Sturm der Entrüstung um zurückgezogene "Winnetou"-Bücher
Die erhitzte Debatte um die zurückgezogenen "Winnetou"-Bücher des Ravensburger Verlages läuft weiter. Hintergründe und Positionen zum Thema.
Gerade sorgt "Der junge Häuptling Winnetou" für einen Sturm der Entrüstung: Der Film erzählt die Jugend des Karl-May-Helden. Nun hat der Ravensburger Verlag das begleitende Buch vom Markt genommen, nachdem es große Kritik im Internet gegeben hat - wegen angeblich rassistischer Stereotype. Ein Überblick über die unterschiedlichen Positionen.
"Winnetou" von Karl May unter Generalverdacht der "kulturellen Aneignung"
Häuptling Winnetou, hoch zu Ross, edle Gesichtszüge, reitet in den Sonnenuntergang: Das Bild hat sich eingebrannt. Dieses Märchen, basierend auf den Romanen Karl Mays, steht jetzt unter Generalverdacht: dem der "kulturellen Aneignung". "Für Karl-May-Freunde ist das schon etwas deprimierend, weil wir den Eindruck haben, unser Autor Karl May wird dabei völlig verkannt und das Bild, was hier gezeichnet wird, entspricht nicht dem wahren Karl May!", beklagt Michael Petzel vom Karl-May-Archiv in Göttingen, einer der größten Sammlungen zu Karl May in Deutschland, mit Drehbüchern, Requisiten, Übersetzungen.
Karl May ist der nach Petzels Worten meist gelesene deutsche Jugendbuchautor. Er höre von vielen Lesern und Leserinnen: Karl May sei der Autor, der bei ihnen geradezu ein Wertefundament gelegt habe. Sie hätten bei ihm gelernt, was gut und böse ist, richtig und falsch, sie hätten ein Bewusstsein für Gerechtigkeit gelernt, sie hätten ein Bewusstsein für fremde Völker gelernt, Respekt für andere Kulturen und sie hätten gelernt, was Mut bedeutet und auch Widerstand, so Petzel.
Ähnlich sehen es offenbar die Unterzeichner einer Petition der Karl-May-Gesellschaft und der Karl-May-Stiftung. Mehr als 4.000 Menschen unterzeichneten innerhalb weniger Tage einen offenen Brief mit dem Titel "Ist Winnetou erledigt?", der eine Reihe von Argumenten zum Umgang mit historischen Darstellungen auflistet und in der Debatte um Rassismus eine differenzierteren Umgang mit dem Autor Karl May anregt.
Linda Poppe: Bild von Häuptling Winnetou "entspricht nicht der Realität"
Der wahre Karl May: Linda Poppe vom Verein "Survival International" hält nicht viel von ihm. Sie begrüßt, dass das Buch "Der junge Häuptling Winnetou" jetzt vom Ravensburger Verlag vom Markt genommen wurde. "Es sind vielleicht fiktive Geschichten, aber sie vermitteln ja ein Bild von indigenen Völkern, was nicht der Realität entspricht." Sie vermittelten auch ein Bild davon, wie Siedler in der Figur von Old Shatterhand mit Indigenen zusammengearbeitet hätten - das entspreche ebenfalls nicht der Realität, so Poppe. "Sondern es ging um Gewalt, um Krankheit, um Ausbeutung. Jetzt diese Geschichten zu erzählen und schlimmer noch, sie unseren Kindern zu erzählen, wo wir es eigentlich besser wissen müssten, das halte ich für falsch."
Ihr Verein "Survival International" setzt sich seit 1969 für die Anerkennung indigener Gesellschaften ein. "Wir müssen erst mal verstehen, dass es noch indigene Gesellschaften gibt. Es passiert tatsächlich oft, dass uns bei 'Survival' Leute ansprechen und sagen: "Mein Gott, und ich dachte, die gäb's alle nicht mehr und die wären alle ausgerottet", das fängt auch schon im Schulunterricht an, dass das besprochen wird."
Einige Figuren von Karl May sind klar rassistisch konnotiert
Michael Petzel räumt ein, dass einige Passagen und Figuren bei Karl May einfach nicht mehr gehen: Figuren, die klar rassistisch konnotiert sind - wie die des Massa Bob im Roman "Unter Geiern": "Das kann man heute Jugendlichen und Kindern nicht mehr vorsetzen, das ist völlig unmöglich, da muss man Karl May inzwischen bearbeiten."
Debatte über Verkaufsstop der "Winnetou"-Bücher ist überzogen
NDR Literaturexpertin Katharina Mahrenholtz hat das Buch "Der junge Häuptling Winnetou" gelesen: Auch wenn es sie wenig begeistert, hält sie die Debatte für oder gegen den Verkaufsstopp für überzogen. Trotzdem findet sie: "Es war schon ein bisschen blauäugig vom Ravensburger Verlag, so ein Buch im Jahr 2022 herauszugeben, weil einfach in den letzten Jahren sehr viel passiert ist. Es gibt inzwischen ein anderes Bewusstsein für solche Klischees, man hätte ahnen können, dass das nicht besonders gut ankommt, wenn man so ein Karl-May-Fantasie-Indianerland aus den 1890er-Jahren zu einer neuen Kindergeschichte zusammenrührt, also: hätte man ahnen können."
Linda Poppe jedenfalls würde Winnetou gerne in den Sonnenuntergang reiten lassen - ohne Rückfahrticket: "Vielleicht ist Winnetou wirklich nicht mehr das, was wir noch haben müssen."