Stand: 05.01.2016 11:29 Uhr

Miguel de Cervantes: "Don Quijote"

In 25 Folgen der Wissensreihe "Große Romane der Weltliteratur" streifen wir durch die Geschichte des Romans von den Anfängen bis in die Gegenwart. In dieser Folge dreht sich alles um Miguel de Cervantes' "Don Quijote".

Von Hanjo Kesting

Don Quijote, Werk von Paula Modersohn-Becker (Öl auf Pappe, 1900) © AKG / P.Modersohn-Becker Mus. Br
Der Held Quijote hat auch oft seinen Weg in die Malerei gefunden, wie hier in Paula Modersohn-Beckers Gemälde von 1900.

Cervantes ist der größte Schriftsteller der spanischsprechenden Welt, und sein Don Quijote gilt nicht nur als der erste große Roman der Neuzeit, er ist auch - neben der Bibel - das meistübersetzte und einflussreichste Buch der Weltliteratur. Sein Titelheld, der Ritter von der traurigen Gestalt, gehört zu den quasi-mythologischen Figuren, die jenseits der dichterischen Phantasie, die sie hervorgebracht hat, ein Eigenleben führen.

Zum Inhalt - ein Ritteroman

So Gewaltiges trug Cervantes sicher nicht im Sinn, als er 1598 mit der Niederschrift des Buches begann. Es war zunächst als satirischer Spaß angelegt, als Parodie der damals weitverbreiteten Ritterromane. Der Held des Buches, ein verarmter Landjunker aus niederem Adel, der eigentlich Alonso Quijano heißt, hängt seinen nostalgischen Träumen vom Rittertum nach, die er mit der Lektüre solcher Ritterromanen nährt, bis er schließlich den Verstand darüber verliert und selbst als fahrender Ritter ausziehen will. Als Narr reitet der hagere Hidalgo, der sich den klangvollen Namen Don Quijote beilegt, in die Welt, auf seinem Klepper Rosinante, begleitet von seinem Knappen Sancho Pansa, und mit einer gewissen Dulcinea von Toboso als auserwählter Minneherrin im Sinn.

Ein Verrückter, der mit Trugbildern kämpft

Von Anfang an ist Don Quijote eine komische Figur, ein Verrückter, der in einer wahnhaften Wirklichkeit lebt, inmitten von Trugbildern, die seine Phantasie ihm vorgaukelt und ihn die unsinnigsten Abenteuer erleben lässt: den sprichwörtlichen Kampf mit den Windmühlen, die er für Riesen hält, oder die Niedermetzelung der Schafherde, in der er ein feindliches Heer vermutet. Aus allen Abenteuern geht er mit Schaden hervor, verprügelt, verspottet, gedemütigt, ohne je aus seinem Wahn zu erwachen. Von Anfang bis Ende ist er ein Ausbund an Narrheit.

Doch bildet solche Narrheit lediglich die Kehrseite der hochherzigen Ritterlichkeit, die Don Quijote niemals innerlich besiegt aus seinen Abenteuern hervorgeht lässt, so dass er die Sympathie des Lesers von Mal zu Mal stärker gewinnt. Man kann die Kunst nicht hoch genug bewundern, mit der Cervantes das Motiv des ritterlichen Wahns nicht nur wirksam erhält, sondern seinen Helden immer achtunggebietender erscheinen lässt. Auch Sancho Pansa, der bauernschlaue Realist an der Seite des idealistischen Weltbeglückers, hängt mit wachsender Zärtlichkeit an seinem Herrn.

Teil 2: Ein raffiniertes Spiel mit der fiktionalen Wirklichkeit

Der erste Teil des "Don Quijote" erschien 1605, und ein zweiter Teil war darin in Aussicht gestellt. Cervantes veröffentlichte ihn zehn Jahre später. Don Quijote erfährt, dass die Kunde von seinen Taten bereits in Gestalt eines Buches in alle Welt gedrungen ist und die Leser belustigt hat. Bekümmert über die Verständnislosigkeit der Menschen bricht er noch einmal auf, um seine Ideale zu verteidigen. Cervantes steigert die erzählerische Ironie durch den Kunstgriff, den ersten Teil des Buches in der Fortsetzung als bekannt vorauszusetzen. Fortwährend begegnen der Ritter und sein Knappe im zweiten Teil Menschen, denen ihre früheren Abenteuer längst bekannt sind und die sich von Don Quijotes Identität nur überzeugen lassen, wenn der närrische Ritter auf konsequente Weise fortfährt, närrisch zu sein. Es ist ein raffiniertes Spiel mit der fiktionalen Wirklichkeit, wobei die Mechanismen des Spiels im Roman selbst offengelegt werden. Mit solchen Kunstgriffen wurde Cervantes zum Ausgangspunkt der modernen Romankunst.

Am Ende des Buches heißt es: "Für mich allein ward Don Quijote geboren und ich für ihn: Er verstand es zu handeln und ich zu schreiben..." Cervantes bekennt sich hier zur heimlichen Identität von Autor und gedichteter Figur. Die schönsten Eigenschaften der spanischen Nation, ihre Grandezza, Ritterlichkeit und komisch verstiegene Noblesse werden im "Don Quijote" einer melancholischen Travestie unterzogen, ohne ihre gewinnenden Seiten einzubüßen. Am Ende des Buches, wenn es ans Sterben geht, kommt Don Quijote zwar "zur Vernunft" und bereut seinen Irrglauben, doch das ändert nichts mehr daran, dass er auch weiterhin als unsterblicher Narr durch die Welt reitet, eine Menschheitsfigur von großartiger Hochherzigkeit.

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