Zwei Männer gehen Hand in Hand durch den Park © imago
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AUDIO: Gewaltbereitschaft gegenüber LGBTQIA+ steigt: Was müssen wir ändern? (6 Min)

Gewaltbereitschaft gegenüber LGBTQIA+ steigt: Was müssen wir ändern?

Stand: 01.08.2023 12:57 Uhr

Bei queeren Menschen steigt die Angst vor physischer oder psychischer Gewalt. Laut einer Studie haben 75 Prozent der in Hannover befragten Menschen aus der Queer-Szene Diskriminierung erlebt. Ein Gespräch mit Cornelia Kost von der Beratungsstelle 4be TransSuchtHilfe.

Frau Kost, als Psychotherapeutin dieser Beratungsstelle sind Sie im direkten Kontakt insbesondere mit Transpersonen aus vielen Orten in Norddeutschland. Mit welchen Anliegen kommen diese Menschen zu Ihnen?

Cornelia Kost: Die Anliegen sind sehr komplex. Wir sind eine Beratungsstelle, die in der Schnittstelle zwischen geschlechtlicher Vielfalt und Komorbiditäten arbeitet. Das bedeutet, bei uns sind Menschen, die in den normalen Transitionsablauf nicht hineinpassen, zum Beispiel weil sie suchterkrankt sind oder psychische Erkrankungen haben.

In welcher Situation befinden sich queere Kinder heute?

Cornelia Kost trägt eine Brille und lächelt in die Kamera. © Turgey Ugur
Cornelia Kost engagiert sich für geschlechtsdiverse Menschen, ist selbst transsexuell und leitet die Hamburger Beratungsstelle 4Be TransSuchtHilfe.

Kost: Wenn wir über queere Kinder und Jugendliche reden, geht es immer um die Frage von Selbstbestimmung. Welche Rechte billigen wir Kindern zu und welches Maß an Selbstbestimmung bekommen Kinder? In dem Moment, wo Kinder und Jugendliche zum Beispiel im Kontext von Geschlecht, im Kontext von Sexualität auf ihre Rechte pochen, auf die Möglichkeit, sich zu entfalten, sich zu entwickeln, auszuprobieren, in dem Moment, werden immer Stimmen laut, die Kinder entmündigen wollen, die ihnen diese Rechte nehmen und sie beschränken wollen. Dieser Kampf ist sehr vielfältig. Da wird mit Abstraktionen gearbeitet, die überhaupt nichts mit der ganz gewöhnlichen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu tun haben, die in der Pubertät stecken, die sich ausprobieren wollen und auch müssen. Sondern es wird etwas konstruiert, dass Kinder den Verstand verlieren würden, ihr Gehirn würde sich umorganisieren und sie wären auch gar nicht in der Lage, diese Entscheidung für sich zu treffen. Da würde das Internet irgendwelche Entwicklung betreiben oder Social Media wäre jetzt der entscheidende Faktor, der heute Kinder und Jugendliche beeinflussen würde. Das sind sehr naive Gleichungen, die da aufgemacht werden. Kinder brauchen Freiheiten, um sich zu entwickeln.

Deshalb ist es sehr wichtig, wenn wir uns mit der Frage auseinandersetzen, dass wir uns grundsätzlich in einen Diskurs begeben, welche Rechte haben Kinder, welche Freiheitsgrade haben Sie und was stehen wir Ihnen zu? Da ist die Diskussion, die wir hier in der Bundesrepublik auch schon länger führen, ganz wichtig, und die müssen wir auch ein bisschen konkreter und ernsthafter angehen. Da sieht man wieder, dass die Diskussion um geschlechtliche und sexuelle Vielfalt einmal wieder als Aufhänger benutzt wird, um die Rechte von Kindern und Jugendlichen zu beschränken. Das ist die Situation, die wir im Moment haben.

Was können Eltern tun, um ihre queeren Kinder vor Anfeindungen zu schützen?

Kost: Ich selber ziehe zwei Transjungs groß und erlebe täglich, welcher Gewalt diese Kinder ausgesetzt sind. In Hamburg ist es nicht möglich, dass Kinder ihre selbstgewählten Pronomen und ihre selbstgewählten Vornamen in die Schüler- und Lehrer-Datenbank eintragen können. Uns Eltern bringt das in die ganz schwierige Situation, dass wir den juristischen Weg einschlagen müssen. Gleichzeitig werden die Kinder und Jugendlichen ständig geoutet. Es wird auch von Menschen genutzt, die da sehr kritisch sind, sodass die Kinder schon strukturell ständig Angriffen ausgesetzt sind, und zwar in einer Umgebung, die sie eigentlich beschützen sollte, nämlich der Schule. In Hamburg ist schon seit Jahren keine Diskussion mit der Schulbehörde möglich. Das ist eine ganz schwierige Situation. Wir haben strukturelle Gewalt, dann muss man sich darüber im Klaren sein, dass es heute gang und gäbe ist, dass die Kinder im schulischen Umfeld angegangen werden. Was ich als besonders bedrückend erlebe, ist, wenn meine Kinder in der S-Bahn fahren, dann kommen Männer zu ihnen, fassen dem Kind an die Brust und sagen: "Bist du ein Junge oder ein Mädchen?" Das ist Alltag und die Realität. Das ist unerträglich!

Themen wie Trans- oder das Selbstbestimmungsgesetz scheinen zurzeit viele zu triggern und zu provozieren. Das führt im schlimmsten Fall dazu, dass queere Menschen krankenhausreif geschlagen werden, wie es Ende Mai beim Christopher Street Day in Hannover passiert ist. Nehmen Sie das auch so wahr, dass sich die Stimmung hier gerade verändert. War das mal anders?

Kost: Ja, wir hatten mit der Aids-Epidemie eine komplexe Situation in Deutschland, wo sich die Stimmung erfreulicherweise gewendet hat, wo wir in die Situation gekommen sind, dass Homosexualität über die Diskussion mit der Krankheit respektierter, anerkannter wurde und sexuelle Vielfalt in unser Leben getreten ist. Wer heute Kampagnen fahren und Punkte sammeln will im konservativen rechten Diskurs, kann nicht mehr gegen homosexuelle Menschen agieren, sondern im Moment ist das Thema geschlechtliche Vielfalt in den Fokus geraten. Dazu trägt sicherlich das Selbstbestimmungsgesetz bei, aber das ist nur ein Aspekt. Deshalb gibt es eine Diskursverschiebung in Richtung geschlechtlicher Vielfalt. In Hamburg hat sich die CDU mit der Gender-Initiative sehr eindeutig positioniert, aber auch mit der Haltung gegen das Selbstbestimmungsgesetz. Insofern ist es so, dass das auch bei uns auf der Straße ankommt und spürbar ist.

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Viele betroffene Personen zeigen Straftaten nicht an, sondern ziehen sich eher zurück - vielleicht weil das Sich-Zeigen, das Sich-rechtfertigen-Müssen allein schon so viel Energie kostet wie eine Konfrontation mit Straftäter*innen. Die Angst vor mehr Gewalterfahrung wächst dann sicherlich. Was raten Sie den Betroffenen?

Kost: Das ist eine ganz schwierige Situation, weil neben der Tatsache, dass sie angegriffen werden - und das sind ja sexualisierte Angriffe -, neben der Beschämung, die die Menschen empfinden, neben der Betroffenheit, die man in so einer Situation hat, auch hinzu kommt, dass sie sich fragen: Was mache ich denn bei der Polizei? Was erzähle ich denen? Warum bin ich angegriffen worden? Das ist in der Regel immer mit einem Zwangsouting verbunden, und das ist ein Lotteriespiel, mit welcher Person sie es da zu tun haben: Ist das eine Person, die verständnisvoll ist, die aufgeklärt ist, die was mit Geschlechtervielfalt anfangen kann - oder nicht? Der Regelfall ist, dass wir es mit Menschen zu tun haben, die nicht aufgeklärt sind, die nicht verständnisvoll sind. Und dann kommt neben der Gewalt, die die Menschen in der konkreten Situation erleben, auch noch die Gewalt dazu, die sie erleben, wenn sie das versuchen anzuzeigen. Insofern ist das eine sehr schwierige Situation. Wir sind sehr froh, dass die Hamburger Polizei mit der LSBTI*-Dienststelle da ein klares Signal gesetzt hat: Kommt bitte zu uns, zeigt die Taten an! Die Mitarbeiter Petra und Marco sind in der Community gut verankert und leisten da unglaublich viel. Aber natürlich ist es so, dass die Möglichkeiten, die die beiden haben, begrenzt sind.

Was können wir als Gesellschaft tun für ein besseres, ein sicheres Klima, damit hier niemand Angst haben muss?

Kost: Ich möchte den Bogen etwas weiter spannen. Geschlechtliche Vielfalt hat etwas mit Feminität zu tun, mit der Fähigkeit, Weiblichkeit auszudrücken. Wir haben in dieser Gesellschaft eine strukturelle Gewalt, die sich gegen Frauen richtet. Wir haben in der Kriminalitätsstatistik circa 120.000 Fälle von Gewalt im häuslichen Umfeld gegen Frauen, und in dieser Gesellschaft ist es völlig selbstverständlich und wird völlig unbestritten hingenommen, dass das eine Tatsache ist und dass wir nicht dagegen angehen. Das hat sehr viel mit der Gewalt zu tun, die sich gegen geschlechtliche Vielfalt richtet. In Ländern, in denen es restriktive Regeln gegen geschlechtliche Vielfalt gibt, zum Beispiel in Ungarn, Polen oder in bestimmten Staaten in den USA, sind diese Regeln immer auch Aufhänger, um gegen Frauenrechte vorzugehen: zum Beispiel gegen Abtreibungsrechte, aber auch gegen ganz gewöhnliche Gleichstellungspolitik. Deshalb macht es Sinn, wenn wir über Gewalt im Kontext geschlechtlicher Vielfalt reden, auch genau hinzugucken, wie die Gewalt gegen Frauen aussieht. Das ist ein riesiges Thema.

Das Interview führte Friederike Westerhaus.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal Gespräch | 31.07.2023 | 16:30 Uhr

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