Vom Sühneopfer zur Solidarität: Zeitgemäße Perspektiven auf Karfreitag
Mit seinen Einschränkungen wie beispielsweise dem Tanzverbot ist der Karfreitag gesellschaftlich nicht unumstritten. Auch die Kirchen tun sich in mehrfacher Hinsicht nicht leicht mit diesem stillen Feiertag. Wie kann man heute noch zeitgemäß vom Kreuzestod reden und predigen?
Zum Kreuzestod gibt es letztlich zwei konkurrierende Deutungen, sagt Magnus Striet, katholischer Fundamentaltheologe an der Universität in Freiburg im Breisgau: "Die eine stammt aus sehr, sehr frühen Jahren, das beginnt im 4. Jahrhundert und wird dann vor allem im 11./12. Jahrhundert ausgebaut und die hat sich kirchenübergreifend sehr lange gehalten, eigentlich wird sie bis heute auch durchgehalten: Dass Gott ein notwendiges Sühneopfer am Kreuz braucht, um sich überhaupt mit der Menschheit versöhnen zu dürfen."
Klassische Theologie schwer vermittelbar?
Allerdings, so Striet, würden solche Fragen in den Kirchen gar nicht mehr offensiv diskutiert. Für ihn ein Hinweis, dass man die klassische Theologie immer schwerer vermitteln könne: "Der Gott, der dort angeboten ist, widerspricht dem moralischen Bewusstsein des Menschen. Warum soll ein Gott ein blutiges Opfer am Kreuz brauchen, um sich mit der Menschheit versöhnen zu können? Dieser Gott wäre ja weniger moralisch, als der Mensch zumindest sein könnte."
Gottes Liebe erfahrbar: Neue Sicht auf den Kreuzestod
Der katholische Theologe vertritt daher eine andere Interpretation des Kreuzestodes. Demnach wird Gott deshalb Mensch, um seine unbedingte Liebe für die Menschen in der Welt erfahrbar werden zu lassen: "Und dann bekommt der Kreuzestod auch eine ganz andere Bedeutung. Dieser Jude aus Nazareth kommt unter die Räder der damaligen religiösen und politischen Konflikte und er wird als Sklave hingerichtet. Die Römer hatten kein Interesse an Aufruhr und haben deshalb kurzen Prozess gemacht."
Christus als Begleiter der Ausgegrenzten
Tobias Faix ist evangelischer Professor für praktische Theologie an der CVJM-Hochschule in Kassel. Er hat eine Zeit lang in Südafrika studiert. Dort erlebte er eine Deutung des Kreuzestodes, die auch hier immer mehr Theologen und Theologinnen vertreten. Nämlich die "Kreuzesdeutung der Solidarität": Dass Gott in Christus hinabstiegen sei in das menschliche Leid und Elend. Und in Gewaltlosigkeit diesen Weg gegangen sei, obwohl unschuldig, und so Solidarität zeigt mit denen, die von unserer Gesellschaft ausgegrenzt würden.
"Und das ist ja was, was auch Jugendliche oder junge Erwachsene erleben, also bis hin, dass man so bezeichnet wird auf dem Schulhof 'Du Opfer' und dadurch wird einem gesagt, 'Du bist weniger wert, Du gehörst nicht dazu'. Es ist eine Art der Erniedrigung. Und das sind ja schon Anknüpfungspunkte, um genau darüber zu reden. Jesus ist 'Du Opfer' geworden, Jesus ist selbst Opfer geworden", sagt Faix.
Jesus als Glaubensvorbild in unsicheren Zeiten
Kerstin Hochartz ist Dozentin am Religionspädagogischen Institut in Loccum. Ihr Fachgebiet: Religionsunterricht an Haupt-, Real- und Oberschulen. Die evangelische Pastorin der hannoverschen Landeskirche sagt, im Leiden Jesu könne eine für junge Menschen relevante Botschaft stecken: Da ist jemand, der sich in deine Lage einfühlen kann, der dir beisteht.
"Ich glaube, Jugendliche erleben ja gerade seit Corona und auch jetzt in den Zeiten des Ukrainekrieges, wie labil und instabil ihr Leben tatsächlich ist. Wie die Säulen, auf die sie das aufgebaut haben, wie die Zukunftspläne, die sie gemacht haben, plötzlich alle über den Haufen geworfen werden."
Karfreitags-Botschaft bleibt wichtig
Diese Instabilität des Lebens sei tatsächlich etwas, was menschliches Leben ausmache. Da brauche es tatsächlich jemanden an der Seite, der eben genau solche Instabilitäten erlebt habe.
Der Karfreitag ist also ein im wahren Wortsinn sperriger Feiertag. Seine Botschaft von bedingungsloser Liebe, Solidarität und Hoffnung bleibt aber wichtig.
