Urlaub im Buchladen in Schottland: Ein Traumziel
ARD-London-Korrespondentin Franziska Hoppen hat einen Sehnsuchtsort für Buchfans gefunden, wo Menschen freiwillig in ihrem Urlaub arbeiten und sogar dafür zahlen: in Wigtown, der "Buchhauptstadt" Schottlands. Die Warteliste für den Job ist lang. Eine Reportage.
Wigtown ist ein unscheinbares 900-Seelen-Örtchen im schottischen Hinterland. Es ist kaum zu erreichen mit Bus und Bahn, so tief versteckt liegt es hinter grünen Hügeln bei der irischen See. Gut möglich, dass hier mehr Schafe leben als Menschen.
Doch genau hier wollte Teri Cleary unbedingt Urlaub machen. Dafür ist sie extra aus Chicago angereist. Aber nicht, um die Beine hochzulegen. Denn ihre kleine Ferienwohnung in Wigtown kommt mit etwas ganz Besonderem. Unten auf der Straße schließt Cleary einen Buchladen auf - der nun ihr allein gehört. Eine ganze Woche lang!
Davon hat die 64-Jährige lange geträumt; "Ich habe so vor acht Jahren angefangen, mir das anzuschauen. Vor drei Jahren fand ich dann durch Zufall diese eine Woche, die noch frei war. Ich habe meinen Mann gefragt: Soll ich das buchen? Klar, hat er gesagt", erzählt Cleary. Sie hat noch etwas Jetlag, deshalb öffnet sie den Laden am späten Vormittag - sie ist schließlich Chefin hier. Stolz zeigt sie, was sie schon dekoriert hat, sie hat es gerade arrangiert.
Bücher stapeln sich bis unter die Decke
Bücher stapeln sich in dem kleinen Raum bis unter die Decke. Mit den Teppichen und Bildern ist es so gemütlich wie in einem Wohnzimmer. Vorn auf dem Tisch hat Cleary ihre Lieblingskrimis drapiert. Die Fenster sind bunt geschmückt. Es gibt Sticker für Kinder, Leckerlis für Hunde, in einer Ecke stehen die Biografien. Im echten Leben in Chicago ist Cleary Buchhalterin in einer Arztpraxis. Da zählt jeder Penny. Doch hier geht es ihr nicht um den Umsatz: "Es wäre mein Traumjob, den ganzen Tag zu lesen. Ich würde die Bücher sogar freiwillig rezensieren. Ich hab einfach die falsche Karriere eingeschlagen. Ich liebe Bücher."
Und deshalb freut sich Cleary auch, wenn Kunden kommen und sie die beraten kann. Im Gegenzug gibt’s von den Anwohnern: Wandertipps.
Idee stammt von US-Amerikanerin Jessica Fox
Ausgedacht hat sich diesen Urlaub im schottischen Buchladen die Amerikanerin Jessica Fox. Sie selbst hat sich mal genau danach gesehnt, ist nach Wigtown gekommen und dort hängen geblieben. Man habe doch immer diesen "Was wäre wenn- Gedanken", sagt sie verschmitzt - und es steckten doch bei jedem zwei Seelen in der Brust.
Die Zahlen geben ihr Recht. Die Unterkunft ist - seit es vor zehn Jahren los ging - praktisch immer ausgebucht. Für zwei Jahre im Voraus. Auf der Warteliste stehen 6.500 Interessierte aus aller Welt. Fox zeigt auf die Weltkarte, die im Buchladen hängt, voller Heftzwecken: "Es ist toll, dass Menschen aus Saudi-Arabien, Hongkong, Israel und Irland, egal wie unterschiedlich ihre Kulturen sind, dieselbe Erfahrung hier geteilt haben und von den Menschen hier quasi adoptiert worden sind. Manche bleiben sogar in Kontakt miteinander."
Ehrenamtliche betreiben die Unterkunft. Sie beziehen die Betten, begrüßen die Gäste, erklären, wie die Kasse funktioniert. Alle ein bis zwei Wochen steht jemand anderes auf der Matte. "Wigtown hat so viel zurückbekommen. Die Menschen bringen ihre Begeisterung für Literatur mit, ihre Kultur, haben Freundschaften aufgebaut und eine echte Anerkennung für Buchläden", erzählen zwei Frauen aus dem Ort.
Das Ganze kostet 180 Pfund pro Nacht, etwa 220 Euro. Die Einnahmen kommen dem Buchfestival der Stadt zu Gute, das wiederum tausende Besucher anlockt, die im letzten Jahr knapp fünf Millionen Euro in die Kassen gespült haben. Dass es dem kleinen Örtchen mal so gut gehen würde, hätte damals wohl keiner geahnt. In den 1980er-Jahren schloss die Krämerei, dann die Whisky-Brennerei. Mehr als 200 Menschen verloren ihre Jobs, etliche zogen weg.
Wigtown: Schottlands Nationale Bücherstadt
Auch Joyce Cochrane. Fast 90 Häuser hätten in Wigtown damals leer gestanden, heute seien es etwa vier, erzählt sie. Alle würden in Wigtown ein Haus kaufen wollen. Denn 1998 erhielt die Gemeinde den Titel "Schottlands Nationale Bücherstadt".
Damals gab es zwar bloß einen Buchladen in Wigtown. Doch der hatte die wahrscheinlich größte Sammlung an Second-Hand-Büchern in Schottland. Mit dem offiziellen Titel kamen die Buchliebhaber. Und die Buchhändler. Heute gibt es in Wigtown vierzehn Buchläden, bei gerade einmal 900 Einwohnern. Auch Joyce zog zurück. Sie eröffnete "The Old Bank Bookshop".
Wigtown ist von Büchern gerettet worden - und hat die Welt in diese kleine Gemeinde gebracht. Zitat von Wigtown-Bewohnerin Joyce Cochrane
Heute gibt es Cafés in dem Örtchen, eine Apotheke. Und zahlreiche literarische Veranstaltungen. Für Teri Cleary genug, damit ihr der Urlaub nicht langweilig wird. Der einzige Nachteil: Sie habe so viel zu tun, sagt die US-Amerikanerin, sie käme gar nicht raus aus dem Laden.
Und so wird es am nächsten Tag wieder heißen: früh aufstehen - für einen Traumurlaubs-Arbeitstag im eigenen Buchladen.