Mädchen mit Federschmuck im Haar © Colourbox Foto: Pavel Lukhimets

Kolumne: "Lassen wir Kinder als Apachen durch den Garten toben"

Stand: 18.09.2022 07:30 Uhr

Ein großer Verlag stoppt die Auslieferung von Winnetou-Büchern - wegen angeblicher rassistischer Stereotype. Die Debatte um kulturelle Aneignung erhitzt die Gemüter. "Wie gehen wir damit um?", fragt Pastorin Annette Behnken.

von Pastorin Annette Behnken

Was fand ich ihn schön. Winnetou. Den Häuptling der Apachen. Die Filme aus den 60ern waren Teil meiner Kindheit, wie "Brauner Bär" und Hitparade. Nun hat ein großer Verlag den Verkauf neuer Winnetou-Bücher gestoppt, um keine verharmlosenden Klischees über indigene Völker zu verbreiten, die deren tatsächlicher Geschichte nicht gerecht werden. Dahinter steckt der Vorwurf der kulturellen Aneignung. Eine kniffelige Sache.

Kulturelle Aneignung heißt, dass Elemente einer fremden Kultur in die eigene übernommen werden. Wenn also zum Beispiel weiße Autoren mit Büchern voller Vorurteile über indigene Völker Geld verdienen. Aber wie ist das, wenn meine sehr norddeutschen Kinder mit Apachen-Kopfschmuck durch den Garten pesen? Oder wenn weiße Musiker Dreadlocks tragen?

Keine Entwicklung ohne kulturelle Aneignung?

Die Ethnologin Susanne Schröter sagt, "die gesamte Menschheitsgeschichte (sei) eine Geschichte kultureller Aneignungen, ohne die es keine Entwicklung gegeben hätte." Schon immer haben wir abgeguckt und nachgeahmt. Mein Alltag ist voll von kultureller Aneignung, Kaffee, Zimt und Zucker, die Ziffern, mit denen wir zählen. Sogar meine Religion. Das Christentum ist voll von Bräuchen und Texten aus anderen Religionen. Aber das ist nur die eine Seite.

Wenn kulturelle Aneignung zum Diebstahl wird

Wenn sich reiche Unternehmen an der Kultur benachteiligter Gruppen bereichern; also Luxusmodemarken und Modehausketten Muster aus der Kultur indigener Völker kopieren, ohne es mit ihnen abzusprechen, sie am Gewinn zu beteiligen, geschweige denn deren Leid je erfahren zu haben: Dann wird kulturelle Aneignung zum Diebstahl.

Pastorin Annette Behnken © Kirche im NDR Foto: Jens Schulze
Kulturelle Aneignung darf nie ohne Aufklärung, Toleranz und Respekt passieren, meint Pastorin Annette Behnken.

Und was ist jetzt mit Winnetou? Und Dreadlocks auf den Köpfen weißer Menschen? Ich meine: Lassen wir unsere Kinder als Apachen durch den Garten toben. Lassen wir denen, die es mögen ihre Dreadlocks. Und reden wir drüber, was dahintersteckt. Kulturelle Aneignung darf uns bereichern. An Erkenntnissen und Erfahrung. An Vielfalt und Freiheit. Aber niemals darf sie passieren ohne Aufklärung, Toleranz und Respekt.

Kreuz, Herz oder Anker? So heißt die Kolumne der Kirche im NDR. Jede Woche vergeben die Radiopastoren und Redakteure ein Kreuz für Glauben, ein Herz für die Liebe oder einen Anker für das, was hoffen lässt.

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | 18.09.2022 | 07:30 Uhr

Ein Herz, Kreuz und Anker aus Silber vor blauem Hintergrund © Kirche im NDR Foto: Christine Raczka

Kreuz - Herz - Anker

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