Menschen in weißen Anzügen desinfizieren öffentliche Plätze in Shanghai © picture alliance / ASSOCIATED PRESS Foto: Daisuek Kawase

Wie Menschen weltweit Krisen meistern - Teil 2: China

Stand: 03.09.2022 06:00 Uhr

Wie erleben unsere ARD-Korrespondent*innen die aktuellen Krisen in anderen Teilen der Welt? In China steht alles im Zeichen der Null-Covid-Strategie. Für Glück bleibt da kaum noch Raum.

Menschen in weißen Anzügen desinfizieren öffentliche Plätze in Shanghai © picture alliance / ASSOCIATED PRESS Foto: Daisuek Kawase
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von Eva Lamby-Schmitt

Ein Hotelzimmer, vier Wände, ein Bett. Ein orangefarbener Plastikeimer zur Begrüßung in Shanghai. Darin sind ein Fieberthermometer, mehrere in Desinfektionsmittel getränkte Baumwolltupfer und stark nach Chlor riechende Desinfektionstabletten für die Toilette. Das erste Abendessen nach Ankunft in China ist eine Packung Instantnudeln. Es ist eine bescheidene, aber wohltuende erste, heiße Mahlzeit nach stundenlangem Warten am Flughafen. Das heißt: Warten auf das PCR-Testergebnis nach Einreise und warten auf den Bus, der die Reisenden zum Ort ihrer mehrtägigen Quarantäne bringt.

Für die wenigen Menschen, die derzeit nach China einreisen dürfen, ist es kein warmer Empfang. Der Schritt aus dem Flugzeug raus ist der Schritt in eine andere Welt. Während der Rest der Welt beginnt, mit dem Coronavirus zu leben, ist es in China ein unermüdlicher Kampf gegen das Virus. Der erste Mensch, dem man am Flughafen begegnet, steckt in einem weißen Ganzkörperschutzanzug mit Kapuze. Vor dem Gesicht ist außer einer FFP2-Maske ein Visier. Bis nach der Quarantäne wird man nur Menschen in diesen Anzügen zu Gesicht bekommen, die zusammen aussehen, als wären sie eine weiße Armee gegen das Virus. Sie sehen ein bisschen aus wie die Sturmtruppen von Star Wars. Ihr Kampfstil hat sich seit Beginn der Corona-Pandemie kaum verändert, obwohl wir bereits viel mehr über das Virus wissen.

Da Bais: Eine Armee weißer Virussoldaten

Ich erinnere mich an eine Kunstgalerie in Wuhan, die ich Anfang des Jahres besucht habe. Wuhan ist die chinesische Stadt, in der das Virus Ende 2019 die erste große Welle lostrat. Es folgte der erste große Lockdown der Pandemie in einer Zeit, in der noch niemand richtig wusste, wie gefährlich das Virus ist. Die Künstler haben in ihren ausgestellten Gemälden verarbeitet, was sie in Wuhan erlebt haben. Künstlerin Yang Qian war während des Lockdowns eine der Freiwilligen und erinnert sich, wie sie eine Mutter und ein Kind mit Covid-Symptomen auf dem Fahrrad ins Krankenhaus gebracht hat. Als sie ankamen, hingen handgeschriebene Zettel an der Eingangstür, keiner der Ärzte oder Krankenschwestern war ansprechbar. Die Szene hat sie in einem ihrer Bilder festgehalten. Die Bilder zeigen das Chaos in dieser Zeit. Die Unsicherheit. Den Kampf gegen ein noch unbekanntes Virus. Sie zeigen leere, geisterhafte Straßen in Wuhan. Mit eben diesen Menschen in weißen Ganzkörperschutzanzügen, die genauso aussehen wie heute.

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Sie werden auf Chinesisch umgangssprachlich Da Bai genannt - das bedeutet "großer Weißer" und klingt fast liebevoll. Vor ein paar Jahren war Da Bai noch der Spitzname für einen heldenhaften Gesundheitsroboter aus einem Zeichentrickfilm, der den Menschen geholfen hat. Wie Roboter verhalten sich auch oft die Da Bais in der realen Welt. Sie reden nicht. Sie sind Macher und führen Befehle aus. Mit Gesten zeigen sie den Weg an, sie scannen QR-Codes, sie sind bei jedem Lockdown in China an vorderster Front auf den Straßen, weisen Menschen in ihre Schranken, machen die Massentests und Lautspecherdurchsagen. Und wenn zum Beispiel Geschäftsreisende ins Land kommen, dann sind sie es, die die Koffer desinfizieren, die in der Quarantäne drei Mal am Tag Essen vor die Tür stellen und die nicht nur die Einreisenden selbst, sondern auch ihr Smartphone, den Türrahmen und das Waschbecken im Badezimmer auf Corona testen. Ob das logisch ist?

So manchen Da Bais kann man ein Lächeln entlocken, das verrät: "Ich weiß. Frag nicht, wir machen nur unseren Job." "Mei banfa", auch das ist etwas, was Menschen in China gerne antworten, wenn man sie um ein Statement zur chinesischen Corona-Politik herausfordert. "Da kann man nichts machen." Oder anders gesagt: Einfach machen. Nicht fragen.

Einer der Da Bais redet. Er ist eben doch ein Mensch, ein junger Mann, 30 Jahre alt. Normalerweise arbeitet er als Bauingenieur in einem Staatsunternehmen. In diesem Jahr musste das Unternehmen drei sogenannte Freiwillige zur Pandemiebekämpfung zum Flughafen schicken. Doch so freiwillig war das nicht. Ablehnen durfte er nicht. Einen Monat lang arbeitet er nun im weißen Ganzkörperschutzanzug am Flughafen und ist dabei in seiner eigenen Quarantäneblase gefangen. Kontakt haben mit der Außenwelt darf er nicht. Er wohnt in einem Quarantänehotel, darf nur in einem dafür vorgesehenen Bus zum Flughafen fahren und wieder zurück. Nach einem Monat als sogenannter Freiwilliger muss er nochmals einen halben Monat isoliert bleiben, dann ist er wieder frei. Er macht das Beste draus. Sein großer Stolz ist ein kleiner Grill, den er mit ins Quarantänehotel nehmen durfte. Das klingt im Gegensatz zu der Quarantäne für Reisende schon fast luxuriös. Doch es sind die kleinen Freuden, die den großen Weißen bei Laune halten. Und für ihn sind die selbstzubereiteten Mahlzeiten auf dem Grill sein Motor, während er inmitten einer Armee weißer Virussoldaten ein Zahnrad in einem großen Uhrwerk ist.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Gedanken zur Zeit | 03.09.2022 | 13:05 Uhr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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