Inside Treuhand: Der Fall HMB
Am 1. März 1990 gründete die vorletzte DDR-Regierung unter Hans Modrow die "Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums", aus der wenige Monate später die Treuhandanstalt wurde. Doch 30 Jahre später bleibt die Arbeit der Privatisierungs-Behörde umstritten. NDR Info hat zum Verkauf der Halleschen Mitteldeutschen Bau AG durch die Treuhand recherchiert. Noch immer sind auch in diesem Fall viele Fragen ungeklärt.
von Lena Gürtler, Christoph Heinzle, Marc Hoffmann

Auch 30 Jahre nach der Gründung der deutschen Treuhandanstalt (THA) herrscht Unklarheit darüber, in welcher Höhe Investitions- und Arbeitsplatzzusagen wirklich eingehalten worden sind. Damit ist die genaue Bilanz dieser weltweit einzigartigen Holding weiterhin uneindeutig.
Insgesamt privatisierte die Treuhand beziehungsweise die Nachfolgebehörde BvS (Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben) rund 15.000 ostdeutsche Unternehmen oder Unternehmensteile. Das zuständige Bundesfinanzministerium gibt an, dass mit den Investoren Zusagen für mehr als eine Million Arbeitsplätze vereinbart worden sind. Außerdem hätten sich die Käufer bereit erklärt, insgesamt umgerechnet rund 80 Milliarden Euro zu investieren.
Allerdings kam es nicht selten zu Nachverhandlungen mit den Investoren. Sind dabei auch Arbeitsplatz- und Investitionsgarantien verändert worden? Zu dieser Frage äußert sich das Bundesfinanzministerium nicht. Auf NDR Info Nachfrage teilte die Behörde lediglich mit, eine Unterscheidung zwischen den ursprünglichen Zusagen und dem Ergebnis von Nachverhandlungen liege nicht vor.
"Zahlen sind im politischen Kontext zu betrachten"
Wissenschaftler wie der Treuhandforscher Marcus Böick von der Ruhr-Universität Bochum bezweifeln die Verlässlichkeit der vorliegenden Statistiken: "Die Zahlen, die die Treuhand erhoben hat, sind immer im politischen Kontext zu betrachten. Das politische Interesse daran, die offiziellen Zahlen im Nachgang noch mal zu kontrollieren und zu korrigieren, war angesichts des Deutungskampfes rund um die Arbeit der Treuhand nicht besonders groß."
Der Blick in die Treuhandakten bestätigt diese Skepsis gegenüber den Statistiken. Wie komplex und langwierig die Privatisierungsvorgänge sein konnten, zeigt eine umfangreiche Einzelfall-Recherche von NDR Info, die mithilfe einst vertraulicher Dokumente den Privatisierungsfall eines der größten DDR-Baukombinate rekonstruiert. Erst seit einigen Jahren werden die Treuhandakten im Bundesarchiv systemisch erschlossen und zugänglich gemacht. Im Laufe ihrer Arbeit hat die Treuhandanstalt mehr als 45 Regalkilometer dieser Akten angehäuft.
16.000 HMB-Mitarbeiter zu DDR-Zeiten
Im Fall der Halleschen Mitteldeutschen Bau AG (HMB) dokumentieren die Treuhandunterlagen einen spektakulären Einzelfall, der gleichzeitig aber auch exemplarisch für die Arbeit der Treuhand steht. Die Treuhandanstalt hält das frühere Großkombinat im Jahr 1991 für "sanierungsfähig" und empfiehlt, "die Privatisierung sollte zügig durchgeführt werden" (BArch, B 412/16189).
Das Unternehmen war in der DDR einst ein Bau-Gigant. 16.000 Menschen arbeiteten zeitweise in dem früheren Kombinat. Allerdings ist Anfang der 90er-Jahre keiner der mehr als 100 angesprochenen Interessenten aus Westdeutschland und dem europäischen Ausland bereit, das DDR-Unternehmen zu übernehmen. Ihnen ist das Unternehmen mit seinen vielen Tochterfirmen viel zu groß.
Die HMB wird zum Ladenhüter. Schließlich bleibt nur ein Investor, der bereit ist, die HMB für 30 Millionen D-Mark zu kaufen und Arbeitsplatzgarantien zu geben: die türkische Tekfen Group, ein bis dato in der deutschen Baubranche völlig unbedeutendes Unternehmen. Die Akten zeigen, wie der damalige Treuhand-Vorstand unter Zeitdruck zustimmt, noch bevor alle Finanzierungsdetails mit den deutschen Banken geklärt scheinen.
Aktenlage: Treuhand kommt dem Käufer sehr entgegen
Doch der Fall HMB ist mit dem offiziellen Ende der Treuhandanstalt im Jahr 1994 längst nicht abgeschlossen. Die Nachfolgerin der Treuhand, die BvS, war noch bis 1999 mit dem Privatisierungsfall HMB beschäftigt. Sie verhandelt mit Tekfen nach, erlässt 20 Millionen D-Mark vom Kaufpreis, versucht Bürgschaften zu organisieren und verzichtet offenbar auch auf Strafzahlungen wegen nicht eingehaltener Arbeitsplatzzusagen.
Aus den Akten geht hervor, wie sehr die Treuhand und ihre Nachfolgerin dem Investor entgegenkamen. Von mehr als 200 Millionen D-Mark, die die Treuhand und ihre Nachfolgerin in das Unternehmen gesteckt haben, ist die Rede. Was in der Treuhand-Statistik zunächst als geglückte Privatisierung gilt, wird für die BvS zum Desaster.
Tekfen hält dagegen, man habe mehr Unterstützung von örtlichen Behörden und der Regierung erwartet, um die versprochenen Arbeitsplätze zu erhalten. Heute fungiert die HMB mit 20 Beschäftigten als eine Art deutsches Zulieferbüro für die türkische Muttergesellschaft Tekfen Companies.
Mecklenburger Top-Immobilie zu verkaufen
Die Folgen der Treuhandentscheidungen in den 1990er-Jahren sind bis heute gegenwärtig. Im Fall der Baufirma HMB mit Sitz in Halle/Saale in Sachsen-Anhalt reichen sie sogar bis Mecklenburg-Vorpommern. Im kleinen Fincken in der Mecklenburgischen Seeplatte steht seit Jahren ein altes Gutshaus direkt am idyllischen See leer. Zu DDR-Zeiten machten Beschäftigte des Bau- und Montagekombinats, das später zur HMB wurde, hier Urlaub.
Der Bürgermeister der 500-Seelen-Gemeinde Fincken, Erich Nacke, muss mit ansehen, wie das ehemalige Betriebsferienheim verfällt. Es sei einer der größten Arbeitgeber in der Gemeinde gewesen, erinnert sich Bürgermeister Nacke. "Es tut mir weh. Da ist wirklich etwas weggebrochen."
Die verantwortliche Eigentümerin der Finckener Immobilie, die HMB in Halle, beteuert, man suche einen Interessenten. Dieser muss allerdings den Preis zahlen, den sich der türkische Mutterkonzern Tekfen vorstellt. Man verkaufe nicht zu jedem Preis, heißt es bei der HMB.
