Menschen in weißen Anzügen desinfizieren öffentliche Plätze in Shanghai © picture alliance / ASSOCIATED PRESS Foto: Daisuek Kawase

Wie Menschen weltweit Krisen meistern - Teil 2: China

Stand: 03.09.2022 06:00 Uhr
Menschen in weißen Anzügen desinfizieren öffentliche Plätze in Shanghai © picture alliance / ASSOCIATED PRESS Foto: Daisuek Kawase
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von Eva Lamby-Schmitt

Ohne PCR-Test kein Leben

Zurück aus dem klimatisierten Hotelzimmer in den Alltag von Shanghai. Die schwüle Hitze steht über der Stadt. Und doch fühlen sich 30 Grad nach einer langen Hitzeperiode schon an wie eine Erleichterung. Unter der Hitze nehmen manche auf den Gehwegen die Coronamasken ab. Die meisten tragen sie noch, obwohl in der mehr als 25-Millionen-Einwohner-Stadt zuletzt nur zwei Fälle gemeldet worden sind. Die Masken sind Teil des Alltags. Ebenso die QR-Codes auf Schildern vor Supermärkten, Restaurants, Bürogebäuden und in der Corona-App auf dem Smartphone. Die Null-Covid Politik der chinesischen Staats- und Parteiführung ist Alltag. Bewegungen wie QR-Codes zu scannen, führen die Menschen schon automatisch aus, ohne darüber nachzudenken. Selbst der 72-Stunden-Rhythmus, alle drei Tage einen PCR-Test machen zu müssen, ist für viele zu einem akzeptierten Teil des Lebens geworden. Auch hier ist so: mei banfa - da kann man nichts machen. Ohne PCR-Test kein Leben. Sprich: kein Supermarkt, keine Yoga-Stunden, kein Kino mit Freunden, keine Arbeit im Büro. Selbst im Privaten gibt es einen QR-Code und eine Testpflicht. Wer zu Freunden zu Besuch will, muss an der Haustür mit der Corona-App, die jeder haben muss, den Code scannen und hinterlässt auf der Schwelle einen Datenfußabdruck mit Namen, Geburtsdatum, Telefon- und Personalausweisnummer. Auch da: mei banfa. Die Menschen, so scheint es im Großen und Ganzen, nehmen es hin. Sie genießen den Alltag, schlendern durch die von Platanen besäumten Straßen, sitzen in Cafés, treffen sich abends zur Sporteinheit mit lauter Musik auf dem Gehweg und sind wohl froh, dass das alles überhaupt möglich ist.

Vertrauensverlust in die Regierung

Die Stadt Shanghai findet ihr Gesicht gerade erst wieder. Gezeichnet vom Covid-Krieg. Mehr als 60 Tage lang war die Stadt im Frühjahr in einem strikten Lockdown. Militärisch wurde dem Virus in den chinesischen Staatsmedien der Kampf angesagt. Aus vielen Landesteilen Chinas sind damals Helfer angereist, um gegen die Pandemie zu kämpfen. Und tatsächlich war es wie ein Kampf. Nicht nur für diejenigen an der sogenannten Front, die weißen Helfer, die darauf eingeschworen wurden, die Corona-Zahlen auf Null zu bringen. Auch besonders für diejenigen, die in ihren Häusern eingesperrt waren: Es war ein täglicher Kampf ums Essen. Ein täglicher Kampf um Medikamente. Ein täglicher Kampf darum, nicht den Verstand zu verlieren. Was bleibt, ist bei vielen ein Vertrauensverlust in die Regierung. Aber: mei banfa. Während des Lockdowns in Shanghai hat es Proteste gegeben, aber die Unzufriedenheit in der Stadt konnte die Mauern der Zensur kaum überwinden. In den staatlichen Medien in China wurden Wunden des Kampfes nicht gezeigt. Der Hunger, die Not, die Bedingungen in den Isolationseinrichtungen, in denen tausende Menschen teils auf Feldbetten und Holzpritschen und ohne medizinische Versorgung untergebracht wurden. In den chinesischen Staatsmedien war nur eines wichtig: die Zahlen. Hauptsache am Ende steht eine Null. Doch die Narben bleiben. Auch wenn der Alltag nun weitergeht, vieles werden die Menschen nach dem Lockdown nicht wieder vergessen können. Dabei ist Shanghai kein Einzelfall. Heute noch sind Millionen Menschen in mehreren chinesischen Städten im Lockdown. Manche hat es schon mehrfach getroffen. Die Menschen sind frustriert. Doch offiziell in den Staatsmedien gefeiert wird am Ende die Null.

Angst vor Lockdowns in Dauerschleife

Es ist drei Uhr nachts. In einer Schüssel werden 60 Kilogramm Schweinefleisch mit klein gehacktem Fett vermischt. Nur so entsteht in den gebratenen Teigtaschen zum Frühstück eine saftige Brühe. So soll es sein. Nach traditioneller Art. Jedes Kind in Shanghai wächst mit diesen Teigtaschen auf. Auf Chinesisch heißen sie Guotie. Sie zählen zu den einfachen Freuden des Alltags und sind zugleich hartes Geschäft für Huang Xinglan, die seit mehr als 20 Jahren ein Restaurant dafür betreibt. Jeden Tag steht sie von drei Uhr nachts bis acht Uhr abends im Laden. Viele Menschen, die heute in der großen Finanz- und Wirtschaftsmetropole Shanghai leben, sind, wie sie, ursprünglich aus ländlicheren Regionen hergezogen und haben sich eine Existenz und, wie sie sagen, ein besseres Leben aufgebaut. Sie sind froh, hier zu sein, auch wenn es harte Arbeit ist. Viele Geschichten von Menschen in Shanghai spiegeln den wirtschaftlichen Aufstieg Chinas in den vergangenen Jahrzehnten wider. Die strikten Covidmaßnahmen, speziell der zweimonatige Lockdown in Shanghai, brachte all das ins Wanken. Huang Xinglan hat gemeinsam mit ihrem Mann zwei Monate in ihrem Laden auf dem Boden geschlafen. Sie waren nur von wenigen Tagen Lockdown und nicht von zwei Monaten ausgegangen. Genügend Essensvorräte hatten die beiden in ihrem Restaurant. Sie konnten gar die Nachbarn damit versorgen, als dies erlaubt war. Doch das war nichts im Vergleich zu den Einnahmen, die sie sonst hatten. Viele Geschäfte in Shanghai haben ihre Türen nach dem Lockdown nicht wieder geöffnet. Sie haben es nicht geschafft. Der wirtschaftliche Einbruch war zu groß. Trotzdem geht das Leben weiter. Mit oder ohne Geschäft. Huang Xinglan will weiter durchhalten. Sie möchte nicht zurück aufs Land, nicht zurück in den chinesischen Landesteil Anhui, in dem ihre Eltern noch ihren Lebensunterhalt als Bauern verdient haben. Sie ist stolz auf ihr Leben in der Stadt und bereitet in Shanghai jeden Tag weiter Teigtaschen zu. Jeden Tag mit der Hoffnung, dass kein weiterer Lockdown kommt.

Denn was bleibt, ist Angst. Angst vor Lockdowns in Dauerschleife. Was fehlt, ist eine Exitstrategie. Raus aus der Null-Covid-Politik. Raus aus der Angst-Dauerschleife.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Gedanken zur Zeit | 03.09.2022 | 13:05 Uhr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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