Lizzie Dorons "Was wäre wenn": Ein ungelebtes Leben in Israel
Lizzie Dorons Bücher erscheinen seit ihren kritischen Auseinandersetzungen mit israelischer Politik zuerst oder sogar nur in deutscher Übersetzung. So auch ihr neuer Roman mit dem Titel "Was wäre wenn".
Lizzie Doron erzählt von ihrem Jugendfreund Yigal, der sie bittet, ihn im Krankenhaus zu besuchen, wo er liegt und sterben wird. Er möchte, dass sie der letzte Mensch ist, mit dem er sprechen kann. Sie geht hin und das löst eine Flut von Erinnerungen aus. Auch an ihre Kindheit, an die Mutter, die Yigal früher einen Banditen genannt hatte und nicht wollte, dass ihre Tochter mit ihm zusammenkommt.
Besuch beim kranken Freund löst Kindheitserinnerungen aus
Er war einer dieser Jungen, vor denen vermutlich alle Mütter der Welt intuitiv ihre Töchter beschützen wollen: schön, lässig, furchtlos. Alle meinten, er würde Generalstabschef der israelischen Armee. Mit 16 Jahren, 1969, war Lizzie wie Yigal leidenschaftliche Zionistin und bei den Pfadfindern engagiert.
Ein unsagbar schönes Leben liegt vor uns, und nur meine Mutter verdirbt die Stimmung. "Was ist denn würdiger als die Heimat?", halte ich ihr vor. "Wem sonst sollen wir unser Leben widmen?" "Wenn … ", sagt sie, aber ich fahre ihr gleich über den Mund. Ich weiß, sie will sagen, wenn ich im Holocaust gewesen wäre, würde ich sie verstehen. "Ist es das, was du willst?", stichle ich. "Dass ich auch an deinem Holocaust teilnehme?" Leseprobe
Die junge Generation hat eigene Probleme
Lizzie Doron gehört zur Holocaust-Nachfolgegeneration mit eigenen Traumatisierungen. Ihr Jugendfreund Yigal geriet im Krieg 1973 in syrischer Gefangenschaft, im nächsten Krieg gehörte er zu dem Teil der Truppe, der von der eigenen Seite beschossen wurde an der Grenze zum Libanon.
Er war der einzige Überlebende der Einheit und wurde von da an zu einem der leidenschaftlichsten Pazifisten des Landes, der alle Gründe für die militärischen Macht Israels als falschen Weg bezeichnete und alle Foren, die er fand, alle Veröffentlichungsmöglichkeiten nutzte, um sich für Frieden einzusetzen. Kurz vor seinem Tod sagt er:
Mein liebes Land, du bist an einer Überdosis Nationalismus erkrankt und ich an munter streuendem Krebs. Leseprobe
Dorons Roman trägt zum Verständnis für die Geschichte Israels bei
Die Geschichte von Yigal, die ganz anders verläuft als die von Lizzie, wird auf dem Hintergrund der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung Israels erzählt. Man lernt etwas über die Geschichte des Landes. Versteht und begreift vielleicht mehr. Man entwickelt Demut gegenüber den beschädigten Seelen mit diesen raffiniert komponierten Erinnerungsfetzen. Es sind wichtige und...
überschüssige Erinnerungen, die fröhlich Urständ feiern. Nicht alle Erinnerungen sind verwendbar, denke ich und lache. Leseprobe
Einmal besucht die Ich-Erzählerin ihre Mutter, die offenbar unter einer beginnenden Demenz leidet. Sie ist milde geworden, ohne Geschrei, ohne Vorwürfe, backt Kuchen. Beim Rausgehen sieht Lizzie in einer Pappschachtel die Märchenbücher ihrer Kindheit zum Wegwerfen aussortiert.
"Warum das"?, frage ich. "Weil die so gut wie alle ein Happy End haben.", erwidert sie. Ich habe die Mutter wieder, die ich kenne. Und atme erleichtert auf. Leseprobe
Dann geht es immer mehr um Yigal, ihre große Liebe, die nicht gelebt wurde. Ihr ungelebtes Leben. Warum soll sie zu ihm kommen? Nachts bleibt sie wach, weil sie fürchtet, er stirbt in dem Moment, in dem sie einschläft. Der Text verströmt in seiner Reduktion auf die kleinsten Einheiten wie Mutter, Tochter und Freund eine allumfassende Menschenliebe, die unwiderstehlich und schön zu lesen ist.
Was wäre wenn
- Seitenzahl:
- 144 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- dtv
- Bestellnummer:
- 978-3-423-28236-9
- Preis:
- 18,00 €
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Romane
