Kommentar: Debatte über Sonderrechte für Geimpfte ist Unsinn
Kaum hat in Deutschland die Impfkampagne gegen das Coronavirus begonnen, ist ein Streit entbrannt: Sollen Geimpfte schneller als der Rest der Gesellschaft in den Alltag mit Restaurant- und Theaterbesuchen zurückdürfen?
Die Diskussion darüber, ob Menschen nach einer Corona-Impfung bestimmte Vorrechte erhalten sollen, zeigt, dass es nicht nur ein Sommerloch, sondern auch ein Weihnachtsloch gibt. Doch die Diskussion ist derzeit Unsinn. Einerseits deshalb, weil die Zahl der Geimpften noch verschwindend gering ist. Vor allem aber, weil man noch nicht genau weiß, was dieser Impfstoff überhaupt kann. Denn die entscheidende Frage wäre ja: Kann jemand, der geimpft ist, trotzdem andere anstecken? Diese Frage kann bisher niemand beantworten. In den Studien wurde nur untersucht, ob der Impfstoff vor einer Erkrankung schützt. Das kann er anscheinend ziemlich gut. Dennoch ist es möglich, dass man auch als Geimpfter ohne Krankheitsanzeichen oder nur mit ein bisschen Kratzen im Hals infiziert ist und andere anstecken kann. Deshalb müssen Geimpfte bis auf Weiteres auch noch eine Maske tragen und die Abstandsregeln einhalten. Wenn eine Fluglinie wie Qantas also ankündigt, nur noch Geimpfte an Bord zu lassen, gaukelt das eine Sicherheit und einen Schutz vor, der keineswegs bewiesen ist.
Es gibt noch viele ungeklärte Fragen
Doch es gibt noch weitere Unklarheiten, zum Beispiel, wie lange die Impfung anhält. Es könnte ja sein, dass der Schutz nach einem Jahr nachlässt. Das weiß man nicht. Ähnlich unbekannt sind auch mögliche langfristige Nebenwirkungen, auch wenn es bisher keine Hinweise gibt, dass der Impfstoff gefährlich sein könnte. Solange diese grundlegenden Fragen aber unklar sind, kann man den langfristigen Nutzen der Impfung nur schwer einschätzen. Ohne dieses Wissen macht eine Diskussion über Sonderrechte für Geimpfte aber schon aus medizinischen Gründen wenig Sinn.
Doch machen wir mal ein Gedankenexperiment und gehen davon aus, dass der Impfstoff Menschen zwar langfristig davor schützt, krank zu werden, sie aber das Virus in geringer Menge und nur wenige Tage lang noch weitergeben können. Und gehen wir außerdem davon aus, dass im Sommer tatsächlich so viel Impfstoff vorhanden ist, dass jeder, der dies möchte, sich kostenlos impfen lassen kann.
Was ist mit denen, die nicht geimpft werden können?
Sollte man dann zum Beispiel Restaurants, Fitnessstudios oder Fluglinien erlauben, Ungeimpfte abzulehnen? Darüber könnte man schon diskutieren mit Rücksicht auf Menschen, die nicht geimpft werden können oder an denen der Impfstoff bisher nicht getestet wurde, also an Schwangeren, Tumorpatienten oder Immunsuppressiven. An Babys und Kleinkindern wurde der Impfstoff zwar auch nicht getestet, aber ihr persönliches Risiko, schwer krank zu werden, ist nahe null.
Das Grundgesetz erlaubt auch Unvernunft
Es geht also um eine Abwägung der Rechte von Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, mit jenen, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können. Sich nicht impfen zu lassen, ist das gute Recht aller Impfgegner. Das Grundgesetz erlaubt auch, sich gesundheitlich unvernünftig zu verhalten, sich also zu betrinken, sich ausschließlich von Schokolade zu ernähren oder eben sich nicht impfen zu lassen. Die Frage ist aber: Wer soll ab Sommer nicht in ein Restaurant gehen: die Menschen, die sich nicht impfen lassen können und deshalb dieser Gefahr aus dem Weg gehen müssen - oder die Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen? Diese Debatte kann man dann sehr wohl führen - genügend Zeit bis Sommer bleibt ja noch.
Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie dieser Kommentar geben die persönliche Sicht der Autorin/des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sich Kommentare bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.
