzt komme es auf die Umsetzung vor Ort an, hieß es aus Berlin. ReGas-Geschäftsführer Ingo Wagner erklärte am vergangenen Mittwoch, es entstehe in kurzer Zeit ein Infrastruktur-Projekt, "welches normalerweise viele Jahre in Anspruch nimmt".

Kritik von der Deutschen Umwelthilfe

Die Deutsche Umwelthilfe hat nicht nur Zweifel an dem Tempo, sie formuliert auch grundsätzliche Bedenken gegen das private Projekt. Flüssiggas-Transporte durch die vergleichsweise enge Ostsee seien ein Sicherheitsrisiko, sagte DUH-Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner. Tiefwasser-Häfen an der Nordsee seien besser geeignet. Der private Investor komme aus dem Nichts, jedenfalls nicht aus der Energiebranche. Vielleicht seien ja "findige Köpfe unterwegs", angesichts der vorgelegten "dünnen" Informationen habe er da Zweifel, so Müller-Kraenner.

Weitere Informationen
Vor Lubmin soll ein schwimmendes LNG-Terminal entstehen © NDR Nordmagazin

Lubmin bekommt weiteres schwimmendes LNG-Terminal

Frühestens Ende 2023 soll ein weiteres schwimmendes LNG-Terminal - neben einer Anlage eines privaten Investors - in der Ostsee vor Lubmin in Betrieb gehen. mehr

Außerdem seien die vorgelegten Pläne unkonkret, kritisiert die Deutsche Unmwelthilfe. Es gebe noch jede Menge umweltrechtliche Hürden zu überwinden, Genehmigungen lägen nicht vor. Es sei besser, wenn der Bund die Notfall-Maßnahmen in der Energiekrise in der Hand behalte. Die Bundesregierung müsse aufpassen, warnte Müller-Kraenner, dass es keinen Wildwuchs bei LNG-Terminals gebe und "Leute den schnellen Euro mit hohen Energiepreisen machen". Auf Twitter sprach er von "Glücksrittern".

Gründung von ReGas vor drei Monaten

Die deutsche ReGas wurde erst vor drei Monaten gegründet. Ihr Sitz ist in Lubmin. Als telefonischer Kontakt wird allerdings eine Nummer in Potsdam angegeben. Die gehört zum Einwahlnetz einer der Gesellschafter, der Steuerberatungsgesellschaft Dr. Knabe. Die Firma ist ein großer Player in der Berater-Branche und über Brandenburg hinaus aktiv. Die Firma des Eigentümers Stephan Knabe ist jedoch eher mit Wirtschaftsprüfungen vertraut - Energiefragen gehören laut Eigenauskunft nicht zu ihren Themen.

Weitere Informationen
Podcast Akte Nord Stream 2 - Eine Pipeline unter Wasser © iStock Foto: golero

Akte Nord Stream 2 - Gas, Geld, Geheimnisse

Wie viel Einfluss übte Russland auf die Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern aus? In diesem Podcast öffnen wir die Akte Nord Stream 2. mehr

Zweiter Gesellschafter ist ReGas-Geschäftsführer Ingo Wagner - der 51-Jährige kommt aus dem baden-württembergischen Bruchsal, er hat bis vor kurzem noch in Seattle in den USA gelebt. Wagner ist auch Chef der WCP-Deutschland GmbH in seinem Heimatort. Das Unternehmen firmierte bis 2019 noch unter dem Titel "Manufactur Schule", die eine Privat-Schule betreiben sollte. WCP-Deutschland soll jetzt Energie-Projekte umsetzen. Bisher ist die Firma nicht mit großen Vorhaben in Erscheinung getreten, Lubmin ist offenbar das erste Projekt.

Bauprojekte und Investmentfonds

Wagner ist auch Chef einer Immobilien-Gesellschaft. Die baut in seiner Heimatstadt Bruchsal seit Ende 2021 mehr als 100 Wohnungen in einem mehr Mehrgenerationen-Quartier. Lokale Medien priesen ihn als "US-Investor mit Wurzeln in Büchenau". Mit Flüssiggas hat sein Bauprojekt nichts zu tun. Nach eigenen Angaben war Wagner Partner und Europa-Chef eines "12-Milliarden-Investmentfonds". Auf Nachfrage stellte das Unternehmen klar, dass es sich um Dollar handelt. Wagner habe zwischen 2004 und 2016 etliche Energie-Infrastrukturprojekte betreut - darunter auch LNG-Terminals.

Kritik der Umwelthilfe sei unangemessen

Aufsichtsratschef Knabe hält die Kritik der Umwelthilfe für unangemessen, auch Zweifel an der Unternehmensstruktur seien nicht angebracht. Man habe die DUH frühzeitig eingebunden. Er wisse nicht, so Knabe im Gespräch mit dem NDR, "wie viel Expertise die Umwelthilfe darin hat, unser Projekt zu bewerten, wir stecken sehr tief drin und wir sind im Zeitplan". Man kenne die nötige Fachleute und habe ein internationales Team auf die Beine gestellt. Alle Genehmigungsanträge seien gestellt. Knabe verwies auf "sehr viel Unterstützung" der lokalen Behörden und des Bundes.

Woher das Gas für Lubmin kommt, ist noch unklar

Insgesamt seien für die Investition in Vorpommern rund 100 Millionen Euro vorgesehen, öffentliche Fördermittel seien nicht beantragt. Gewinne mache die Firma am Ende mit Nutzungsentgelten aus der Gasdurchleitung. Woher das Gas für Lubmin kommt, ist noch unklar. Aufsichtsratschef Knabe sagte, man habe "sehr viele Anfragen von LNG-Lieferanten". Er mache sich keine Sorge, dass man das angepeilte Lieferziel von 4,5 Milliarden Kubikmeter im Jahr nicht erfüllen werde. Zum Vergleich: Durch die russische Nordstream 1-Leitung kamen 2021 - vor dem russischen Angriff auf die Ukraine - 60 Milliarden Kubikmeter an - gut zwölf Mal so viel.

Weitere Informationen
Rohrsysteme und Absperrvorrichtungen in der Gasempfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream 1 und der Übernahmestation der Ferngasleitung OPAL (Ostsee-Pipeline-Anbindungsleitung) sind vor Sonnenaufgang zu sehen. © dpa Foto: Jens Büttner

Nord Stream 1 nach Wartung: Gaslieferung wieder angelaufen

Einem Sprecher der Nord Stream AG zufolge fließt das Gas wieder. Der Gasfluss hat mittlerweile das angekündigte Niveau erreicht. mehr

Gasspeicherfüllstände in und Pipeline-Flüsse nach Deutschland © NDR

Gasspeicher: Der aktuelle Füllstand in Deutschland

Füllstand der Gasspeicher, Gasverbrauch, Gasimporte: Die wichtigsten Daten in der Live-Übersicht. mehr

Eine Andockstation auf einer Kai-Mauer. © NDR

Investor will Flüssiggas-Import in Lubmin vorantreiben

Der kleine Ort in Vorpommern könnte ein möglicher Standort sein, wo das Gas angelandet und dann per Leitung weiterverteilt wird. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 21.07.2022 | 12:00 Uhr

Mehr Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern

Die Seebrücke von Sellin, auf der Insel Rügen, gilt als die schönste des Landes. Ein "Traumschloss am Meer". Mit einer feinen Gastronomie und Festsälen für zahlreiche Veranstaltungen, vor allem Hochzeiten. Die geschützte Bucht mit flachem Wasser ist vor allem bei Familien sehr beliebt. © NDR

Wohnen im Tourismus-Hotspot: Rügen und Usedom fordern bezahlbare Mieten

Wegen der Nachfrage nach Ferienunterkünften erreichen die Mietpreise im Amt Mönchgut-Granitz das Niveau von Hamburg. mehr

Die neue NDR MV App

Ein Smartphone zeigt die Startseite der neuen NDR MV App © NDR Foto: IMAGO. / Bihlmayerfotografie

Mecklenburg-Vorpommern immer dabei - die neue NDR MV App

Artikel, Podcasts, Livestreams: Die NDR MV App ist ganz neu: übersichtlich, kompakt, benutzerfreundlich, aktuell. mehr