Kabarettist und Autor Florian Schroeder zu Gast in der WDR Talkshow Kölner Treff am 12.10.2023. © dpa Foto: Horst Galuschka

Schroeder: Sellner betonte große Nähe zwischen AfD und Identitären

Stand: 12.01.2024 12:38 Uhr

Der Kabarettist und Autor Florian Schroeder hat den Rechtsextremen Martin Sellner mehrfach getroffen. Es gebe nur eine Scheindistanz zwischen der AfD und der Identitären Bewegung, sagte Schroeder NDR Info.

AfD-Funktionäre kommen mit Rechtsextremen zusammen - und sprechen offenbar über Vertreibungspläne für Millionen Menschen. Das Treffen in Potsdam, das durch Recherchen des Medienhauses Correctiv an die Öffentlichkeit kam, hat parteiübergreifend Empörung ausgelöst. Mit dabei in dieser Runde: der Taktgeber der rechtsextremen Identitären Bewegung, Martin Sellner. Er bestätigte der Deutschen Presse-Agentur, dass er bei dem Treffen über "Remigration" gesprochen habe - ein rechtes Konzept zur Rückführung von Zugewanderten.

Der Autor, Publizist und Kabarettist Florian Schroeder hat Sellner über fünf Jahre für sein Buch "Unter Wahnsinnigen. Warum wir das Böse brauchen" begleitet, er war bei einem Rekrutierungstreffen dabei und hat nach eigenen Worten tiefe Einblicke in die Szene gewonnen. NDR Info hat mit ihm darüber gesprochen.

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Herr Schroeder, wie ist Ihnen Sellner begegnet, als er Ihnen gegenüber saß?

Florian Schroeder: Ausgesprochen freundlich. Ich hatte ihm 2017 zum ersten Mal geschrieben, als ich anfing, für dieses Buch zu recherchieren, und fragte ihn, ob er dabei sei. Dann hat es eine Weile gedauert, bis er geantwortet hat. Er war dann von Anfang an überaus freundlich, ein ernsthaft interessierter Mensch, der den Austausch sucht, auch mit Andersdenkenden. Wir wussten ja beide, wo wir stehen: Es war ganz klar, dass ich kein Rechter bin, dass ich nicht auf seiner Seite stehe. Wann immer wir uns getroffen haben, war der Austausch sehr zuvorkommend, sehr sachlich, sehr ruhig, offen - in der Sache hart, aber im persönlichen Tonfall überaus verbindlich.

Aber ist genau das das Gefährliche?

Schroeder: Ja, das muss man ganz klar sagen. Ich saß ihm manchmal gegenüber, wir sprachen zwei, drei Stunden, und ich hatte den Eindruck: Was er so erzählt - Remigration, Ethnopluralismus und wie diese ganzen neuen rechten Begriffe heißen -, das ist doch eigentlich gar nicht so wild; was denken die Leute eigentlich? Und erst als ich das dann für mein Buch transkribierte und mich in der Distanz damit auseinandersetzte, merkte ich, was für ein knallharter Tobak das ist. Aber die Sprache dieser neuen Rechten ist so verführerisch und so auf Harmlosigkeit getrimmt, dass man sich andauernd dabei erwischt, dass man ihnen eigentlich fast auf den Leim geht, weil man denkt: Dass wir eine "europäische Identität" haben - warum eigentlich nicht? Aber am Ende ist genau das der Punkt, womit sie in der Lage sind, sehr viele Leute zu verführen. Es ist ein bisschen wie bei einer fundamentalistischen Sekte.

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Wie eng ist denn die AfD aus Ihrer Sicht mit dieser Identitären Bewegung, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch gewertet wird, verbunden? Offiziell distanziert sich die AfD ja davon.

Schroeder: Es gibt offiziell einen Unvereinbarkeitsbeschluss, aber der ist in meinen Augen nichts wert. Ich war bei einem Rekrutierungstreffen in Berlin, da waren mehrere Mitarbeiter von AfD-Bundestagsabgeordneten, die mir alle sagten: Wir dürfen hier nicht darüber reden, aber klar gehören wir zusammen. Martin Sellner betonte oft die große Nähe in den Kernthemen zwischen AfD und Identitären. Nach meiner Wahrnehmung versuchen aber beide eine Scheindistanz zu wahren, damit man den Eindruck hat, dass die AfD nicht so extremistisch und radikal ist, wie sie es ist.' Es gibt ja auch offiziell Verbindungen: Mario Müller zum Beispiel ist ein vorbestrafter Neonazi aus Halle, der für einen AfD-Bundestagsabgeordneten gearbeitet hat oder noch arbeitet.

Also, das ist eng, und das sagen auch alle, sobald man mit ihnen spricht. Und es ist eine Vorfeldorganisation: Die Identitären machen den Job, den die AfD braucht. Sie machen als aktivistische Bewegung die Arbeit, die nötig ist, nämlich die Begriffe verändern, den sogenannten vorpolitischen Raum erobern, dafür sorgen, dass wir nicht mehr von Deportation sprechen, sondern von sogenannter Remigration. Das ist ganz entscheidend, weil das andere Leute sind. Leute, die in einer Identitären Bewegung sind, wirken spielerischer, wirken harmloser, wirken nicht als Teil der Parteikader, und sollen damit auch Leute überzeugen, die eigentlich vom rechten Denken gar nicht viel wissen wollen.

Was können denn all die Menschen, die sich in Deutschland auf dem Boden der Verfassung bewegen, auch andere Parteien, gegen solche Verbindungen und solche Tendenzen tun?

Schroeder: Es geht darum, dass eine ganz große Masse an Leuten aufsteht, die im Moment denkt: 'Die AfD ist eine Partei, die wir nicht wählen würden, aber die stört uns auch nicht.' Es braucht ein ganz deutliches Zeichen der großen Mehrheit der Gesellschaft, die anzeigt: 'Das ist nicht die Partei, mit der wir etwas zu tun haben wollen.' Ich glaube, das ist noch nicht so ganz verstanden worden, dass diese Partei nicht nur kritisch ist gegenüber straffälligen Migranten, dass die ein bisschen härter zugreifen will als die demokratischen Parteien, die sich bei dem Thema nicht einig werden, sondern dass das eine Partei ist, die wie ein Trichter funktioniert. Das sieht man an diesen Remigrationsplänen, die Sellner vorgestellt hat: Es geht zuerst um die straffälligen Migranten, dann sind es die, die nicht straffällig wurden, dann sind es die ohne deutschen Pass, dann die mit deutschem Pass. Als Nächstes sind es Menschen mit Behinderungen, dann sind es queere Menschen, Lesben, Schwule. Und am Ende bleibt das übrig, was übrigbleibt, in einer rein homogenen deutschen Gesellschaft, nämlich Papa, Mama, Kind und die, die rechts denken, genau wie es die AfD will. Da stehen wir - und dann sind wir am Ende von allem, was unsere Freiheit im Moment ausmacht. Das müssen wir deutlicher machen.

Das Interview führte Stefan Schlag.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | 12.01.2024 | 08:35 Uhr

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