Eine Frau lacht © picture alliance / PantherMedia | Volodymyr Melnyk Foto: Volodymyr Melnyk

Ein sardonisches Gelächter: Wie Humor in schweren Zeiten helfen kann

Stand: 22.07.2022 16:45 Uhr

Wenn das Leben schwieriger wird, tun Momente des Lachens gut. Aber was verbirgt sich eigentlich hinter Humor, Witz, Spaß, Ironie? Wieso können sie in schwierigeren Zeiten helfen - und was erzählen sie über uns?

von Ulrich Kühn

Als der Delinquent eines Montags aus dunklen Träumen erwachte, klopfte es an seiner Zellentür. Der zum Tod Verurteilte berappelte sich ein bisschen. Dann erfuhr er, dass der Tag seiner Hinrichtung gekommen war. "Die Woche fängt ja gut an", sagte er. Und rieb sich ein letztes Mal den Schlaf aus den Augen.

Können Sie über so etwas lachen? Wenn nicht, dann schadet es nichts. Über schwarzen Humor verfügt in dieser Geschichte ja schon ein anderer. Für ihn ist die Gabe der Pointe eine Mitgift auf Leben und Tod. Für uns erweist sich sein Wille zur Heiterkeit als Geschenk. Wer noch lacht, wenn ihm schon der Galgenstrick vor den Augen baumelt, der beweist doch wohl, dass Humor selbst in herbsten Krisen das Dasein erleichtert - und sei es für ein paar letzte Stunden. Humor, so wispert uns der hingerichtete Held aus seinem Anekdotengrab zu, ist die Waffe des Geistes, mit der sich das letzte Gefecht zwar nicht siegreich gestalten, aber immerhin um ein Gelächter erweitern lässt. Das gilt auch für die, die beim Fechten zuschauen. Im günstigen Fall ist der Witz, den einer dem Schicksal auf den letzten Metern abschwatzt, ein Ausschlupf, um dem Unvermeidlichen ein letztes Mal durch die Wand hinterm eigenen Rücken zu entwischen. Wenn das aber so ist, wenn sich schwarzer Humor sogar Todgeweihten als Fluchtreich der Souveränität anbietet: Um wieviel mehr hilft er dann wohl uns, die wir nur zum Leben verurteilt sind, wenn auch unter ziemlich ungewissen Vorzeichen?

Sigmund Freud: Humor gründet in Narzissmus

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Wie groß die Vorzüge des Humors sind, hat in allem Ernst schon Sigmund Freud gelehrt. Im Unterschied zu Witz und Komik habe der Humor nicht nur "etwas Befreiendes" an sich, fand Freud, sondern auch "etwas Großartiges und Erhebendes". Freud soll selbst über die Göttergabe der Heiterkeit verfügt haben, er hat sie aber lieber so erklärt, dass wir uns nicht allzu grandios finden können. Die Größe des Humors, schrieb Freud, gründe in einem "Triumph des Narzissmus". Mit anderen Worten: Wo der Humor um die Ecke biegt, ist das Ego immer schon da.

Man muss zugeben, dass Freud diesen Triumph des Ichs ziemlich überzeugend erklärt hat. "Das Ich verweigert es", schrieb er, "sich durch die Veranlassungen aus der Realität kränken, zum Leiden nötigen zu lassen, ja es zeigt, dass sie ihm nur Anlässe zu Lustgewinn sind." Kränkende "Veranlassungen aus der Realität", um die schöne Formulierung aufzugreifen, sind ja nun wirklich nicht gerade rar gesät. Und wer würde sie nicht gern in "Anlässe zu Lustgewinn" verwandeln? Heißt das also: Immer her mit den Witzen zur Krise?

Humor ist, wenn man trotzdem lacht - oder?

Langsam. Gerade fangen wir an, den Krisenhumor sympathisch zu finden, da macht er sich schon wieder verdächtig. Das Misstrauen richtet sich ausgerechnet gegen seine Fähigkeit, selbst ein richtig übles Schicksal für die Zwerchfellmassage in Dienst zu nehmen. Spontan kommt uns da der alte Spruch in den Kopf, der in der Humorphrasenhitliste Platz eins belegt: "Humor ist, wenn man trotzdem lacht." In diesem Satz ist der Trotz, der den Humor doch angeblich so großartig macht, in Wahrheit nur ein Trötzchen für arme Tröpfe. Man sieht ihn ja förmlich resignierend mit den Schultern zucken, den ergeben "trotzdem" lachenden Heimwerker, dem gerade der Hammer auf den Daumen gefahren ist. Vermutlich geht es mit seinem Humor schon zu Ende, wenn ihm mal das Gelbe vom Ei am Hemdkragen klebt. Weil das so ist, sollten wir uns seinen Kragen genauer anschauen. Und zwar samt Kragenknopf.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Gedanken zur Zeit | 23.07.2022 | 13:00 Uhr

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Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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