Von Kürthy, Schreiber, Jovanovic: Was hält uns zusammen?
"Wir gesucht! Was hält uns zusammen?" - zu diesem Motto der ARD Themenwoche haben sich Ildikó von Kürthy, Daniel Schreiber und Gianni Jovanovic am 9. November im Rahmen von "Der Norden liest" in Hamburg ausgetauscht.
Seit einigen Wochen ist der NDR mit der Reihe "Der Norden liest" im Norden unterwegs. Jetzt hat die Reihe Halt im Kultur Palast in Hamburg-Billstedt gemacht und war dabei quasi selber zu Gast - bei der ARD-Themenwoche "Wir gesucht! Was hält uns zusammen?". Bestsellerautorin Ildiko von Kürthy und die beiden Autoren Daniel Schreiber und Gianni Jovanovic haben dabei geschildert, was sie unter dem "Wir" verstehen.
Gianni Jovanovic: "Viele Sinti und Roma haben Angst vor Diskriminierung"
Gianni Jovanovic hat sich als Mitglied der Sinti und Roma schon viele Gedanken darüber gemacht, was dieses "Wir" bedeutet, von dem gerne so viel geredet wird. Natürlich empfinde er sich als Deutscher, sagt er, trotz der Verbrechen, die Sinti und Roma im Nationalsozialismus angetan wurden:
"Es ist schon so, dass wir ein Land haben. Eine halbe Million Menschen wurden vernichtet. Dennoch fühlen wir uns diesem Land zugehörig", erzählt Jovanovic. "Ich habe ein Problem mit dem Wort Heimat, aber Deutschland ist mein Zuhause und mein sicherer Hafen. Ich merke schon, dass sehr viele Sinti und Roma nicht sagen, dass sie Sinti und Roma sind, weil sie Angst haben, diskriminiert zu werden - und das ist ein großes Problem."
Daniel Schreiber während Corona: Nachdenken über Einsamkeit
Es ist einer von drei sehr unterschiedlichen und doch in Ansätzen verwandten Perspektiven auf das "Wir" in der Gesellschaft. Daniel Schreiber hat in der Coronazeit viel über Einsamkeit nachgedacht. Im Lockdown hat er den engen Kontakt zu seinen Freunden zwischenzeitlich verloren: "Die Regeln, die aufgestellt wurden, und die auch sehr wichtig waren zur Eindämmung der Pandemie, wurden vor allem mit Paaren und Familien im Hinterkopf aufgestellt", erklärt Schreiber. "In Deutschland gibt es ungefähr 17,6 Millionen Menschen, die allein leben. Diese Menschen wurden tatsächlich vergessen, und viele Menschen, die alleine sind, haben sich einsam gefühlt."
Das habe auch zu Selbstvorwürfen geführt. "Was habe ich mit meinem Leben falsch gemacht?", habe er sich gefragt. Erst nach und nach habe er gelernt, dass es nicht böse gemeint ist, wenn Freunde nicht mehr Tag und Nacht erreichbar waren, sondern erstmal einen Weg mit der Krise in ihrem eigenen Leben finden mussten.
Ildiko von Kürthy: Fehlender Respekt für arbeitende Mütter
Ildiko von Kürthy bringt nochmal eine ganz andere Farbe in den Abend. Als Mutter und Ehefrau, die auch noch arbeitet, fühlt sie sich oft nicht respektiert. "Das ist bei mir auch eine Frage der Abgrenzung", findet sie. "Zunächst mal, dass meine Grenzen nicht akzeptiert werden. Wenn ich mal sage, ich mache die Tür zu und arbeite, kommt immer jemand rein. Und wenn keiner reinkommt, dann gehe ich raus und schaue, warum keiner reinkommt. Das ist auch mein Problem, dass ich die Tür nicht geschlossen halten kann, dass ich die Ruhe nicht mehr ausnutzen kann, die sich mir gibt."
Die Vielfalt der Erfahrungen macht deutlich, dass es schwierig ist, das eine "Wir" zu definieren. Jeder kommt aus einer anderen Richtung und bringt ganz eigene Wahrnehmungen mit. Familien sind nicht immer der ideale Ort, um ein Wir-Gefühl zu lernen, da sind sich die drei Gäste einig. Wahlverwandtschaften aber auch nicht.
"Wir gesucht!": Austausch erwünscht
Und doch gibt es beim freiwilligen Austausch, wenn der Mensch aktiv den anderen Menschen suche, oft Erfolge, sagt Gianni Jovanovic: "Es gibt Modelle, wo junge und alte Menschen zumindest tagsüber zusammen sind. Da ist ein Jugendheim oder Kindergarten, da ist aber auch direkt ein Altenheim, sodass die alten Menschen den Kindern etwas vorlesen können." Jovanovic findet, das sei ein sehr schönes Bild. Und man lernt: Was das "Wir" wirklich bedeutet, darüber kann man sich auch über eine ARD-Themenwoche hinaus ziemlich intensiv austauschen.
Eine Veranstaltung der Reihe "Der Norden liest" des Kulturjournals im NDR Fernsehen und von NDR Kultur. Unter der Schirmherrschaft der Stiftung Lesen. In Kooperation mit den Bücherhallen Hamburg und der Stiftung Kultur Palast.