Merz im zweiten Anlauf Bundeskanzler - Regierung steht
CDU-Chef Friedrich Merz ist erst im zweiten Wahlgang zum neuen Bundeskanzler gewählt worden. Im ersten Durchgang war er überraschend an der absoluten Mehrheit gescheitert. Dem neuen Kabinett gehören fünf norddeutsche Politiker an.
Nach dem politischen Paukenschlag im Bundestag gab es für Friedrich Merz doch noch einen versöhnlichen Ausklang eines angespannten Tages: Der CDU-Chef ist am Dienstagnachmittag im zweiten Wahlgang zum Bundeskanzler gewählt worden. Er erhielt 325 Ja-Stimmen. Für die absolute Mehrheit nötig waren 316. Im Anschluss erhielt er aus den Händen von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue die Ernennungsurkunde. Damit ging die Amtsgewalt auch offiziell auf ihn über.
Am frühen Abend folgte der Amtseid, wiederum im Bundestag. Merz schwor unter anderem, seine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen, seinen Nutzen zu mehren und Schaden von ihm zu wenden. Er verwendete dabei die religiöse Zusatzformel "so wahr mir Gott helfe".
Im Anschluss wurden die 17 Bundesministerinnen und -minister ernannt und vereidigt. Aus dem Norden gehören dem neuen Kabinett an: Lars Klingbeil (SPD/Finanzen und Vizekanzler), Johann Wadephul (CDU/Auswärtiges), Boris Pistorius (SPD/Verteidigung), Karin Prien (CDU/Bildung) und Reem Alabali-Radovan (SPD/Entwicklung). Steinmeier gab der Ministerriege mahnende Worte mit auf den Weg: "Es ist - ich sage das so klar - im Interesse unseres Landes, dass Sie Erfolg haben", sagte der Bundespräsident.
Gut zehn Wochen nach der Wahl ist die Bildung der neuen Bundesregierung von CDU, CSU und SPD damit abgeschlossen. Kanzler Merz und sein neues Kabinett nahmen noch am Abend mit einer ersten Sitzung die Arbeit auf.
Merz scheitert im ersten Wahlgang an absoluter Mehrheit
Am Vormittag hatte Merz im ersten Wahlgang nur 310 Ja-Stimmen erzielt und damit nicht die erforderliche absolute Mehrheit erreicht - ein bisher einmaliger Vorgang in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Noch nie ist nach einer Bundestagswahl und erfolgreichen Koalitionsverhandlungen ein designierter Kanzler bei der Wahl im Bundestag gescheitert.
Es folgten stundenlange Beratungen der Fraktionen über einen zweiten Wahlgang noch am selben Tag. Nötig dafür war eine Fristverkürzung. Diese beschloss der Bundestag am Nachmittag mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit. Unterstützt wurden Union und SPD dabei von den Grünen und den Linken.
Weil: "Belastung für unsere Demokratie"
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hatte sich nach dem ersten gescheiterten Wahlgang "sehr besorgt" gezeigt. Die fehlenden Stimmen für Merz seien "gerade in der aktuellen Situation eine Belastung für unsere Demokratie", sagte Weil. Für ihn sei es ein lehrreicher Tag gewesen. Er habe gezeigt, "wie verletzlich die politische Stabilität unseres Landes derzeit ist". Das Vertrauen sei durch die Vorgänge um die Kanzlerwahl erschüttert worden, so Weil. "Wir können alle miteinander nur hoffen, dass die neue Bundesregierung es in den nächsten Jahren schafft, gerne nach innen lebendig zu diskutieren, aber nach außen geschlossen aufzutreten."
Middelberg: "Gewisse Enttäuschung" bei Niedersachsen-CDU
Der niedersächsische Abgeordnete Mathias Middelberg, bislang stellvertretender CDU-Fraktionsvorsitzender, sagte im Interview auf phoenix, dass die fehlenden Stimmen im ersten Wahlgang als "Denkzettel" für Merz zu interpretieren sind. "Ich kann mir vorstellen, dass der ein oder andere Frust ablassen wollte", sagte Middelberg. Vielen sei nicht klar gewesen, was sie mit einer "Stimme der Enttäuschung" auslösen. Middelberg bestätigte, dass es eine "gewisse Enttäuschung" gebe, weil die Niedersachsen-CDU keinen Ministerposten abbekommen hatte. "Aber ich bin mir sicher, dass deswegen keiner meiner niedersächsischen Kolleginnen und Kollegen entsprechend gewählt hat", so Middelberg.
Schwesig: "Was heute passiert ist, ist unverantwortlich"
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig äußerte sich nach dem ersten Anlauf entsetzt: "Ich finde das, was heute passiert, ist unverantwortlich", sagte die SPD-Politikerin. Nach der geglückten Wahl im zweiten Durchgang wünschte sie der schwarz-roten Regierung viel Erfolg bei ihrer Arbeit. Ihre Landesregierung werde mit der neuen Bundesregierung konstruktiv zusammenarbeiten.
"Das heißt nicht, dass wir immer in allen Punkten einer Meinung sein werden", so Schwesig. "Aber wir setzen auf Austausch und gemeinsame Lösungen." Sie hoffe, dass die neue Bundesregierung einen Beitrag zum gesellschaftlichen Frieden leisten könne. Schwesig war auf SPD-Seite an den Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU beteiligt.
Prien: "Die ganze Welt schaut auf uns"
Diesen Tag hatte sich auch die designierte Bildungsministerin und CDU-Bundesvize Karin Prien anders vorgestellt. Prien, die zuvor das gleiche Amt in der schleswig-holsteinischen Landesregierung innehatte, sprach von einem emotionalen Auf und Ab. "Aber es geht ja weniger um mich, sondern ich mache mir schon große Sorgen um die Stabilität unseres demokratischen Systems", sagte sie nach dem ersten Wahlgang. Sie nannte die gescheiterte Kanzlerwahl eine ernste Angelegenheit.
Wadephul: Merz "politisch nicht beschädigt"
Der designierte Außenminister Johann Wadephul aus Schleswig-Holstein sieht Friedrich Merz nach eigenen Worten nicht politisch beschädigt. "Es hat doch schon zahlreiche Wahlgänge von Ministerpräsidenten in ganz Deutschland gegeben, wo es im ersten Wahlgang nicht gereicht hat. Auch in anderen Staaten ist das schon passiert. Und wer redet heute noch darüber, ob es im ersten oder zweiten Wahlgang geklappt hat", sagte der CDU-Politiker. Am Ende sei die Wahl eine Gewissensentscheidung, die sei "bedauerlicherweise so ausgefallen, wie sie ausgefallen ist".
Midyatli: "Kein guter Tag in der deutschen Politik"
Für die Landesvorsitzende der SPD Schleswig-Holstein und SPD-Bundesvize, Serpil Midyatli, gehöre die gescheiterte Wahl von Merz im ersten Durchgang zu den historischen Ereignissen in Deutschland, die man lieber nicht miterleben möchte. "Das ist kein guter Tag in der deutschen Politik", sagte Midyatli. Sie sei kein Fan einer Koalition mit der Union, "aber wir haben uns parteiübergreifend gemeinsam auf diesen Weg gemacht, um dieses Land weiter stabil und verlässlich regieren zu können", so die SPD-Politikerin.
Thering sieht Belastung für die Demokratie
Hamburgs CDU-Landes- und Fraktionschef Dennis Thering sieht im Scheitern seines Bundesvorsitzenden im ersten Wahlgang eine schwere Belastung für die Demokratie. "Dass bei der Wahl des Bundeskanzlers die erforderliche Mehrheit verfehlt wurde, ist ein beispielloser Vorgang für unser Land und spielt mit Sicherheit den falschen Kräften in die Hände." In Zeiten großer Unsicherheit sei dies "das völlig falsche Signal", sagte Thering. Später zeigte er sich erleichtert. Am Ende zähle das Ergebnis.
Günther: Starker Zusammenhalt in der Koalition nötig
Vor der gescheiterten Wahl hatte sich Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) auf NDR Info noch optimistisch gezeigt. Er sprach von einer "riesengroßen Aufgabe" für Friedrich Merz mit der schwarz-roten Koalition, wieder Vertrauen in die Politik zurückzugewinnen.
"Die politischen Ränder haben Zuwachs, weil Menschen immer weiter auch enttäuscht sind von politischen Entscheidungen, sicherlich von der Ampel auch in den letzten vier Jahren enttäuscht worden sind", sagte Günther. Union und SPD seien zum Regierungserfolg auch deshalb verdammt, um erfolgreich gegen "die Bedrohung von Demokratiefeinden" der AfD vorzugehen. Dafür sei unbedingt starker Zusammenhalt in der Koalition nötig.
Am Abend gratulierte Günther seinem Parteikollegen: "Für Deutschland und Europa ist es ein wichtiges Signal, dass er jetzt im Amt ist und mit seinem Kabinett an die Arbeit gehen kann", sagte Günther. Den Ablauf des Tages mit dem nötig gewordenen zweiten Wahlgang nannte er bitter.
