Eine Frau lacht © picture alliance / PantherMedia | Volodymyr Melnyk Foto: Volodymyr Melnyk

Ein sardonisches Gelächter: Wie Humor in schweren Zeiten helfen kann

Stand: 22.07.2022 16:45 Uhr

von Ulrich Kühn

Joachim Ringelnatz und der Kragenknopf

Der Kragen und der Knopf daran: Dass wir die beiden besichtigen müssen, verdanken wir Joachim Ringelnatz. Humor, verkündete der Dichter, ist "der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt". Das klingt zauberhaft poetisch, und weil die Verse von Ringelnatz auf dem Humus einer schönen Melancholie wachsen, würde man sein Bonmot am liebsten gleich küssen.

Aber vielleicht hören wir lieber erst noch mal hin. Was, sagt Ringelnatz, ist der Humor? Ein Knopf, der uns, indem wir ihn öffnen, den eigentlich zum Platzen dicken Hals rettet, indem er den Kragen um diesen Hals herum gerade mal noch so intakt hält? Das klingt gut. Aber was bedeutet es denn? Stellen wir uns nur kurz vor, was passiert, wenn die zornrote Gurgel immer noch dicker und dicker schwillt, bis der Kragen ganz zuletzt eben doch noch vom Hals springt: Sind wir dann nicht längst soweit, zu erbrechen statt zu lachen? Mit anderen Worten: Ist ein Humor, der durch die bürgerliche Kragenweite begrenzt wird, als Krisenhelfer überhaupt nützlich? Und zeitgemäß?

Der brave Bürger lacht mit

Man könnte das Ganze auch so betrachten: Wer gern schmunzelt, gibt sich gern zufrieden. Und das muss nicht das Beste sein: Wer die Hand immer am Kragenknopf hat, lässt all die Dinge unberührt, die ihm die Zornesader schwellen lassen. Statt den Zorn produktiv zu bündeln, erlöst man sich selbst durch Gelächter vom Unwohlsein - und entlastet dadurch die, die einen erst zornig gemacht haben. Wer mal dankbar über fiese Mitmenschen gewitzelt hat, die ihm trotzdem immer weiter übel mitspielen, weiß, wie das läuft: Mit dem Gelächter entweicht die Luft. Und mit der Luft die Empörungsenergie. Und die Bürgerin bleibt brav. Und was soll daran schlecht sein, Besonnenheit hilft doch in schwierigen Zeiten? Ja, schon. Allerdings hat der polnische Aphoristiker Stanisław Jerzy Lec etwas ziemlich Gemeines über den immer braven Bürger gesagt: "Er lachte nur im Geiste - und wenn, dann in dem des Gesetzes." Sind die Umstände noch so hart, ein guter Spaß zur rechten Zeit schafft Ruhe und Behaglichkeit.

Aber warum eigentlich ausgerechnet ein Spaß?

Das ist der richtige Moment für eine kleine Parade der beliebten Humorwörter. Der Spaß darf dabei vorangehen, weil er zuletzt so oft hinterdrein marschiert ist. Und zwar wegen der öden Beschaffenheit der sogenannten Spaßgesellschaft, die spätestens in diesem Frühjahr endgültig untergegangen ist. Wie geistreich, lustig, heiter kann man graue Tage gestalten, wenn einem wirklich etwas Witziges einfällt, wenn durch die Luft wirbelnder Unfug zur Inspirationsquelle wird. Wer aber fantasiefrei immer nur "Spaß" will, hat am Ende keinen mehr. Denn die Selbstüberbietung des Immergleichen produziert nur gesteigerte Ödnis. Die Spaßgesellschaft des jungen Jahrtausends hat in irgendeiner der vielen Krisen ihre letzten müden Hopser getan - weil ihr zum Tanz auf dem Vulkan von Anfang an das Niveau gefehlt hat.

Ein Witz ist der zappelige kleine Bruder des Humors

Also Spaß beiseite und her mit dem Witz. Er ist der nächste in der Parade, ein Typ von anderem Kaliber. Böse gesagt (und es steht dem Witz gut, die Dinge böse zu sagen), ist er der zappelige kleine Bruder des weiseren Humors. Erinnern wir uns an Freuds Deutung des Witzes: Da ist viel Aggression im Spiel, Unlust, die aus dem Unbewussten quillt. Das komprimiert sich durch Verdichtung und Verschiebung und löst sich in der Pointe. In der Triebabfuhr, die eine saftige Pointe bereithält, ist die Aggression klar zu spüren. Sie ist ja eine Abfuhr für den, auf dessen Kosten gelacht wird.

Der spitze Witz hat also lockernde Qualitäten etwas zweifelhaften Zuschnitts. Darin ist er dem milderen Humor immerhin verwandt. Das wird man von der Ironie in ihren besten Momenten nur dann gerne sagen, wenn man nicht gerade ihr Opfer wird. Vor lauter Intelligenz vibrierende Ironie ist ein ätzendes Schwert. Man könnte sagen: Wenn Humor der Knopf am Kragen ist, dann ist Ironie das Monokel unter der Augenbraue. Wer Ironie trägt, schaut mit zusammengekniffenen Augen auf die Welt. Das ist die elegante Durchblickerpose derer, die in einer Gesellschaft brillieren wollen, die sie eigentlich anekelt oder nur müde grinsen lässt. Wer klug, nicht nur eitel ist, weiß um diese Ambivalenz der Ironie und wird dann zu einer der schönsten Heiterkeitsformen fähig: Selbstironie.

Humor ist die Lust zu lachen, wenn einem zum Heulen ist

Wo sind eigentlich die großen Selbstironiker der aktuellen Krisen? Politisch erweckte Satiremundwerker und ihre Follower nehmen sich furchtbar ernst. Es fehlt ihnen an Übung für den wahren Ernstfall, der erst noch eintreten könnte. Wenn es nämlich wirklich ernst wird, dann gilt, was Werner Finck gesagt hat: Humor ist die Lust zu lachen, wenn einem zum Heulen ist. Erst, wenn auch das nicht mehr hilft, rinnen die Tränen der Wut und der Angst. Und wenn diese Tränen getrocknet sind, ist man bereit für ein anderes, furchteinflößend gefährliches Lachen. Das sardonische Gelächter.

Man muss es sich vorstellen wie den schmerzverzerrten Hohnlaut, den Odysseus ausstieß, als er in der Verkleidung des Bettlers nach Hause zurückkam und ihm zur Begrüßung der Kuhfuß entgegenflog, den ein Freier seiner Frau nach ihm schleuderte. Auf Sardinien, das dem sardonischen Gelächter womöglich den Namen gab, soll sogar ein noch viel grausigerer Brauch existiert haben: Alte Menschen waren zu töten, dazu sollte man lachen. Von heute aus betrachtet: Bittergelächter aus den tiefsten Tiefen vernarbter Seelen. Soweit kann es gehen.

Und wenn nun zuletzt auch das auf uns gewirkt hat, wenn wir selbst diese herbste Spielart erfühlt haben - dann, endlich, sind wir reif für den wahren, den lebensklugen, den weisen Humor. Dann schreiten wir heiter und ernst durch das Krisengebiet unseres Lebens, vergessen nie, wie schwer das Leben sein kann und können trotzdem lachen. Dass uns nicht morgen der Galgen droht, ist schließlich noch lange kein Grund, auf Galgenhumor zu verzichten.

Wiederholung einer Sendung aus September 2009.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Gedanken zur Zeit | 23.07.2022 | 13:00 Uhr

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