Stimme Bosnien-Herzegowinas: Dževad Karahasan gestorben
Dževad Karahasan gab Bosnien-Herzegowina mit seiner komplexen Geschichte eine Stimme und mit seinen Büchern tiefe Einblicke in die Realität der Menschen während des Jugoslawien-Krieges. Er war einer der wichtigsten Autoren Bosniens und Herzegowinas.
Nun ist Dževad Karahasan mit 70 Jahren in Graz gestorben. Das hat der Suhrkamp-Verlag unter Berufung auf Karahasans Familie mitgeteilt. In einem Gespräch mit seiner Lektorin Katharina Raabe hat er vor einigen Jahren von seinem Leben während der Belagerung Sarajevos erzählt. Dort führte Karahasan mit seinen Studenten mitten im Krieg Theaterkomödien auf. "In einer Stadt, in der täglich Hunderte von Menschen umgebracht werden, in einer Stadt, in der es große Probleme gibt, einen Tag zu überleben, wirkt es irgendwie tautologisch, geschmacklos, eine Tragödie, ein absurdes Drama oder etwas Ähnliches zu spielen. Die Kunst muss sich gelegentlich auch gegen Wirklichkeit auflehnen. Die Kunst muss uns gelegentlich auch flüstern, dass wir auch gegen Wirklichkeit leben können, dass man auch gegen den Strom schwimmen kann." Karahasan bezeichnete Sarajevo einmal als Ort seines Schicksals. Viele seiner Bücher wurden ins Deutsche übersetzt.
Zuletzt erschien Anfang des Jahres von ihm "Einübung ins Schweben". Darin beschrieb er erstmals sehr deutlich die grauenvolle Seite des Krieges. Im Interview mit NDR Kultur sagte er dazu im Januar: "Hätte ich damals versucht, die Grausamkeiten des Krieges, das Schreckliche, das Unerträgliche zu notieren, wäre ich sicherlich am Ende der Belagerung kein normaler Mensch mehr. Denn das hieße, zum zweiten Mal etwas Schreckliches zu erleben. Und jetzt, über 30 Jahre nach Ende des Krieges, kann ich darüber schreiben, ohne verrückt zu werden." Dževad Karahasan bekam zahlreiche Preise, darunter 2004 den Leipziger Buchpreis und 2020 den Goethepreis der Stadt Frankfurt.
