Ein aufgeschlagenes Wörterbuch, in dem der Begriff "Lockdown" rot markiert ist. © picture alliance / Shotshop | Zerbor
Ein aufgeschlagenes Wörterbuch, in dem der Begriff "Lockdown" rot markiert ist. © picture alliance / Shotshop | Zerbor
Ein aufgeschlagenes Wörterbuch, in dem der Begriff "Lockdown" rot markiert ist. © picture alliance / Shotshop | Zerbor
AUDIO: Corona-Wörterbuch: Der Schnutenpulli geht, die Poesie bleibt (4 Min)

Geplantes Corona-Wörterbuch: Der Schnutenpulli geht, die Poesie bleibt

Stand: 28.02.2023 08:56 Uhr

Das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache hat mehr als 2.500 Wörter gesammelt, die durch die Corona-Pandemie entstanden sind. Geplant ist ein Wörterbuch zur Corona-Sprache - in die unsere Autorin noch einmal eintaucht.

von Juliane Bergmann

War der ganze Kram nur ein wirrer Traum? Neblig die Erinnerung an dieses teils gelockdownte, geshutdownte Zwischenspiel, die C-Krise, getaktet in 200er-Inzidenz, 15-Minuten-Regel, 2G-Bändchen, 3G-Nachweis und 7-Tage-Mittelwert. Zeiten, in denen wir noch einmal neu zählen lernten. Und buchstabieren sowieso: Cluster-5-Variante, CO2-Ampel, AHA+C+L-Regel, B.1.617-Mutation. Wir, die Alltagshelden im e-meeten, Mix-and-Match-Impfen, Click and Collect, Click and Meet. Einige immer noch mütend, overzoomed und mittendrin im Cavesyndrom, dem Freedom Day nicht ganz trauend.

Popeltest in der Abstrichkabine

Surreale Traumbilder von der Control-Covid-Strategie spuken in uns umher: Abflachen der Kurve. Wir wissen Bescheid. Popeltest in der Abstrichkabine. Fester Stand auf dem Abstandssticker. Smalltalk durch die Plexiglaszelle. Abwassermonitoring unserer Ausscheidungen. Der Bote bringt Post mit Ablagegenehmigung. Challenge: Wärmescanner. Während die einen sich einen reinboostern, belohnt mit Impfpizza oder Impfwurst, dokumentiert per Impfselfie, zelebrieren die anderen ihren Remote-Tag bar jeden Stils in Jogginghose. Casualisierung im Pandemieblues. Teleprost. 

Zuerst die Wildtypwelle. Anhänglich, dieses Spikeprotein, die Höllenhundvariante weiß superzuspreaden. Mit Schweizer-Käse-Prinzip raus aus dem Salamilockdown. Am Ende kommt’s mit Schmackes, klar: Ketchupeffekt. Boost, Bazooka, Wumms.

Balkonklatscher, Klopapierprepper und Baumarkttouristen

Wie Halbschlafende sehen wir es noch vor uns, das Panoptikum der Anderthalbmetergesellschaft: Begrüßen wir sie ein letztes Mal wehmütig mit dem Abstand eines Babyelefanten - mit Fußshake, Ellenbogen- oder Vulkaniergruß - den selbsterklärten Seuchensheriff, Containmentscout, Hygieneritter und Ausbruchmanager, ja sogar die Balkonklatscher, Klopapierprepper und Baumarkttouristen, nicht zuletzt: Team Freiheit, Vorsicht und Augenmaß. Vorbei die Abende, in denen gut ausgewählt werden wollte, wer unter die Ein-Freund-Regel fällt. Verblasst unsere schnöden, öden Highlights: Bierwalk mit unschlagbarer Frischluftquote. Aber sorry, nicht auf die Parkbank setzen: Verweilverbot! Asiafood aus der Ghostkitchen. Das große Hupen beim Autokonzert. Körpernahe Dienstleistung nur im Breakoutroom. Der Balkonchor tönt: Corönchen richten und weitergehen. Gib mir ein Todesküsschen.

Adieu Faceshield, Kinnwindel und Schnutenpulli! 

Wir reiben uns den Schlaf aus den Augen. Willkommen also zur Öffnungsorgie, dem Testrave unserer After-Corona-Bodies. Unübersehbar die Coronafigur: obenrum Krisenfrise, hüftnaher Lockdownspeck und Coronaplauze, die auch postcoronal für den Knuffelkontakt anschmiegsam bleibt. Nix mehr mit Mask-have. Erledigt die unnötige Notwendigkeit, dem Fetzen mit Kosenamen irgendwas Liebevolles anzudichten. Typ sachlich: Gesichtsvisier, Behelfsmundschutz, Gesichtslappen, Typ krampfhaft witzig: Faceshield, Kinnwindel, Schnutenpulli. 

Der Zellstoffhamster prostet uns zum Abschied zu, mit seinem Zaunbier. Der Albtraum ist vorbei. Die Poesie bleibt. 

Eine Liste der vielen neuen Corona-Begriffe finden Sie im Online-Wortschatz-Informationssystem des Instituts für Deutsche Sprache.

Weitere Informationen
Das Theater in Osnabrück bei Abenddämmerung. © picture alliance / imageBROKER Foto: Stefan Ziese

Nach Corona: Orchester werben verstärkt um ihr Publikum

Nach einer Umfrage der deutschen Musik- und Orchestervereinigung unisono füllen sich Konzertsäle wieder, aber teilweise nur sehr langsam. mehr

EIne Trompete liegt auf dem Boden auf dem Schatten eines Trompetenspielers. © photocase Foto: David-W

Corona-Hilfen: Himmelhoch helfend, vom Bankrott bedroht?

Die Kultur werde nicht im Stich gelassen, hieß es zu Beginn der Pandemie. Es sollte schnell und viel geholfen werden. Hat das funktioniert? mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 28.02.2023 | 07:40 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Coronavirus

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum - Die Philosophie und wir

Bei einem Becher Tee philosophieren unsere Hosts über die großen Fragen. Denise M‘ Baye und Sebastian Friedrich diskutieren mit Philosophen und Menschen aus dem Alltag. mehr

Mehr Kultur

Der Regisseur Michael Verhoeven blickt in die Kamera. © picture alliance/dpa | Felix Hörhager

Filmemacher Michael Verhoeven ist tot

Der Ehemann von Schauspielerin Senta Berger starb bereits am vergangenen Montag. Das hat die Familie bestätigt. mehr