Man sieht viele emporgereckte Hände. © NDR/Lornz Lorenzen Foto: Prompt / Lornz Lorenzen Adobe Firefly 2

Pepper-Blog (24) Hände hoch! Stresstest für die KI (bilingual)

Stand: 26.02.2024 06:00 Uhr

Wie viele Finger zählen sie an den emporgestreckten Händen im Titelbild? Einen, zwei, drei, vier, fünf, sechs? Bis heute scheint es für KI-Systeme eine Herausforderung zu sein, diese Gliedmaßen realistisch darzustellen.

von Lornz Lorenzen

Die Bedeutung von Händen und Fingern in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit, Technik und Zivilisation kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Und wenn man vom evolutionären Regelfall ausgeht, und wir nicht zufällig mit zwei linken Händen ausgestattet im Sägewerk arbeiten sollten, besitzen wir - neben Fledermäusen - ebenfalls fünf Finger und das funktioniert ja auch ganz gut. Doch was wäre, wenn es durch eine Laune der Natur anders gekommen wäre, eben so, wie die KI es oben an der einen oder anderen mutierten Hand dargestellt hat - und wir sechs Finger besäßen?

Sechs Finger als Laune der zweiten (digitalen) Natur

Was dies für die Menschheit bedeuten würde, kann man sich leicht vorstellen: Blake Edwards Komödie von 1979 mit Bo Derek hätte dann nicht "Zehn", sondern "Zwölf" - "Die Traumfrau" geheißen. Eine "Top 10" gäbe es dann ebenfalls nicht, sondern die "TOP 12" würde vermutlich in den Charts gefeiert. Vielleicht hätte die Menschheit auch ein Zahlensystem auf der Basis von zwölf entwickelt, was laut einigen Mathematikern gar nicht so unklug gewesen wäre, da die Zwölf durch mehr Zahlen (2/3/4/6) teilbar ist als die Zehn (2/5).

Das Dezimalsystem ist nicht das Gelbe vom Ei

Eine Hand über einem Sandstrand. © NDR/Lornz Lorenzen Foto: Prompt / Lornz Lorenzen Adobe Firefly 2
Die KI interpretiert die Aufforderung "Finger im Sand" als "Sandfinger", sehr kreativ.

Wenn wir ein Zahlensystem auf der Basis von zwölf etabliert hätten, hätten wir vielleicht heute keinen 100 Euro, sondern einen 144 Euro-Schein im Portemonnaie. Oder zwölf Euro - anstelle von zehn Euro-Scheinen. Und wenn sie jetzt zwei, drei, vier oder sechs Kinder oder Enkelkinder beschenken wollten? Das ginge wunderbar auf. Kein Problem. Mit dem Zählen und Multiplizieren von Fingern (5*2 =10) sind wir jedoch schon einen Rechen- oder Abstraktionsschritt zu weit gegangen. Denn jede Multiplikation lässt sich in einfache Addition umwandeln (1+1+1+1+1+1+1+1+1+1=10).

Auf den ersten Blick Kindergarten-Mathematik, aber damit kommen Maschinen und Roboter wie Pepper nun mal besser zurecht. Zählen sie vielleicht in Gedanken immer noch mit den Fingern? Oder mit Äpfeln oder Bananen? Oder haben sie davon bereits abstrahiert? Vielleicht geht es ihnen jetzt so wie dem Autor David Foster Wallace mit dem Wort "Kugelschreiber":

"So zu denken kann gefährlich sein, unheimlich. Denkt man abstrakt genug über etwas nach - sicher haben sie das auch schon erlebt, dass sie über ein Wort nachdenken - sagen wir 'Kugelschreiber' - dann kann es passieren, dass sie das Wort so oft vor sich hin sagen, dass es irgendwann aufhört, überhaupt etwas zu bedeuten: Die Eigenartigkeit, einfach irgendetwas als 'Kugelschreiber' zu bezeichnen, zwingt das Bewusstsein auf gruselige Weise dazu, wie eine epileptische Aura zu wirken." (1)

Abstraktion kann beängstigend sein

Was David Foster Wallace beschreibt, könnte man auch als Abstraktionsschock bezeichnen. Wenn man zu viel über Begriffe grübelt, hat nichts mehr Bestand und man verliert den Boden unter den Füßen. Für all diejenigen, die noch nicht aus der Kurve geflogen sind, fasse ich das Wichtigste noch einmal zusammen und führe die Gedanken weiter. Wir haben festgehalten, dass gute KI-Bilder von Fingern und Händen schwer zu berechnen sind. Und wir stellen fest, dass das Rechnen an und für sich vor vielen Tausend Jahren mit dem Abzählen an den Fingern begann. Dabei setzte sich das Dezimalsystem durch, zumindest in unserer Hemisphäre. Wir haben auch gesagt, dass Computer mit dem Dezimalsystem auf Basis von zehn nicht viel anfangen können. Dagegen können Computer sehr viel mehr mit dem binären System anfangen, dass auf der Basis von zwei operiert, mit den beiden Werten Null und Eins.

Maschinen mögen die Null und die Eins

Hand eine Roboters in Nahaufnahme. © NDR/Lornz Lorenzen Foto: Prompt / Lornz Lorenzen Adobe Firefly 2
Computer entwickelten sich Hand in Hand mit der Atombombe

Die Werte "Null" und "Eins" ließen sich wunderbar in Lochkarten stanzen und später in elektronischen Schaltkreisen und Schaltern wie dem Transistor speichern. Diese technischen Entwicklungen gingen (in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts) mit den Erkenntnissen des englischen Mathematikers Alan Turing zusammen, der sinngemäß gesagt hat, dass man mit genug Papierstreifen sowie einem mechanisch-elektronischen Schreib-, Speicher- und Lesekopf jedes beliebige Programm als endloses Band von Nullen und Einsen darstellen und berechnen könne.

Alan Turing und die Atombombe

Mit dieser nach ihm benannten universellen "Turing-Maschine" konnte man neben einfachen Multiplikationen nun auch komplexere Berechnungen durchführen, wie zum Beispiel über die Ausbreitung von Detonationswellen der Atombombe im Rahmen des "Manhattan-Projekts". Die Entwicklung der Bombe ging also von Anfang an Hand in Hand mit der Entwicklung des Computers. Und was unsere Finger angeht. Schon die alten Lateiner hatten erkannt, dass man mit ihnen zählen kann. Deshalb nannten sie den Finger auch "Digitus", welcher dann auch die Bedeutung von "Ziffer" bekam und schließlich als "Digit" in die englische Sprache überging. So stehen unsere analogen Finger summa summarum ganz am Anfang eines digitalen Zeitalters, das in Sachen KI gerade erst durchstartet.

(1) David Foster Wallace, "Die Entdeckung des Unendlichen, Georg Cantor und die Welt der Mathematik", S.19, Piper Verlag 2007

(2) Wenn man von der Turing-Maschine spricht und diese als Blaupause für den Computer verwendet, darf man die geniale Arbeit John von Neumanns nicht außer Acht lassen. Er hat das "Schaltungskonzept" der Turing-Maschine realisiert, das bis heute in den meisten Computern, Smartphones oder Digitaluhren weltweit zu finden ist. Vergleichen sie dazu "Turings Kathedrale - die Ursprünge des digitalen Zeitalters" von Georg Dyson, Propyläen Verlag, 2014.

Un hier de Ursprungs-Bidrag op Platt:

Wovele Finger tellen se an de enkelten Hannen in't Titelbild? Een, twee, dree, veer, fief, söss? As de "Text to Bild"-KIs an den Start gungen, weer dat faken en Problem för se, Hannen un Fingers in verscheden perspektisch Ansichten, Proportionen un Gesten realistisch to teknen. Dorbi gung denn af un an ok mal en Finger fleuten oder dor dükerte een Griffel toveel op. För disse lütten Wunnerwarken vun de Natur müssen de KI‘s nochmal de Schoolbank drücken.

Finger un Hannen Wunnerwarken vun de Natur

Eine Hand über einem Sandstrand. © NDR/Lornz Lorenzen Foto: Prompt / Lornz Lorenzen Adobe Firefly 2
Die KI interpretiert die Aufforderung "Finger im Sand" als "Sandfinger", sehr kreativ.

De Bedüden vun Hannen un Finger in de Entwicklungsgeschichte vun de Menscheit, de Technik un de Zivilisatschoon kann gar nich hoog noog inschätzt warrn. Man, laat uns mal en Gedankenspill spelen. Wat weer, wenn de KI recht harr, un wi middewiel dörch genetisch Verännern tatsächli söss Fingers an jede Hand harrn? Uns weer dat blots noch nich opfullen? Wat worr dat för de Menscheit bedüden? Denn harr Blake Edwards Komedie vun 1979 mit Bo Derek nich "Tein" - sünnern "twölv" - "De Droomfru" heten. Denn harrn wi keen "Top 10" sünnern de "TOP 12" in de Charts fiert. Denn harr de Menscheit villicht ok en Rekensystem op de Basis vun twölv entwickelt, wat, so seggen manche Mathematiker gor nich so dösig ween weer. Dütwegen, wiel de Tall Twölv dörch mehr Tallen deelbar is (2/3/4/6) as de Tall Tein (2/5).

Dezimalsystem nich dat Geele vun't Ei

Wenn wi en Tahlensystem op de Basis vun twölv etableert harrn, denn harrn wi hüüt villicht keen 100 Euro sünnern en 144 Euro Schien in't Portemonaie. Bi düsse Inflation föhlt sik dat liekers meist so an, man wo praktisch dat weer kann een sik licht dörchreknen. Nehm wi alleen mal an, du muchst twee, dree, veer oder söss Kinner oder Enkelkinner beschenken! Dat geiht wunnerbor op. Keen Problem. Dat Dezimalsystem is nich dat Beste vun de Welt Mit dat Delen und de Multiplikation vun Fingers (5*2 =10) sünd wi avers egentli al en Rekens- oder Abstrakions-Schreed to wiet vörut. Denn jede Multiplikation lett sik rünnerbreken, un as eenfache Addition darstellen (1+1+1+1+1+1+1+1+1+1=10). Dormit kamen Maschinen un Roboter as Pepper bedder kloor. Tellen se in Gedanken nu villicht immer noch de Fingers mit? Oder Appelsinen oder Bananen? Oder hemm se dorvun nu al abstraheert. Villicht geiht se dat denn nu ok so, as den Autor David Foster Wallace bi dat Wort "Kugelschriever":

"Denkt een abstrakt noog över wat na - seker hemm se dat ok al mal belevt, dat se över en Wort nadenken - seggen wi "Kugelschriever" - denn kann dat passeeren, dat se sik dat Wort so oft vörseggen, dat dat jichenswenn ophört, överhaupt wat to bedüden: De Eegenordigkeit jichenswatt en "Kugelschrieber" to nömen, dwingt sik dat Bewusstsien op gruselige Wies op, as en epileptisch Aura."(1)

Abstraktion kann een bang maken

Wat David Foster Wallace beschrieven deit, kunn man ok as Aftstraktions-Schock beteknen. Wenn man toveel gruvelt, hett nix mehr Bestand un man verleert den Grund ünner de Fööt. Un för al dee, de noch nich ut de Kurv rutflogen sünd, faat ik dat Wichtigste nochmal tosamen un föhr de Gedanken wieter. Wi hemm fastholen, dat goode KI-Biller vun Finger un Hannen swor to bereknen sünd. Un wi stellen wiederhen fast, dat dat Reknen an un för sik wull vör vele Dusend Johrn mit dat Aftellen an de Fingers losgahn is. Dorbi is dat Dezimalsystem bi rutsuurt, tominnst in uns Hemisphäre. Wi hebbt ok al seggt, dat de Computer mit dat Dezimalsystem op de Basis vun 10 nich so veel anfangen kunn. Dorför avers köönt Computer wat anfangen mit dat binäre System, wat ob de Basis vun den Deler 2, mit de beiden Werte 0 un 1 opereert.

Maschienen möögt de Null un de Een

De Werte "Null" un "Een" leeten sik wunnerbar in Lochkarten stanzen, un later in elektronisch Budelen un Schalter as den Transistor spiekern. Un dat Ganze full in de dörtiger Johrn mit de Erkenntnis vun’n engelschen Mathematiker Alan Turing tosamen, de groff seggt hett, dat wenn man noog Papierstriepens hett, dorto en mechanisch-elektronisch Schriev-, Spieker un Lees- Gerät, man jedet beliebige Programm as endlos Band vun Nullen un Eensen dorstellen un bereknen kunn.

Mit düsse na em benöömte universelle "Turing-Maschien", kunn een nu ok komplexere Berekens anstellen, so as Detonations-Wellen vun Atombomben bi dat "Manhatten-Projekt". De Entwickeln vun de Atombombe gung mit de Entwickeln vun de Computerie vun Anfang an Hand in Hand. Un wat de enkelten Finger vun uns Tetrapoden angeiht. De olen Latiener weer dat ok al opfullen, dat man mit se tellen kunn. So nöömten se den Finger "Digitus". Wat denn ok de Bedüden vun "Ziffer" bekeem un denn as "Digit" in de engelsche Spraak inwannerte. So steiht de analoge Finger summa summarum wull ganz an den Anfang vun en digitalet KI-Tiedöller, wat jüst eerst anbroken is.

(1) David Foster Wallace, "Die Entdeckung des Unendlichen, Georg Cantor und die Welt der Mathematik", S.19, Piper Verlag 2007

(2) Wenn man von der Turing-Maschine spricht und diese als Blaupause für den Computer verwendet, darf man die geniale Arbeit John von Neumanns nicht außer Acht lassen. Er hat das "Schaltungskonzept" der Turing-Maschine realisiert, das bis heute in den meisten Computern, Smartphones oder Digitaluhren weltweit zu finden ist. Vergleichen sie dazu "Turings Kathedrale - die Ursprünge des digitalen Zeitalters" von Georg Dyson, Propyläen Verlag, 2014.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Moin! Schleswig-Holstein – Von Binnenland und Waterkant | 26.02.2024 | 20:00 Uhr

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