VIDEO: Macht Platz, Männer! Frauen im Musikbusiness (16 Min)

Alin Coen: "Das Musikgeschäft ist unfair gegenüber Frauen"

Stand: 11.04.2023 00:01 Uhr

Alin Coen hat am Montag mit ihrer Band in der Hamburger Laeiszhalle gespielt. Die Singer-Songwriterin ist Mitbegründerin von Music Women Germany und setzt sich viel für Frauen in der Musikbranche ein.

von Kristina Bischoff

Alin Coen lebt mittlerweile in Berlin, ist aber oft in ihrer Geburtsstadt Hamburg zu Besuch. Zum einen, weil ihre Mutter dort noch wohnt, aber auch, weil ihre feinsinnigen, deutschsprachigen Songs dort gut aufgenommen werden. An ihr letztes großes Konzert in der Hansestadt erinnert sich Alin Coen mit gemischten Gefühlen. "Wir haben 2019 ein Konzert in der Laeiszhalle gehabt. Und der Moment, als ich da auf die Bühne gegangen bin, und gesehen habe, dass da drei Ebenen Balkone voll mit Menschen waren, das war so ein krasses Gefühl", sagt Alin Coen. "Aber vorne saß so ein vermutlich angetrunkener Mann, der mir nach dem ersten Song zurief: 'Ey, Alin, mach was, der Sound ist so schlecht'. Als ob ich daran was hätte ändern können."

Denn Alin Coen ist in nun Mal Musikerin und keine Soundingenieurin, obwohl ihre musikalische Prägung durch elektronisch, verfremdete Musik bestimmt ist. Als Jugendliche hört sie die Platten ihres großen Bruders, mag Bands wie Depeche Mode, Portishead und Künstlerinnen wie Björk. Auch in ihrer ersten Band macht sie elektronische Musik: "Merkwürdiges Zeug", wie sie in der Rückschau sagt.

Alin Coens erster Auftritt in Stockholm - ein Meilenstein

Ihre eigene musikalische Reise beginnt auf einer Jam-Session für Singer-Songwriter in Stockholm. Alin ist 20 Jahre alt, als sie für sechs Monate auf einem Bauernhof in Schweden lebt. In ihrem Kellerzimmer befindet sich eine Gitarre, auf der sie ihre ersten Songs komponiert. Nun ist sie bereit, ihre Scheu zu überwinden und sich der Öffentlichkeit zu stellen. Der Austragungsort: eine offene Bühne für Nachwuchsmusikerinnen in Stockholm. Alin bekommt einen Platz auf der übervollen Liste. Für sie ist das ein Meilenstein". "Ich hatte angekündigt, dass ich zum ersten Mal meine Songs performe. Dann sind so viele Leute hinterher zu mir gekommen und haben so viele warmherzige Worte gesagt", erinnert sie sich. "Die Leute haben gesagt: 'Bleib‘ bloß am Ball'. Da war mir klar, das ist das Allerschönste, was es gibt. Und dass ich das unbedingt weitermachen möchte."

Die erste Zeit der Alin Coen Band

Alin Coen Band beim Reeperbahn Festival 2013.  Foto: Andreas Kluge
Alin Coen und Band präsentieren auf dem Reeperbahn Festival 2013 ihr zweites Album "We're Not The Ones We Thought We Were".

Zurück in Deutschland landet Alin in Weimar und gründet dort mit drei Musikern die Alin Coen Band. Nicht lange und ihr erstes Album "Disconnected" erscheint. Noch auf Englisch gesungen, finden die sehnsuchtsvollen Lieder schnell ihr Publikum. Bald zählen die Konzerte der Alin Coen Band zu den meist gestreamten Videos der Internet-Konzertreihe "TV Noir". Dazu wächst eine Fanbasis heran, erste Tourneen stehen an, die Karriere kommt in Fahrt. Doch 2015 kommt es zum Bruch mit der Band aus vielerlei Gründen. Es fließt nicht mehr so richtig, ihr gehen die Songideen aus.

Die Liedermacherin wird zur Umweltaktivistin

Außerdem meldet sich ihr Gewissen. "Ich fand es plötzlich sinnlos, Musikerin zu sein. Ich dachte, ich muss was Richtiges machen im Leben", reflektiert die zweifache Mutter. "Dieser Planet brennt, und was tue ich dagegen?" Den Bachelor für Umwelt und Infrastruktur in der Tasche zieht Alin nach Holland, um dort ihren Master im Wasserschutz zu machen und nebenher für Greenpeace zu arbeiten. Aber es zeigt sich schnell, dass doch nicht alles so doof am Musikmachen ist. "Das erste, das ich in Holland gemacht habe, war von der Nachbars-WG ein Klavier zu kaufen. Das stand dann in der ersten Woche, wo ich da gewohnt habe, sofort in meinem Zimmer“, gibt sie lachend zu.

Die Gatekeeper in der Musikbranche

Mit neuer Besetzung macht sie 2018 in Deutschland weiter. Und muss erneut Hürden überwinden. "Ich hatte ein Erlebnis in Hamburg gehabt, da war ein Redakteur zum Konzert eingeladen. Einen Tag vorher stellt der fest: 'Ach das Thema interessiert mich doch nicht so'“, seufzt die Sängerin. "Wobei ich mir dachte, vielleicht sind es Themen, die Frauen mehr ansprechen. Dann wird halt nicht darübergeschrieben, weil ein Mann beschlossen hat, dass in der Musik seine Themen nicht stecken."

Wenn eine Frau darüber schreiben dürfte, dann wäre es vielleicht anders. "Ich hoffe, es ist alles im Wandel", sagt sie. "Ich habe das Gefühl hatte, dass das Musikgeschäft unfair gegenüber Frauen ist. Wir werden einfach viel schlechter bezahlt als Männer, wir haben weniger Auftrittsmöglichkeiten. Die ganzen Festivals laden einfach Männer ein, so dass man nicht die gleiche Präsenz als Frau in der Musikbranche bekommen kann, schildert sie ihre Erfahrungen."

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Mitbegründerin von Music Women Germany

Anstatt sich entmutigen zu lassen, wird sie Mitbegründerin von Music Women Germany, einem Netzwerk für Musikerinnen, wofür sie auf dem Reeperbahnfestival mit dem Keychange Award ausgezeichnet wird. Darüber hinaus beschäftigt sie Frauen, wo es nur geht. Sei es beim Abmischen ihres aktuellen Albums, in der Öffentlichkeitsarbeit oder in ihrer Live-Band. Auch in der Stüba-Philharmonie, dem Orchester, mit dem Alin Coen zurzeit auf Tour ist, herrscht ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis. Dafür sorgt auch Alin Coen. "Frauen haben durch die Gesellschaft gelernt, dass sie zurückhaltender sein sollen als Männer - und dann kommt es eben zu sowas", sagt Alin Coen. Eine Bratschistin hat am Ende den Zuschlag für das begehrte Solo in der Laeiszhalle bekommen.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | Kulturjournal | 11.04.2023 | 19:00 Uhr

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