Studie: Landtagswahl von Rentnerinnen und in Vorpommern entschieden
Rostocker Politikwissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass die Landtagswahl 2021 in Vorpommern entschieden wurde, wo die SPD oft die lachende Dritte war. Die Personalprobleme der CDU machen ihr auch nach der Wahl zu schaffen.
Seit der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern am 26. September 2021 wird die SPD nicht müde, ihren Wahlsieg herauszustellen. FDP und Grüne versuchen, ihre Newcomer-Rolle im Landtag abzulegen und CDU, die Linke sowie AfD würden am liebsten ihre Stimmverluste vergessen. Prof. Dr. Wolfgang Muno und Dr. Jan Müller von der Universität Rostock haben unterdessen eine Studie zur Landtagswahl erarbeitet. Auf mehr als 170 Seiten analysieren sie mit ihrem Team die Themen, Kandidaten sowie das Wahlverhalten. Für den 39,6-Prozent-Sieg der SPD machen die Wissenschaftler vor allem zwei Gründe aus: Rentnerinnen und Vorpommern.
"Schwesig wurde von Rentnerinnen gewählt"
Die Studie zeichnet die klassische SPD-Wählerin: "Sie stammt aus dem Landesteil Mecklenburg, ist über 60 Jahre alt und demnach entweder bereits Rentnerin oder kurz davor." Muno ist sich sicher: "Manuela Schwesig wurde von Rentnerinnen gewählt. Das war der Wahlsieg für die SPD." Außerdem spielte der sonst konservativ votierende östliche Landesteil eine entscheidende Rolle. Bei den vergangenen Wahlen galt häufig: Mecklenburg ist am Ende eines Wahlabends rot und Vorpommern schwarz auf der Wahlkreiskarte eingefärbt. Dieses Mal ergab sich ein anderes Bild.
Mehr SPD-Wähler in Vorpommern
Die Sozialdemokraten fuhren in Vorpommern ihre größten Gewinne ein - laut Muno ein wichtiger Faktor für den Sieg der SPD. Ob das an dem fünf Jahre zuvor eingesetzten Vorpommern-Staatssekretär Patrick Dahlemann (SPD) liege, lasse sich quantitativ nicht belegen. "Aber es dürfte eine gewisse Rolle gespielt haben, dass er einfach präsenter war", meint Muno. Entscheidender und auch belegbar bei der Vergabe der Direktmandate in den Wahlkreisen sei, dass sich AfD und CDU in Vorpommern gegenseitig die Stimmen abgenommen haben, "sodass dann die SPD eigentlich die lachende Dritte in vielen Wahlkreisen war, obwohl das entsprechende Ergebnis relativ schwach war", so die Einordnung Munos.
CDU hatte drei große Probleme
Die CDU kassierte zum dritten Mal in Folge einen Negativ-Rekord. In ihrer Analyse machen Muno, Müller und ihr Team drei Gründe dafür aus. Einerseits habe der negative Bundestrend abgefärbt. Weiterhin hätten Umfragen gezeigt, dass die Wähler den Christdemokraten in keinem Politikfeld die höchste Kompetenz zugeschrieben haben, auch nicht in der von der Partei selbst ausgemachten Kernkompetenz "Wirtschaft". Das schwerwiegendste Problem der CDU sei jedoch das Personal gewesen. Erst setzte sie mit Michael Sack auf einen schwachen Spitzenkandidaten. Nach Sacks Rückzug installierten die Christdemokraten eine Übergangs-Parteispitze. Die Wissenschaftler sind sich sicher, dass die ungeklärte Führungsfrage entscheidend für das Scheitern der Sondierungsgespräche mit der SPD war. Wissenschaftler Müller meint, die Personalien müssten so schnell wie möglich geklärt werden. "Das hat man aber jetzt schon versäumt." Den Absturz der CDU in die Opposition beobachten die Politikwissenschaftler interessiert. Spannend sei, ob sich die CDU weiterhin von der AfD abgrenzt oder künftig einen anderen Weg im Umgang einschlägt.
AfD weiterhin Protestpartei
Die Studie zeigt zudem, dass die Stammwählerschaft der AfD gewachsen ist. Im Vergleich zur vorangegangenen Wahl 2016 gaben nach der Wahl 2021 deutlich mehr AfD-Wähler bei einer Umfrage an, die AfD aus Überzeugung gewählt zu haben. Ihr Anteil an der AfD-Wählerschaft stieg um zwölf Prozentpunkte auf 36 Prozent. Dennoch bleiben die Wissenschaftler dabei: "Die AfD ist weiterhin eine Protestpartei, weil immer noch der größere Teil der Wählerinnen und Wähler Protestwähler sind", so Muno. Umfragen zufolge haben 52 Prozent die AfD aus Enttäuschung gewählt. Wie bei der Wahl 2016 waren die meisten AfD-Wähler männlich und mittleren Alters. Jeder Fünfte stammt aus der Berufsgruppe der Arbeiter. Die "Partei der kleinen Leute" - wie die AfD sich gern selbst sieht - ist sie dennoch nicht. Die SPD bleibt stärkste Kraft bei den kleineren Einkommen.
Linke verliert Wähler an SPD und den Friedhof
Die Linkspartei fuhr bei der Landtagswahl ihr schlechtestes Ergebnis seit 1990 ein. Ihre Kernthemen im Wahlkampf - Bildung, Armutsbekämpfung und höhere Löhne - reichten nicht für eine Abgrenzung von den Sozialdemokraten. 14.000 Wähler aus dem Jahr 2016 wanderten zur SPD ab. Außerdem sind seitdem rund 11.000 Wähler der Linken verstorben. Dieser Umstand offenbare, so die Rostocker Politikwissenschaftler, das strukturelle Problem der Partei. Es handele sich um "eine stark überalterte Parteimitgliedschaft, die sich auch in dem überproportionalen Verlust an Wähler*innen an Friedhöfe ausdrückt“, heißt es in der Studie. Für die Herausgeber der Studie steht fest, die Linke im Land ist aufgrund des Ergebnisses klare Wahlverliererin, durch die Regierungsbeteiligung aber auch Wahlgewinnerin. Jetzt müsse die Partei zeigen, "wo letztlich ihre Existenzberechtigung liegt, um wieder mehr Menschen als Wähler*innen anzusprechen".
Bündnisgrüne dank Bundestrend wieder im Landtag
Die Wissenschaftler stellen außerdem fest: "Wie in vorherigen Wahlen gelang es den Grünen nicht, das Klientel des ländlichen Raums für sich zu gewinnen." Ihre Hochburgen waren die Universitätsstädte Rostock und Greifswald. In dem Papier ist von einem "durchwachsenen Wahlkampf" die Rede, der von "personellen Fehlern, Unachtsamkeiten und Naivität gekennzeichnet war“. Außerdem stand die Partei vor der Herausforderung, dass ihre Kernthemen "Umwelt" und "Klima" im Land - anders als im Bund - Umfragen zufolge nur einen geringen Stellenwert hatten. Unter diesen Umständen, so Müller, "müssen die Grünen mit dem Ergebnis zufrieden sein".
FDP-Werte auffällig unauffällig
Mit den Freien Demokraten haben sich die Studienmacher besonders schwergetan. "Das ist schwer einzuordnen, weil die Zuwächse kaum ein Muster ergeben", sagt Müller. Überall seien durchschnittlich drei Prozentpunkte Zugewinn festzustellen. Es gebe beispielsweise keine regionale Unterscheidung oder Abweichung bei den Geschlechtern. "Es war also der Bundestrend und damit die Performance von Christian Lindner, die auch hier zählten." Ein weiterer Pluspunkt und damit Grund für den Wiedereinzug der FDP in den Landtag könnte die gemäßigte Corona-Kritik gewesen sein.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung des Beitrags wurde ein falsches Datum der Landtagswahl angegeben, wir haben den Fehler korrigiert.
