Stand: 16.08.2019 16:00 Uhr

"Kein Bild einer Erfahrung - eine Erfahrung!"

von Guido Pauling

Geboren 1903 als Marcus Rotkovich in Lettland, reiste der knapp zehnjährige Junge mit seinen Eltern in die USA - eine Art Flucht vor antisemitischen Pogromen im zaristischen Russland. Mit 30 hatte er seine erste Einzelausstellung als Maler. Im Alter von 36 Jahren änderte er seinen Namen in Mark Rothko. So kennt man ihn bis heute, den Maler der gewaltigen rechteckigen Farbflächen, die eine rätselhaft tiefe, intensive emotionale Wirkung ausüben können. Dabei war der Weg zu den berühmten Farbbalken lang; erst als er auf die 50 zuging, schuf Rothko sein beeindruckendes Spätwerk, für das man ihn heute kennt. Im Frühjahr 2019 hat das Kunsthistorische Museum Wien Rothko mit einer Retrospektive gewürdigt.

Ein Farbton dominiert die gigantische Leinwand. 2,90 Meter mal 2,60 Meter tiefes, dunkles, warmes, unheimliches, anziehendes, allbeherrschendes Rot. Braunrot. Oder doch schon braun? Schwer zu sagen. Sicher ist: Am Fuß des Bildes lodert es flammendrot. Darüber dunkelt die Farbe, ein letzter feuriger Schimmer, dann folgt dieses gigantische Rechteck von kaum bestimmbarem Farbton, der - je länger man ihn betrachtet - auch ein Braun sein könnte, oder ein Rotbraun…

Warmrot, Weinrot oder Abendrot

Und zuoberst taucht in einer schlanken Linie das Rot vom unteren Bildrand wieder auf, jetzt aber gedämpft, wie gebändigte Flammen; eine Art Warmrot, Weinrot oder Abendrot.

"Die Bilder sorgten für eine außergewöhnliche mystische Atmosphäre, eine Mischung aus Intimität und Transzendenz, wie sie in manchen Kirchen und Moscheen zu finden ist, erinnerte sich die Kunstsammlerin Dominique de Ménil an den Eindruck, den Mark Rothkos großformatige Gemälde aus wenigen übereinandergeschichteten Farbtönen auf sie machten. 

Übereinanderliegende dunkelgetönte Farbbalken

Das schlicht "No. 64" betitelte Gemälde befindet sich in Privatbesitz; man wird es kaum einmal zu sehen bekommen, wenn nicht in einer Sonderausstellung oder aber in diesem fabelhaften Bildband über die Malerei Mark Rothkos. Seine übereinander liegenden, meist dunkelgetönten Farbbalken sind symptomatisch für den Malstil des in Lettland geborenen Amerikaners geworden, der nur ungern Amerikaner sein wollte und Europas Kunst auf Studienreisen geradezu aufsog. "Ein Gemälde ist kein Bild einer Erfahrung - es ist eine Erfahrung", war sein Credo.

Vor der Abkehr vom Gegenständlichen: Einsichten in den frühen Malstil

Mit der Abkehr vom Gegenständlichen - das der Bildband seitenweise präsentiert und den Betrachtern faszinierende Einsichten über den frühen Malstil Rothkos beschert - und mit der mannigfaltigen Variation von wenigen geschichteten Farbstreifen kam der Künstler diesem Ideal erstaunlich nahe: Den Betrachtern ein Bild gegenüberzustellen, in das sie versinken; eine kaum zu beschreibende, wundervoll-innige Erfahrung. Rothko war "der Künstler, der wollte, dass die Betrachter vor jedem seiner Werke 'die gleiche religiöse Erfahrung' hatten, die er beim Malen erfuhr," erläutert sein Sohn Christopher in einem Begleit-Essay. Rothkos Kunst wurzelt tief in der europäischen Tradition; zugleich prägte er die moderne Malerei Amerikas.

So zeigen seine berühmten "Seagram-Wandgemälde" auf den ersten Blick - Rechtecke in Rot, Braun, Orange, Grau. Beim zweiten, genaueren Hinsehen - sind es Säulen. Auf einmal liest und versteht man Rothkos Bemerkung auf einer Reise nach Paestum: "Ich habe mein Leben lang griechische Tempel gemalt, ohne es zu wissen."

Man darf sich umfangreichere, größere, ausführlichere Bildbände über Mark Rothkos Kunst wünschen. Dieser kompakte, edel aufgemachte Band mit zum Teil herausklappbaren Seiten für die besonders breiten Leinwände und mit seinen sehr lesenswerten Einführungstexten liefert aber bereits Großartiges: eine ästhetisch-herausragende wie auch informative Einführung in das Schaffen eines der größten Maler des 20. Jahrhunderts.

Mark Rothko

Seitenzahl:
184 Seiten
Genre:
Bildband
Zusatzinfo:
Verlag:
Hatje Cantz Verlag
Preis:
38,00 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | 18.08.2019 | 17:40 Uhr

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