Chris Burkard: The Oceans (Cover) © gestalten Verlag
Chris Burkard: The Oceans (Cover) © gestalten Verlag
Chris Burkard: The Oceans (Cover) © gestalten Verlag
AUDIO: Bildschöne Bücher: "The Oceans" von Chris Burkard (5 Min)

"The Oceans": Nach Bewunderung heischende Extremsport-Fotografie

Stand: 27.10.2023 15:45 Uhr

Der amerikanische Fotograf und Surfer Chris Burkard konzentriert sich auf die abgelegenen, gewaltigen und mitunter eisigen Ozeane. Im Bildband "The Oceans" versucht er den Spagat zwischen Sport- und Naturfotografie.

von Guido Pauling

Am Anfang dieser Rezension muss eine Warnung stehen. Sie lautet: Dieser Bildband ist nicht das, was er vorgibt zu sein. Er trägt einen falschen Titel, und er hat das falsche Titelbild. Denn es geht hier in erster Linie nicht um „The Oceans – Die Ozeane“. Und der einsame Wanderer des Titelbilds, der von einer Klippe in Oregon auf eine nebelverhangene Bucht hinaus blickt, voller zerklüfteter Riffe inmitten von schäumenden Wellen, steht nicht sinnbildlich für "Chris Burkards maritime Fotografie", wie es der Untertitel behauptet.

Coolster unter coolen Jungs

So liegt der Band vielleicht beim Buchhändler aus, geschmackvoll in meeresblauem Leinen gebunden; so taucht das Cover in Online-Katalogen im Internet auf und verheißt: Naturfotografie, Wildnis, Schönheit der Landschaft. All dies, sagt Chris Burkard, liebe er ja auch, all dies überwältige ihn auf seinen Reisen an abgelegene Küsten und Strände. Und trotzdem ist all dies nur Kulisse für einen jungen Mann, der in erster Linie gern ein Superheld sein möchte. Der Coolste unter den coolen Jungs, mit denen er unterwegs ist, um Selfies zu machen und Drohnen steigen zu lassen. Nicht als Naturfotograf, sondern als Surf-Fotograf. "Ich weiß gar nicht, ob das überhaupt eine echte Berufsbezeichnung ist", bekennt er. "Meine Eltern glaubten das definitiv nicht, als ich ihnen mit 19 erzählte, dass ich meinen Job aufgebe, um meine Traumkarriere zu verfolgen."

Zuschauer sind Chris Burkard wichtig

Burkard wurde ein sehr erfolgreicher Surf-Fotograf. Viele Aufnahmen aus diesem Band beweisen das: Spektakulär, wie der Bursche in komplett durchtränktem weißen T-Shirt die türkisfarbene, bildfüllende Karibik-Welle reitet! Dynamisch, wie ein Junge als dunkler Schattenriss auf seinem Board in die Luft springt, eingerahmt von orange-goldenem kalifornischen Sonnenlicht, im Hintergrund des Strandes ist unscharf eine Masse Zuschauer zu erahnen. Überhaupt: Zuschauer sind Chris Burkard wichtig, auf mehreren Bildern stehen sie auf Brücken, lehnen an Kaimauern, bewundern die athletischen Surfer. Auf Dauer war ihm das jedoch zu gleichförmig, sagt er. "Ich fing an, mich nach wilden, offenen Landschaften zu sehnen. Denn wenn ich etwas verstanden habe, dann dass jede Karriere – sogar eine so glamouröse Karriere wie die Surf-Fotografie – Gefahr läuft, monoton zu werden."

Bildausschnitt, Komposition, Perspektive? Nahezu egal

Und so wurde Burkard zum Eiswasser-Surfer. Er reitet arktische Wellen auf Island, vor den Vulkanen Kamtschatkas, am Polarkreis in norwegischen Gewässern und vor der Inselgruppe der Kurilen. Bärtige Männer in schwarzen Wetsuits durchpflügen die donnernde Brandung, Im Hintergrund erhebt sich majestätisch ein gletscherbedeckter Vulkan oder wabert feucht-grauer Nebel. Das sind Burkards Meeresbilder. Ihm gelingen fraglos phantastische Aufnahmen, wie sie in jedem Surfsport-Magazin als Fotostrecke eine Sensation wären. Er merkt jedoch leider nicht, wie auch solche Sport-Sensationen in einem 300-Seiten Bildband allmählich monoton werden. Und das erst recht, wenn sie allzu oft dem simpelsten aller Bildverständnisse folgen: "Lass eine Drohne fliegen und nimm alles von oben auf!" Das sieht beim ersten Mal toll aus, beim zweiten, dritten und vierten Mal okay, danach aber nur noch: einfallslos-kunstlos. Bildausschnitt, Komposition, Perspektive? Nahezu egal. Drohne hoch, runtergucken, Landschaft als Totale – und darin gern ein muskulöser Typ mit einem Surfbrett in Neonfarben.

Coole Typen in eisigem Wasser

Das alles kann man machen – wenn man dann den Bildband "Glorious Surfing" nennt, vielleicht auch "Coole Typen in eisigem Wasser" – oder gern flapsig "Kalter Arsch mit Schneegestöber". Dann passen Anspruch und Bildwelten zusammen. Dass aber der Klappentext von "kaleidoskopisch marinem Leben" schwärmt und nochmal schnell die dringende Menschheitsaufgabe erwähnt, unseren "fragilen blauen Planeten" zu retten - das ist bei dieser lediglich nach Bewunderung heischenden Art von Extremsport-Fotografie schon etwas irritierend.

 

The Oceans - The Maritime Photography of Chris Burkard

von Chris Burkard
Seitenzahl:
320 Seiten
Genre:
Bildband
Zusatzinfo:
24,5 x 33 cm, gebunden
Verlag:
gestalten
Veröffentlichungsdatum:
September 2023
Bestellnummer:
978-3-96704-126-2
Preis:
60,00 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | 29.10.2023 | 17:40 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Fotografie

Bildbände

Ein Latte Macchiato, eine Brille und eine Kerze liegen auf einem Buch © picture alliance / Zoonar | Oleksandr Latkun

Neue Bücher 2024: Die spannendsten Neuerscheinungen

Unter anderem gibt es Neues von Dana von Suffrin, Michael Köhlmeier und Bernardine Evaristo. mehr

Logo vom NDR Kultur Podcast "eat.READ.sleep" © NDR Foto: Sinje Hasheider

eat.READ.sleep. Bücher für dich

Lieblingsbücher, Neuerscheinungen, Bestseller – wir geben Tipps und Orientierung. Außerdem: Interviews mit Büchermenschen, Fun Facts und eine literarische Vorspeise. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mehr Kultur

Ein Mann bläst in eine Tuba. Im Blech spiegelt sich die Umgebung. © DEPT gGmbH Foto: DEPT gGmbH

15.000 Bläser spielen gemeinsam beim Posaunentag in Hamburg

Posaunenchöre aus ganz Deutschland reisen an, um vom 3. bis 5. Mai gemeinsam zu spielen - ein großes öffentliches Fest. mehr