Zwei Fäuste treffen gegeneinander und ergeben ein Herz. © photocase.de/jock+scott Foto: jock+scott
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AUDIO: Vom produktiven Zuhören: "Gewaltfreie Kommunikation" (9 Min)

Gewaltfreie Kommunikation: "Konflikte sind notwendig"

Stand: 14.11.2023 16:18 Uhr

Corona-Pandemie, Migrationspolitik, Kriege - diese Themen erhitzen die Gemüter. Wie ein Austausch darüber mit Gewaltfreier Kommunikation gelingen kann, darüber spricht NDR Kultur mit der Mediatorin Gabriele Seils.

Ob im familiären Umfeld, im beruflichen Kontext oder in der politischen Debatte - in vielen Situationen können Standpunkte aufeinander prallen, sich die Fronten verhärten. Der Austausch ist dann oft von Aggression geprägt. Gabriele Seils ist Mediatorin und Trainerin für Gewaltfreie Kommunikation und Konfliktklärung in Berlin.

Gewaltfreie Kommunikation - viele, die das Konzept nicht kennen, denken dabei vielleicht an einen netten Umgang miteinander. Gespräche, bei denen man nicht laut und erst recht nicht handgreiflich wird, vielleicht sogar Konflikten aus dem Weg geht. Das stimmt so allerdings nicht, oder?

Gabriele Seils: Nein, das stimmt nicht. Wir gehen davon aus, dass Konflikte nichts Schlechtes sind. Ich würde sogar sagen, dass sie notwendig sind, um Dinge zu klären. Es geht überhaupt nicht darum, sich aus dem Weg zu gehen oder Dinge unter den Teppich zu kehren, sondern es geht darum, einen Weg zu finden, wie wir wirklich Sachen besprechen können - so ehrlich wir können. Es geht darum, wie wir uns dabei zuhören können, wie wir präsent, offen, verständnisvoll und respektvoll bleiben können. Dafür gibt die Methode einen ganz guten Leitfaden.

Wenn es um Politik geht, kann es schnell zu Reibungen kommen. Wie lässt sich denn so einen Streit mit Gewaltfreier Kommunikation lösen?

Seils: Es ist gut erst einmal zu gucken: Was ist unser Thema? Wenn wir über Politik sprechen und es ein Thema ist, bei dem wir unterschiedliche Meinungen haben, dann ist es relativ leicht. Wenn wir noch ruhig sind, können wir uns darüber verständigen, dass wir unterschiedliche Meinungen haben. In der Gewaltfreien Kommunikation gibt es ganz klare Angebote, zu sagen: "Ich höre Dir wirklich zu." Auch wenn mich das Thema aufregt, wiederhole ich das, was ich gehört habe. Damit versuche ich zu gucken, ob ich das verstanden habe, worum es Dir geht. Der Fokus bei der Gewaltfreien Kommunikation liegt auf den Gefühlen auf den Bedürfnissen. Ich steige nicht unbedingt zu 100 Prozent inhaltlich ein, sondern ich versuche, den anderen zu hören, mit seinen Gefühlen und seinen Bedürfnissen.

Wenn es um den Krieg in Israel, um die Ukraine oder um die Klimakrise geht, sind da Emotionen involviert. Dann kann ich sagen: "Macht dir das Angst? Macht Dich das rasend wütend, was du da erlebst?" Es ist wichtig, dass zum Beispiel Menschen auf beiden Seiten wirklich gesehen werden. Wir hauen uns nicht mehr die Argumente um die Ohren, sondern wir erkennen die Gefühle an und sprechen die Gefühle und die dahinter stehenden Bedürfnisse auch aus. Dann kommen wir automatisch auf eine andere Ebene und auch in Kontakt mit unserer Verletzlichkeit. Warum uns gerade in politischen Debatten Dinge so aufregen ist, dass wir dann in Kontakt sind mit Gefühlen wie Verunsicherung, Schmerz, Ärger und Trauer. Wenn wir das anerkennen, können wir anders miteinander in Beziehung kommen, dann können wir uns auch anders miteinander verbinden, selbst wenn wir unterschiedlicher Meinung sind.

Das Zuhören nennen sie als einen wichtigen Punkt, das in Verbindung treten mit den eigenen Gefühlen und den Gefühlen des Gegenübers als einen zweiten wichtigen Punkt. Wie wichtig ist es denn, wie ich etwas zu der Person sage?

Seils: Es macht natürlich einen riesigen Unterschied, ob ich mich so bewusst wie möglich ausdrücke. Unter Streitkultur verstehe ich, dass ich mir die Mühe mache, mich selbst zu reflektieren und mir mein Innenleben bewusst zu machen. Das ist etwas, das nicht automatisch passiert, sondern das einer gewissen Anstrengung bedarf. Wenn ich das kann, wenn ich die Zeit habe und das Bewusstsein habe, dann kann ich meine Worte auch klar wählen und mich so ausdrücken, dass der andere versteht, von wo ich komme. Das gelingt uns nicht immer. Wenn ich von mir selber abgeschnitten bin und dann eben vielleicht auch einen etwas raueren oder vorwurfsvollen Ton anschlage und auch entsprechende Worte wähle, dann ist der Konflikt relativ vorprogrammiert - außer die andere Person kann Gewaltfreie Kommunikation und kann es sozusagen übersetzen und kann sagen: "Ich habe den Eindruck, dass gerade sehr aufgeregt und das macht Dir wirklich zu schaffen. Magst Du erzählen, was los ist?" Dadurch kann der Konflikt deeskaliert werden.

Inwieweit lässt sich denn dieser Ansatz der Gewaltfreien Kommunikation ihrer Meinung nach nicht nur auf so kleinere Systeme, wie eben die Familie oder ein überschaubares berufliches Umfeld beziehen, sondern bietet vielleicht auch Lösungsansätze in größeren politischen Konflikten?

Marshall Rosenberg ist der Begründer der Gewaltfreien Kommunikation und es war seine große Vision, dazu beizutragen, dass die Welt ein anderer Ort wird, gerade auf der politischen, auf der gesellschaftlichen Ebene. Ich bin davon überzeugt, dass vieles anders wäre, wenn Menschen sich Zeit nehmen würden, bei einem politischen Konflikt auf einer tieferen Ebene zu gucken: Was macht das mit mir? Wo ist der Schmerz? Wo sind die Ängste? Was ist uns eigentlich wirklich wichtig? Wenn Wut, Ärger und Angst im Spiel sind, sind wir oft nicht bereit, die andere Seite zu sehen - gerade, was diese kriegerischen Auseinandersetzungen auf der ganzen Welt betrifft. Wenn wir bereit sind, das zu machen, verändert sich ganz sicher etwas. Es ist manchmal verblüffend, wie einfach das ist. Das ist für viele, die in politischen Diskursen stecken, vielleicht manchmal zu einfach. Aber wenn wir das wirklich konsequent machen würden, dann würden wir definitiv woanders landen, als wir jetzt sind.

Das Gespräch führte Friederike Westerhaus.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 14.11.2023 | 17:20 Uhr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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