Frauen in Führungspositionen - immer noch in der Unterzahl
Frauen machen die Hälfte der Bevölkerung aus, sie haben aber nicht die Hälfte der Macht. Nur 30 Prozent der Chefs in Mecklenburg-Vorpommern sind weiblich. Der Landesverband deutscher Unternehmerinnen will das ändern.
Iris Tschischke ist Chefin, Mutter, Verbandsvorsitzende und sagt: "Mädchen, traut Euch!" Aber einen Schritt zurück. Tschischke ist gelernte Altenpflegerin. Vor 20 Jahren beschloss sie, sich selbständig zu machen, ein Pflegeheim nach ihren Vorstellungen zu gründen. Dieses Vorhaben drohte am Widerstand der Banken zu scheitern: "Wenn die gehört haben, Pflegeheim gründen, kam das große Kopfschütteln. Die sagten, 'Ihr Mann verdient doch gut, suchen Sie sich doch lieber irgendwo eine Anstellung.' Und das hielt ich für falsch. Zumal damals, Anfang der 2000er-Jahre, 90 Prozent der Heimleiter in Rostock Männer waren." Auch das hielt sie für falsch. Tschischke kontaktierte 14 Banken, 13 sagten ab. Inzwischen hat sie das Haus deutlich vergrößert und ein zweites gegründet.
Zugang zum Finanzmarkt erschwert
Der Verband deutscher Unternehmerinnen ist ein Wirtschaftsverband, der sich laut Eigenaussage "für mehr weibliches Unternehmertum, mehr Frauen in Führungspositionen und bessere Bedingungen für Frauen in der Wirtschaft" einsetzt. Iris Tschischke leitet den Landesverband mit nur 21 Mitgliedern. Frauen hätten mit vielen Problemen zu kämpfen, sagt die 54-Jährige: "Wir sind überzeugt davon, dass Frauen einen erschwerten Zugang zu den Finanzmärkten bekommen, zum Beispiel bei Krediten noch kritischer hingeschaut wird. Und Frauen denken bei vielen Absagen oder Nachfragen dann eher 'dann schaffe ich es halt doch nicht' und lassen sich entmutigen." Studien belegen, dass Frauen seltener zugetraut wird, Führungspotential zu besitzen. Hier müsse sich dringend etwas ändern, so Tschischke.
Alte Strukturen erschweren Erneuerung
Der Verband deutscher Unternehmerinnen kämpft außerdem für Entbürokratisierung und Digitalisierung. Abläufe würden verschlankt, das Arbeiten zu Hause würde ermöglicht, das sei wichtig für weibliche Führungskräfte. Ebenso eine bedarfsgerechte Kinderbetreuung. Jedoch seien die Kita-Zeiten nicht ausreichend und vor allem unflexibel. Gute Angebote gebe es nicht flächendeckend. Für viele Frauen stelle sich da die Frage: Kinder oder Karriere? Sie selbst hat als Chefin eine Tochter bekommen, frühzeitig die Vertretung geregelt und ihre Elternzeit genossen. Wenn die Rahmenbedingungen stimmten, würden sich sicher mehr Frauen für Kind und Unternehmertum entscheiden, so Tschischke.
Deutschland hinkt hinterher
Laut einer Statista-Erhebung sind gerade mal 24 Prozent der Chefs in Deutschland weiblich. Nicht mal 12 Prozent der Uni-Professoren sind weiblich, und nur 18 Prozent der DAX-Vorstände sind Frauen. Und in Mecklenburg-Vorpommern? Trotz DDR-Geschichte mit Ingenieurinnen und Traktoristinnen, mit staatlich vorgeschriebener Gleichberechtigung, gibt es laut Arbeitsagentur und mehrerer Industrie- und Handelskammern nur 30 Prozent Chefinnen. Synke Ahlmeyer ist eine von ihnen. Sie ist Geographin und Chefin der Umweltplan GmbH. Die erstellt unter anderem Umweltgutachten oder übernimmt die ökologische Bauüberwachung. Mehr als die Hälfte ihrer 63 Angestellten sind Frauen. Und die zu fördern, ist ihr eine Herzensangelegenheit, erzählt Ahlmeyer: "Sie sind umsichtig, fachlich sehr gut ausgebildet und sie sind genauso in der Lage, die Aufgaben hier zu bewerkstelligen."
Frauen- und Männerberufe
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Ahlmeyer braucht, haben zum großen Teil Naturwissenschaften studiert. Und da sind Frauen weiterhin unterrepräsentiert. So wie generell in den sogenannten MINT-Fächern. Damit sind Unterrichts- und Studienfächer beziehungsweise Berufe aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik gemeint. Es fängt in der Schule damit an, dass Mädchen lieber Sprachen als Mathe machen, später studieren sie soziale Arbeit statt Wirtschaftsinformatik und arbeiten danach in sozialen Berufen oder der Dienstleistungsbranche und nicht in einer Kfz-Werkstatt. Noch immer gibt es im Alltag klassische "Frauen- und Männerberufe". Das liege aber nicht an fehlendem Können, sondern an fehlenden Berührungspunkten, so Ahlmeyer.
Praktika als Einstiegsmöglichkeit
Ahlmeyer setzt auf Praktika. 20 Praktikantinnen und Praktikanten pro Jahr holt sie sich ins Haus, sogar schon zu Schulzeiten. Nur so bekämen junge Menschen eine Idee davon, was es für spannende Berufe gibt. Vor allem Mädchen könnten so die Naturwissenschaften schmackhaft gemacht werden, sagt sie. Josephine Ulm nickt. Sie ist Physikerin und erstellt Schallgutachten in der Firma. Die 27-Jährige hat die Erfahrung gemacht, dass Mädchen belächelt werden, wenn sie den Physik-Leistungskurs wählen. Denn es fehlten Vorbilder: "Ich hatte in meinem Studium eine Professorin, alles andere waren Männer. Mit meinen 27 Jahren habe ich jetzt das erste Mal eine Frau als Vorbild, und das ist Frau Ahlmeyer, weil sie diese Leidenschaft für ihren Beruf mitbringt." Ein weiteres Lob kommt von einem jungen Mitarbeiter. Alexander Wille ist Landschaftsökologe bei Umweltplan. Synke Ahlmeyer habe als Chefin immer ein offenes Ohr für ihre Mitarbeitenden, man begegne sich auf Augenhöhe und "sie schafft eine Wohlfühlatmosphäre für uns alle", so der 26-Jährige.
Mehr Empathie, weniger Ellbogen
Ahlmeyer selbst sagt, sie glaube, dass Frauen in Führungspositionen eher das "große Ganze" im Blick hätten und sich stärker um andere sorgten als Männer. Tatsächlich gelten Chefinnen als empathischer und flexibler. Professor Bernd Marcus, Organisationspsychologe an der Uni Rostock, bestätigt das. Frauen führten kommunikativer, holten sich mehr Feedback ein, seien weniger autokratisch. Gleichzeitig stellten Mitarbeitende Entscheidungen von Chefinnen eher in Frage als von Chefs. Das sei in Studien belegt worden. Männer seien vor allem besser im Networking, förderten eher wiederum Männer, die ihnen ähnlich seien. Es gebe durchaus Hinweise darauf, dass Chefs vor lauter Networking nicht mehr zum Arbeiten kämen. Professor Marcus: "Wenn man aber eine Führungskultur schafft, in der nach Potenzialen gesucht wird und nicht nur die nach vorne kommen, die die dicksten Ellenbogen haben und bereit sind, sie einzusetzen, dann trägt das sicherlich auch dazu bei, dass Frauen stärker in Führungspositionen kommen."
In die eigenen Fähigkeiten vertrauen
Wie Iris Tschischke hat auch Synke Ahlmeyer als Unternehmerin, als Chefin Kinder bekommen. Ihren Mitarbeiterinnen und selbstverständlich auch den Mitarbeitern ermöglicht sie deswegen ganz selbstverständlich Elternzeit, Homeoffice und Teilzeit. Junge Frauen ermutigt sie, sich fortzubilden und Leitungsfunktionen zu übernehmen. Und der Erfolg gibt ihr Recht: Während viele Unternehmen im Land längst über den Fachkräftemangel stöhnen, bekommt die Umweltplan GmbH weiterhin Initiativbewerbungen. Trotzdem begegneten Männer ihr und Frauen im Allgemeinen auf Baustellen oft mit Misstrauen. Deswegen müssten Frauen quasi immer beweisen, dass sie kompetent sind und besonders selbstbewusst auftreten, so Ahlmeyer. Gerade daran hapere es aber noch. Vielen Frauen mangele es an Selbstvertrauen, sie scheuten sich, Verantwortung zu übernehmen. Deswegen ruft auch Synke Ahlmeyer den Mädchen und jungen Frauen zu: "Traut Euch!"
