"Restlöcher": Lena Müller lotet Leerstellen in uns aus
Lena Müllers Debütroman "Restlöcher" handelt von der Selbstbestimmung und Gleichberechtigung von Frauen. Auszüge davon liest Maren Kroymann ab dem 16. August in der Sendung Am Morgen vorgelesen.
Für die Lesungen im diesjährigen ARD Radiofestival haben sich die Literaturredaktionen der ARD zusammengetan, um den Nachwuchs zu fördern: Zwölf Wochen lang hören Sie von Montag bis Freitag ab 23 Uhr jede Woche ein literarisches Debüt. Außerdem werden die Lesungen ab 8.30 Uhr in Am Morgen vorgelesen ausgestrahlt.
NDR Kultur ist mit zwei Neuproduktionen dabei. Eine davon hören sie ab Montag, 16. August: Die Schauspielerin und Kabarettistin Maren Kroymann liest fünf Auszüge aus "Restlöcher", dem Debütroman von Lena Müller. Die Autorin wurde 1982 in Berlin geboren, studierte in Hildesheim und Paris und erhielt als Übersetzerin aus dem Französischen schon zwei Mal den Internationalen Übersetzerpreis. "Restlöcher" ist ein Buch über Familienbande und Gleichberechtigung.
"Restlöcher": über das, was bleibt, wenn einer geht
Wenn einer geht und nicht sagt, warum - was macht das mit jenen, die ihn lieben? Die er sicherlich auch liebt, aber er geht trotzdem - "weil es geht". Von der Sehnsucht, die dann bleibt, handelt dieses Romandebüt von Lena Müller. Ein "Restloch" entsteht, bedingt durch das Massendefizit beim Braunkohleabbau.
Übrig bleiben Löcher, nach und nach mit Wasser gefüllt. Sando schaut in die Weite vor sich, die Bruchkante am anderen Ufer, sandiges Gelände, eine staubige Erde, auf der fast nichts mehr wächst, ein Industrieboden. (…) Eine Abbruchlandschaft unter der vorherigen Landschaft. Der Rest, der übrigbleibt. Sando fühlt eine Übereinkunft mit der Landschaft.
Die Metaphorik von Böden, die angebohrt, ausgehöhlt werden und ins Wanken geraten, zieht sich durch das gesamte Buch. Der Roman beginnt mit einem großen Liebeskummer: Ohne Erklärung ist der "Fuchs" verschwunden, den Sando liebte. Wer ist der Fuchs? Und dann ruft auch noch Sandos Schwester Milli an, um ihm mitzuteilen, dass ihre Mutter Clara verschwunden ist. Nicht zum ersten Mal. Möchte sie gesucht werden, fragen sie sich, und wie geht es ihr? Die Geschwister meinen: gut.
Gleichberechtigung und Selbstbestimmung
Clara, die früh geheiratet und zwei Kinder hat, bekommt Anfang der 1980er-Jahre von ihrem Mann Dieter ein Abo für die Zeitschrift "Courage", die links-politische Alternative zur feministischen Zeitschrift "Emma". Dieter ahnte nicht, was für Folgen sein Geschenk haben würde. Denn Clara macht von nun an Ernst mit ihrem Wunsch auf ein selbstbestimmtes Leben: Abitur, Umzug, Studium, Unabhängigkeit. Von da an muss sich die Familie gegen das Auseinanderdriften stemmen. Obwohl Dieter eigentlich für die Gerechtigkeit der Geschlechter eintritt und Clara ihre Ehe gar nicht aufkündigen will. Sie sagt:
Es sei nicht so, dass diese Familie zerfallen musste, sondern vielmehr, dass sie vom Freiheitsstreben zweier Menschen bestimmt gewesen sei, die Autonomie des Einzelnen, und sie hätten sich nie einigen können, was sie zusammenhielte.
Lena Müllers Porträt einer Frauengeneration
Clara zieht mit Sando und Milli nach Berlin, um zu studieren. Dieter kommt damit schwer klar, er fühlt sich bei seinen Besuchen im Studentendorf unwohl. Und als das Studium beendet ist und er seine Familie nach Hause holen will, verschwindet Clara plötzlich.
In der Mitte des Buches richtet sich das Interesse auf Clara, die scheinbar grundlos verschwundene Mutter. Das macht es zum Porträt einer Frauengeneration, für die Bildung und Beruf nicht selbstverständlich war. Lena Müller erzählt sehr einfühlsam über die Kinder, die ungleichen Geschwister Milli und Sando: Milli, tatkräftig und von ihrem anstrengenden Leben als Bäckerin in einem Bio-Kollektiv gezeichnet; Sando, der zaudernde, ratlose Intellektuelle, der an seiner Promotion scheitert, weil der Fuchs ihn verlassen hat, der Fuchs, den er bewundert für sein politisches Engagement und seine Lässigkeit. Sando:
Warum liebt mich niemand so richtig richtig, ganz ohne Vorbehalt? Immer diese sparsame Art, was doch nur heißt: Es wird heruntergeschraubt auf ein erträgliches Maß.
Und Milli entgegnet:
Erträglich hört sich doch gut an.
Lena Müller hat ein schmales Buch mit tiefem Inhalt und einem großen Horizont geschrieben. Weit über das bis heute ungelöste Problem der Gleichberechtigung hinaus lotet es die leeren, ziehenden Stellen in uns aus, mit denen jeder Mensch im Leben ganz allein ist.
Restlöcher
- Seitenzahl:
- 128 Seiten
- Genre:
- Roman
- Gelesen von:
- Maren Kroymann
- Verlag:
- Edition Nautilus
- Veröffentlichungsdatum:
- März 2021
- Bestellnummer:
- 978-3-96054-249-0
- Preis:
- 18,00 €
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