Ein Apotheker steht an einem Medikamentenregal © Colourbox Foto: Diego Cervo

"Flohmarkt" für Medikamente? Geteiltes Echo in MV

Stand: 19.12.2022 13:24 Uhr

Medikamentenflohmarkt gegen Medikamentenmangel? Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, lässt mit einem Vorschlag aufhorchen. Gesunde sollten überschüssige Medikamente an Kranke abgeben. In Mecklenburg-Vorpommern stößt die ungewöhnliche Idee auf geteiltes Echo.

Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums von Anfang Dezember gibt es in Deutschland Lieferengpässe bei rund 300 Medikamenten. Grund seien unter anderem Produktions- und Lieferverzögerungen für die Rohstoffe. Ein weiteres Problem seien zudem lange Lieferketten von China oder Indien nach Deutschland. Doch wie das Problem lösen? "Wer gesund ist, muss vorrätige Arznei an Kranke abgeben. Wir brauchen so etwas wie Flohmärkte für Medikamente in der Nachbarschaft", sagte Reinhardt am Wochenende dem "Tagesspiegel". Der Chef der Ärztekämmer Mecklenburg-Vorpommern, Andreas Crusius, findet die Idee gar nicht so schlecht. Wenn man nicht genug hat, dann müsse man sich gegenseitig helfen, sagte er dem NDR in MV.

Weitere Informationen
Ein Apotheker steht an einem Medikamentenregal © Colourbox Foto: Diego Cervo

Rund 300 Medikamente in MV derzeit nur begrenzt verfügbar

Grund sind unter anderem Produktions- und Lieferverzögerungen und zu lange Lieferketten aus Asien nach Deutschland. mehr

"Das Geld ist für die Versorgung von Patienten da"

Allerdings meint auch Crusius, dass das Problem der Medikamenten-Knappheit grundsätzlich angepackt werden müsse. Wichtige Medizin müsste wieder in Deutschland produziert werden - und zwar zu kostendeckenden Preisen für die Hersteller. Dazu müssten sich die Krankenkassen bewegen. Es könne nicht sein, dass Aktionäre von Krankenhauskonzernen ihre Renditen aus den Beiträgen von Krankenversicherten bekämen. "Das Geld ist für die Versorgung von Patienten da", so Crusius.

Apothekerverband MV: Solche Vorschläge verunsichern die Menschen

Bei den Apothekern im Land löste Reinhardts "Flohmarkt"-Vorschlag hingegen Verwunderung aus. Als "wenig hilfreich" bezeichnete Axel Pudimat, der Landes-Vorsitzende des Apothekerverbandes den Vorstoß aus der Bundesärztekammer. Die Apotheker würden versuchen, das Problem in den Griff zu bekommen, den Mangel zu beseitigen und eine bestmögliche Versorgung sicherzustellen, Vorschläge wie die von Medikamenten-"Flohmärkten" würden die Menschen nur verunsichern, so Pudimat.

"Medikamente sind nicht auf einem Trödelmarkt zu handeln"

Auch der Chef der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, meldet im Interview mit NDR Info Zweifel an: "Letztendlich hat der Bundesärztekammer-Präsident ja auch gesagt, Medikamente weiterzugeben, die beispielsweise schon abgelaufen sind." Gerade bei Säften müsse man aufpassen, ob sie abgelaufen sind. "Medikamente sind nicht auf einem Trödelmarkt zu handeln. Sie sind lebensnotwendig." Wenn sich Freunde und Familien gegenseitig helfen würden - etwa bei Fiebersaft für Kinder - sei das hingegen kein Problem, so der oberste Patientenschützer. In vielen WhatsApp-Gruppen würde das schon geschehen, so Brysch.

Weitere Informationen
Ein Porträtbild von Eugen Brysch, Vorsitzender "Deutsche Stiftung Patientenschutz". © Deutsche Stiftung Patientenschutz

Medikamenten-Flohmarkt? "Das hört sich nach offener Drogenszene an"

Vielerorts sind Arzneimittel knapp. Patientenschützer Brysch aber lehnt auf NDR Info "Flohmärkte für Medikamente" ab, die die Bundesärztekammer angeregt hat. mehr

Drese: Krankenkassen sollen Kosten unbürokratisch übernehmen

Auch Gesundheitsministerin Stefanie Drese (SPD) findet den Gedanken nicht schlecht: "In guten Nachbarschaften hilft man sich bei Bedarf gegenseitig mit Medikamenten aus", sagte sie. Da brauche es keine Vorgaben. Man sollte aber in jedem Fall Rücksprache mit dem Hausarzt oder der Apotheke halten. Drese meint auch, dass Medikamente wieder im Inland hergestellt werden müssten. Die Kassen sollten Apotheker unterstützen, wenn sie Ersatzmedikamente anbieten. Sie erwarte, dass die Krankenkassen die Kosten für angerührte Säfte unbürokratisch übernehmen.

Bundesinstitut für Arzneimittel beobachtet die Lage

Um die Versorgungslage mit Arzneimitteln kontinuierlich beobachten und bewerten zu können, wurde beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ein Beirat eingerichtet, den auch die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern unterstützt hat. Kommt es zu Lieferngpässen, schlägt dieser Beirat entweder Alternativen vor oder gibt Empfehlungen zur Verbesserung der Situation. Sollte ein Versorgungsmangel eintreten, können die zuständigen Behörden befristet Ausnahmen vom Arzneimittelgesetz zulassen. Außerdem veröffentlicht das BfArM eine Liste versorgungsrelevanter und versorgungkritischer Wirkstoffe auf einer Internetseite.

Weitere Informationen
NDR MV Live mit Bernd Stahlhacke von der Apothekerkammer MV. © NDR
10 Min

NDR MV Live: Fiebersaft und Schmerzmittel - Medikamente fehlen

Apotheken in MV haben Schwierigkeiten, einige Medikamente zu beschaffen. Die Apotheker schätzen die Lage als schwierig ein. 10 Min

Verschiedene Medikamente © Screenshot
3 Min

Preisdruck: Medikamente nur begrenzt in Apotheken verfügbar

Krankenkassen versuchen Geld zu sparen und unterstützen nur günstige Anbieter. Bricht ein Produzent weg, reißt die Lieferkette. 3 Min

Ein Apotheker steht an einem Medikamentenregal © Colourbox Foto: Diego Cervo

Apothekerverband: Lieferengpässe von Medikamenten auch in MV

In Deutschland und somit auch in MV steigt die Zahl der Medikamente, die gar nicht oder nur schwer erhältlich sind, so der Apothekerverband. mehr

Verschiedene Medikamente © picture alliance Foto: Normann Hochheimer/CHROMORANGE

Lieferengpässe: Welche Medikamente nicht lieferbar sind

Mehr als 250 Medikamente sind in Deutschland zurzeit nicht lieferbar. Dazu gehören Antibiotika, Blutdrucksenker und Schmerzmittel. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 19.12.2022 | 12:00 Uhr

Mehr Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg bereitet sich bei seinem Besuch beim Taktischen Luftwaffengeschwader 73 "Steinhoff" in Laage bei Rostock auf den Mitflug in einem Eurofighter vor. © Bernd Wüstneck/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ Foto: Bernd Wüstneck/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

NATO-Generalsekretär: In Laage werden "die besten Piloten der Welt" ausgebildet

Jens Stoltenberg hat den Luftwaffenstützpunkt in Laage besucht und die wichtige Rolle der Luftwaffe für die Allianz hervorgehoben. mehr

Die neue NDR MV App

Ein Smartphone zeigt die Startseite der neuen NDR MV App © NDR Foto: IMAGO. / Bihlmayerfotografie

Mecklenburg-Vorpommern immer dabei - die neue NDR MV App

Artikel, Podcasts, Livestreams: Die NDR MV App ist ganz neu: übersichtlich, kompakt, benutzerfreundlich, aktuell. mehr