Buch des Monats Juni: "Fischers Frau" von Karin Kalisa
"Wi knüppen un wäben en Teppich för’t Leben" lautet die erste Zeile eines plattdeutschen Teppichknüpferliedes. Karin Kalisa hat für ihren Roman "Fischers Frau" eine spannende und selbst in Norddeutschland kaum bekannte Geschichte bearbeitet.
"Nicht, dass es eine Fälschung ist!" Dieser Satz und ein zusammengerollter, grüner Teppich sorgen dafür, dass das generalberuhigte Leben für Mia Sund vorbei ist. Unauffällig, absehbar, irgendwie "mittel" - das war die Wunschvorstellung für ihre Tage, Monate, Jahre. Eine Art Büropflanzenexistenz. Aber dann liegt da dieser Teppich auf dem Schreibtisch der Faserarchäologin in Greifswald. Ein schimmernder Wimmelkosmos mit Ostseemotiven. Ein echter Fischerteppich auf den ersten Blick, aber einer ohne die typische herbe Erdigkeit. Mia Sund wechselt immer wieder von der Nahen in die Totale, um das Geheimnis in diesem Vexierbild zu entdecken.
Aus den Koggen waren Geisterschiffe geworden, die piratenhaft aus einem grünen Nebel aufstiegen und Flagge zeigten. Fische in winzigen Dreier-, Vierer- und Fünferschwärmen, Seesterne, aber auch vogelartige Wesen, seltsame Blüten - alles auf berückende Weise winzig… Eine Miniaturunterwasserwelt - viele Faden tief… Hier war das ganze Repertoire der Fischerteppiche verknüpft worden. Ein Mustermuseum hatte sie hier vor sich. Ein fantastisches Meeresmuseum noch dazu. Und sie die einzige Besucherin! Leseprobe
Aber was meinte ihr biederer Kollege mit dem Satz: "Nicht, dass es eine Fälschung ist"? Vielleicht ja nicht nur diesen Teppich. Vielleicht ist dieser Satz eine Falle für sie - Mia -, die einst anders hieß, deren Ausweis in einem Schredder des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik landete, weil Gewalt ihr Elternhaus bestimmte. Sie kennt die Tricks der Kunstfälschungen, gehörte einst selbst zu einer Pop-Up-Fälscherkommune, in der sie lernte, dass säurehaltige Lasuren Tongefäße altern lassen und dass Leinwände ein vergangenes Jahrhundert vortäuschen, wenn sie zwischen Backofen und Kühltruhe bearbeitet wurden. Aber sie ist sich sicher, dass Textiles zu fälschen fast unmöglich ist, denn:
Fadenscheinig werden war ein sehr autonomer Prozess. Leseprobe
"Fischers Frau": Erfundene Geschichte mit wahrem Hintergrund
Es ist keine vollständig erfundene Welt, die Karin Kalisa in ihrem Roman "Fischers Frau" entwirft. Die ein knappes Jahrhundert alten Fischerteppiche hängen in Museen und Heimatstuben in Greifswald, Freest und Wolgast. Jeder Quadratmeter besteht aus 57.600 einzelnen Knoten. Geknüpft ab 1928, als ein findiger Landrat während eines dreijährigen Fischfangverbots auf diese Weise das Überleben für die Fischerfamilien organisierte. Wer Netze knüpfen konnte, der konnte schließlich auch engmaschigere Volkskunst erschaffen.
Karin Kalisa war durch Zufall auf diese frühe Arbeitsbeschaffungsmaßnahme gestoßen: "Mich hat an dieser Geschichte tatsächlich zuerst das Politische interessiert, das aus dem Boden zu stampfen: nicht Spargelanbau, nicht Hühnerzucht, nicht Korbflechterei, sondern Fischerteppiche - das war mutig, ungewöhnlich. Das war auch eine Genossenschaft, die haben sich um den Vertrieb selber gekümmert, die Fischerinnen und Fischer. Das hat mich gefangengenommen, das ist überhaupt nicht behäbig."
Kalisa hat sich in den Nachlass Rudolf Stundls eingelesen, jenes österreichischen Tapisseristen, der an die Ostsee kam, die regionalen Motive - Stranddistel, Vieranker, Achtfischrosette - entwarf und maßgeblich für den Erfolg der pommerschen Teppichkunst verantwortlich war. "Er hat viele hundert, vielleicht sogar tausend Seiten hinterlassen, in denen er selbst diese Geschichte erzählt", sagt Kalisa. "Die liegen alle in einem Dresdner Archiv, das habe ich mir angesehen: Er hat durchaus eine poetische Ader, er schreibt sehr gut. Ich wollte mich nicht so anmaßend übergriffig obendrauf setzen und so blieb nur: Das Setting zu nehmen, wie es ist, es zu bewahren und nichts zu verfälschen, aber in Schuss und Kette und Webrahmen eine erfundene Geschichte hineinzuknüpfen."
Die Spur führt nach Zagreb
Mia, die Faserarchäologin aus dem Heute, entdeckt auf dem grün schimmernden Perser von der Ostsee eine Borte mit dem Namen einer Knüpferin aus dem Vorgestern: Nina. Beunruhigung kommt in ihren Alltag, Leben in das Mittelmaß ihrer Tage. Sie schreibt sich in Fahrt, formuliert Anträge im feinsten akademischen Superlativismus, um eine Dienstreise nach Zagreb genehmigt zu bekommen, denn dahin führt Ninas Spur.
Schon jetzt sei sie sicher, dass die Kuratierung dieses Teppichs von überregionaler Relevanz sei und bahnbrechend für die internationale Tapisserie-Geschichte. Sie strich "bahnbrechend" und "internationale Tapisserie-Geschichte" und ersetzte es durch: "von enormer Bedeutung für die Interdependenzen der Bildwirkerei im europäischen und arabischen Raum". Leseprobe
"Fischers Frau": Ein Teppichmuseum zum Abtauchen
Der Roman springt zwischen den Zeitebenen, enthüllt nach und nach Mias und Ninas Geschichte: Auch Nina hat ihren Namen abgelegt, hat ihre Vergangenheit getilgt, geht in den 20er-Jahren an die Ostsee und wird eine Scheherazade der Fischerhütten: Sie erzählt, während die anderen knüpfen. Und der stolze Fischer am Webstuhl brubbelt:
Dascha nu der feine Unterschied…. Im Märchen wird vom Fischer un sine Fru vertellt, bei uns vertellt Fischers Fru. Leseprobe
Ein Forschungsbericht, ein Teppichmuseum zum Abtauchen, ein Märchen ist dieser Roman, an dessen Ende die Erkenntnis steht, dass etwas nicht unbedingt "echt" sein muss, um dennoch wahrhaftig und keine Fälschung zu sein. Mitunter verwebt Karin Kalisa dabei in ihre poetischen Sätze einen Faden zu viel.
Der "Star" dieser Geschichte sind diese ganz unflauschigen Fischerteppiche und ihre Historie. "Was mir besonders gefällt: Sie sind ohne Nimbus, sie haben etwas Schlichtes und Klares, die wollen nichts darstellen, was sie nicht sind", findet Kalisa. "Sie sind fantasievoll, aber sie kommen nicht daher mit einer Riesenambition."
Fischers Frau
- Seitenzahl:
- 256 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Droemer
- Bestellnummer:
- 978-3-426-28209-0
- Preis:
- 22 €
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Romane
